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Die Frau des Kanzlers. Eine Rede

"Ich möchte mich von dir scheiden lassen." - Als Einstieg in einen Text verheißen diese Worte nichts Gutes, ja lassen auf einen gehörigen Konflikt schließen. Und in der Tat wird dem Leser im Folgenden ein tiefgreifendes Zerwürfnis unterbreitet, artikuliert in dem über 80 Seiten langen Monolog einer Frau, die nicht mehr bereit ist, auch nur noch den geringsten Kompromiss zuzulassen. Zu lange ist sie - trotz eindeutiger Warnsignale gegenüber ihrem Mann - von diesem enttäuscht worden. Es ist eine österreichische Lehrerin, buchstäblich ins Leben gerufen von dem 1944 geborenen Wiener Schriftsteller Gustav Ernst. "Trennungen" hieß dessen letzter, im Jahr 2000 vorgelegter Roman. Und über eine ganz besondere Trennung schreibt er auch in seinem soeben erschienenen, neuesten Buch. Denn bei der Lehrerin, die da ihrem Mann eine gesalzene Gardinenpredigt hält, handelt es sich immerhin um "Die Frau des Kanzlers".

Volker Kaukoreit | 12.09.2002
    Anders als der Boulevard-Journalismus nutzt der Text die - freilich fiktive - Privat- und Intimsphäre nicht zur Sensation einer gemeinen Bloßstellung, sondern zu einer regelrechten Abrechnung, die persönliche mit politischer Motivation verbindet: "Ich möchte mich von dir scheiden lassen. (...) Mein Entschluss steht fest. Er steht schon lange fest. Seit du die Regierungskoalition, die du nicht hättest eingehen dürfen, eingegangen bist. Das weißt du." Je massiver die Vorwürfe werden, um so mehr greift das angesprochene, aber sprachlose Du in die Tasten, spielt wie vernarrt seine Sonaten herunter. Nur kurz wird die Hausmusik unterbrochen, wenn es um die selbsterklärten Glanzlichter des Regierungsprogramms geht, etwa um die Familienpolitik, die Sparmaßnahmen oder um die Person des Vizekanzlers. Und sogleich 'geht die Musi weiter'.

    Doch gibt es in diesem Hin und Her eine deutliche Steigerung. Als die Gattin erneut die Unumstößlichkeit ihres Entschlusses unterstreicht, holt der Wortlose zu einem körperlichen Annäherungsversuch aus. Dieser scheitert ob energisch verbaler und vernichtender Gegenwehr ebenso wie ein Fluchtversuch auf die Toilette. - Da, plötzlich, Pause. - Im unentwegten Anschuldigungsschwall der Ehefrau herrscht auf einmal besinnliche Ruhe auf dem Klavierhocker. Nur kaum, dass der weibliche Part ein kleines Zugeständnis macht - "Vielleicht irre ich mich", sagt sie -, wird schon wieder die Tastatur gequält. Dem früheren "Was spielst du denn nicht weiter? Aber ja, spiel weiter!" wird nun befehlsartig ein "Aufhören! Ich will keinen Ton mehr hören! Schluss jetzt!" entgegengesetzt. Fast logisch, dass die kleine Hausmusik jetzt erst recht wieder in Gang kommt. Und fast logisch, dass sie wieder erstarren muss, weil die Frau mittlerweile kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, dazu kommentiert: "Hat dich das Wort Ficken zum Aufhören gebracht! Oder die Tatsache, dass du nicht ficken kannst?", und erneut auffordert "Ja, spiele!". So endet nun letztlich das - wie es heißt - "Geklimper"; seine Instrumente packt der Hausorchestrant zusammen, als er sich anhören muss, dass seine Frau am Prinzip der gewerkschaftlichen Organisierung festhält und am Folgetag auf dem Podium einer Art politischer 'Love parade' die Scheidung bekannt geben wird. In dieser Phase ist der Ehemann endgültig zum "Sie" entrückt, zum 'Herrn Kanzler'.

    Nicht jeder Leser mag und muss die partielle Derbheit dieser Rede - "Onanierst du eigentlich?" (...), heißt es an einer Stelle, "im Kanzleramt? Während du das Bildungsbudget kürzt?" - goutieren. Doch hier gilt das Recht der Satire. Deren Schärfe wird besonders deutlich im Zusammenhang mit dem hausmusikalischen Abgedudel von Mozart, dem geradezu klassischen Musik-Exportartikel aus Österreich. Da verkommt nationale Kultur-Identität in einer "Ministerratsmusik", in einer "Bildungsabbau- und Kindergeldaufstockungsmusik", in einer "Studiengebühreneinführungs"- und einer "triumphalen Frauenministeriumsabschaffungsmusik". Unerbittlich rechnet die Frau die - aus ihrer Sicht - großen und kleinen Sünden, die Skandale und Pannen der Regierungsmannschaft vor, wobei sie immer wieder darauf verweist, wie die aktuelle Politik ihr eigenes Privat- und Berufsleben beeinflusst und sie dies alles bereits viel zu lange ertragen habe. Wie aber kommt ein Schriftsteller eigentlich auf die Idee, sein politisches Engagement über eine weibliche Perspektive zu transportieren? Dazu Gustav Ernst:

    Also ich liebe es prinzipiell Frauen als Hauptfiguren zu behandeln, Frauen sprechen zu lassen. Und in dem Fall war es mir besonders wichtig, dass eine erfundene Politiker-Gattin ihrem Politiker-Gatten hineinsagt, was wir alle unserem Kanzler hineinsagen könnten, vielleicht auch einmal wieder sollten. Und eine Frau kann das vielleicht in besonderer Weise, weil sie in besonderer Weise abhängig ist und in besonderer Weise gerade in konservativen Zusammenhängen besonders unterdrückt sein könnte.

    Aufgrund der Gesamtqualität des Textes soll hier nicht hinterfragt werden, ob diese Erklärung der im Kern feministischen Problematik gerecht wird: Immerhin: Im Thematisieren der Unterdrückung, die sie durch die Politik ihres Mannes und dessen machthungrige Lebensweise empfindet, wird, wie gesagt, immer wieder auch die Privatsphäre des Ehepaars berührt. Und gerade in diesem Rahmen werden die Abweichungen von der einst gemeinsam getragenen christdemokratischen Werteskala besonders deutlich. Wenn ein Politiker - metaphorisch gesprochen - im Ehebett versichert, dass er nie mit seinem rechtspopulistischen Herausforderer eine Koalitionsehe eingehen werde, was geschieht dann im Ehebett, wenn er dort später doch um die Duldung des politischen Seitensprungs fleht? Und wenn als 'common sens' herrschte, dass in der Umgebung der Kanzler-Familie für antisemtische Witze kein Platz sei, wieso soll sich die Frau gefallen lassen, dass ihrem Gatten kein entschlossenes Wort gegen die von seinem Vizekanzler ausgeplauderten - wie sie sagt - "Witze auf Kosten der Juden" einfällt? Böse, aber gewiss nicht anstößige Worte fallen in diesen Kontexten aus dem Mund einer sich zunehmend selbst bestimmenden 'Bürgerlichen': "Doppelmoral" und "Lüge".

    In der Krone, dem österreichischen Pendant zur Bild-Zeitung, wurde das Buch als "eckliges Pamphlet" gegen den amtierenden Kanzler bezeichnet. Eine so einfache Gleichsetzung aber erlaubt diese Satire nicht. Bekanntlich regiert Wolfgang Schüssel von der "Österreichischen Volkspartei" mit einer Vizekanzlerin. Nichtsdestotrotz ist der Text tatsächlich ein Pamphlet. Er ist - einmal abgesehen von Elfriede Jelineks Anti-Jörg-Haider-Schriften oder den essayistischen Einlassungen Robert Menasses - gleichzeitig der erste Versuch, sich literarisch mit dem Handeln einer rechten Regierung mit rechtspopulistischen Elementen auseinanderzusetzen, deren Bildung im Jahr 2000 immerhin zu den ersten Sanktionen gegenüber einem Mitgliedsstaat innerhalb der EU geführt hat. Zudem entstand damit ein Buch, das die Sicht von außen auf Politikerpersönlichkeiten durchbricht und ein Komplementärbild entstehen lässt, das eine Gesamtpersönlichkeit mit unmittelbarer Lebensnähe fingiert. Dabei hat Gustav Ernst nicht zu einem großen literarischen Wurf ausgeholt, sondern sich mit der kleinen Form der satirischen Rollenrede begnügt. Und wenn es in dieser gegen Ende heißt "Na, gut, übertreibe ich halt! Aber die Übertreibung sagt nun einmal die Wahrheit am deutlichsten", so fühlt man sich spätestens hier an den großen österreichischen "Übertreibungskünstler" Thomas Bernhard erinnert. Bei allen Unterschieden zwischen den beiden Schriftstellern verbindet sie darüber hinaus ein ähnlicher Umgang mit der Sprache, einer einfachen Wörtlichkeit, die ihren Gegenstand mit gezielten Wiederholungen und Redundanzen fast sogartig ergreift, ausbreitet, ja, man möchte sagen, vor sich her treibt.

    Liebhabern solcher Literatur wird "Die Frau des Kanzlers" - trotz ihres spezifischen Österreich-Bezugs - also auch in Deutschland Vergnügen bereiten, zumal es auch hier Politiker gegeben hat und noch gibt, die ihren Faux pas am liebsten mit Schweigen und Aussitzen oder bombastischer Polit-Musik begegnen.