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Die Franzosen entdecken Lissabon
Parlez-vous portugais?

Verglichen mit London, Berlin, Paris oder Rom galt Lissabon lange Zeit als geradezu verträumt. Doch damit ist nun Schluss, denn Lissabon boomt. Die Stadt zieht so viele Touristen an wie noch nie. Vor allem Franzosen haben ihre Liebe zu Portugal und der Hauptstadt entdeckt. Viele alteingesessene Einwohner sind besorgt.

Von Tilo Wagner | 27.12.2016
    Altstadt von Lissabon
    Altstadt von Lissabon (picture alliance / ZB / Jens Büttner)
    Stephanie sitzt in einem Lissabonner Straßencafé und schwärmt von ihrer neuen Wahlheimat. Die Innenarchitektin ist vor einem halben Jahr mit Mann und Kindern aus Tours in die portugiesische Hauptstadt umgezogen – und weil ihr Hauptwohnsitz immer noch in Frankreich gemeldet ist, will sie lieber anonym bleiben. Lissabon sei beides, sagt die Anfang-Vierzigjährige: Einerseits sehr lebhaft, aber trotzdem nicht zu stressig:
    "Das Licht in Lissabon ist einfach fantastisch. Die Stadt überrascht mich immer wieder mit ihren sehr netten Menschen. Sie sprüht voller Leben und alles ist sehr angenehm. Wenn wir im Zentrum spazieren gehen, dann sind alle Leute, die wir treffen, sehr nett und freundlich. Man muss nur den Touristen ins Gesicht schauen: Sie haben immer gute Laune, das heißt, die Stadt scheint wirklich glücklich zu machen."
    Der Markt für Ferienwohnungen ist rasant gewachsen
    Stephanie ist nach Portugal gezogen, weil sie einfach mal woanders leben wollte. Von den finanziellen Vorteilen hat sie erst später erfahren. Denn der portugiesische Staat wirbt seit 2012 mit Steuergeschenken um ausländische Fachkräfte und Rentner. Senioren, die ihre Rente in einem anderen Land beziehen, sind zehn Jahre lang in Portugal nicht einkommenssteuerpflichtig. Neu hinzugezogene Ingenieure oder Ärzte zahlen ein Jahrzehnt lang nur einen festen Einkommenssteuersatz von zwanzig Prozent. Der Lockruf wurde vor allem in Frankreich gehört. Tausende Franzosen haben sich in Portugal in jüngster Zeit niedergelassen und damit vor allem in den beliebten Wohngegenden Lissabons zu einem Immobilienboom mitbeigetragen, der noch von einer anderen Entwicklung gespeist wird: Der Markt für Ferienwohnungen, die über Internetplattformen angeboten werden, ist rasant gewachsen. Lissabon ist laut einem Unternehmensbericht hinter Barcelona, Paris und London bereits das viertbeliebteste Ziel in Europa, das über spezialisierte Websites vermittelt worden ist – Touristen aus Frankreich stellen dabei die meisten Kunden.
    Blick über das Lissaboner Viertel Mouraria auf den Tejo
    Blick über das Lissaboner Viertel Mouraria auf den Tejo (imago stock&people)
    In der Lissabonner Altstadt ist der Boom nicht zu übersehen. An allen Ecken und Ende werden Altbauten modernisiert und dann teuer weiterverkauft. Der Preis für Wohnungen ist in den vergangenen drei Jahren um fast ein Drittel gestiegen. Damit nimmt auch der Druck der Hausbesitzer zu, langjährige Mieter aus ihren Wohnungen zu drängen.
    Fernando Lobo steht in seiner Drogerie, die seit fast 90 Jahren in der Altstadt ihr Ladengeschäft betreibt. Lobo hat bereits eine andere gepachtete Filiale aufgeben müssen, weil das Gebäude an Investoren verkauft worden war. Jetzt fürchtet er, dass auch dieses Traditionsgeschäft schließen muss.
    Viele Gebäude in der Altstadt standen leer
    "Ich mache mir große Sorgen um unsere Stadt – als Geschäftsmann, aber auch als Lissabonner. Ich bin hier groß geworden und mit der Straßenbahn immer zur Schule gefahren. Aber ich sehe, dass jetzt auf einmal das alte Lissabon verschwindet und die Stadt ihr Gesicht verliert."
    Fernando Lobos "altes" Lissabon hatte jedoch jahrzehntelang mit einer Reihe von scheinbar unlösbaren Problemen zu kämpfen. Viele Gebäude in der Altstadt standen leer, die Bausubstanz war marode, alteingesessene Unternehmen suchten sich modernere Büros in den Vorstädten. Seit das Mietgesetz vor vier Jahren liberalisiert worden ist und der Tourismus boomt, fließt nun endlich Geld, um die pittoreske Altstadt zu erhalten.
    Lissabons neues Kunstmuseum am Tejo: das MAAT.
    Lissabons neues Kunstmuseum am Tejo: das MAAT. (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
    Das habe die Stadtverwaltung so gewollt, sagt Leonor Duarte, die sich in einem Bürgerverein kritisch mit den Veränderungen in ihrer Stadt auseinandersetzt. Der Markt der Ferienwohnungen, so Duarte, sei auch steuerlich begünstigt worden und das habe fatale Folgen für die bisherigen Anwohner mit mittlerem oder geringem Einkommen, die ihrer Stadt zunehmend den Rücken kehren müssten:
    "Jemand kann hier nach Lissabon kommen und bezahlt keine oder nur wenig Einkommensteuer. Dann kauft er eine Wohnung, und wenn er sie renoviert, muss er weniger Immobiliensteuern bezahlen. Und dann macht er daraus eine Ferienwohnung und verdient am Tourismusboom. Als Nicht-Resident verdient er also doppelt und dreifach; und das ist eine ungerechte Bevorzugung, während die ursprünglichen Anwohner keinerlei Vorteile haben. Diese Ungerechtigkeit muss beseitigt werden. Wir wollen eine größere Ausgewogenheit. Denn wenn man in seiner eigenen Stadt nicht mehr wohnen kann, dann wird sie nur noch zu einem Themenpark für Touristen oder einem riesigen Museum unter freiem Himmel, aber eine richtige Stadt ist sie dann ganz bestimmt nicht mehr."