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Die Frau des Schriftstellers

Dorothee Andres schildert in ihrem Buch "Carpe Diem!" das Leben an der Seite des Autors Stefan Andres. Das Werk ist zudem das beeindruckende Porträt einer tatkräftigen, intelligenten Frau voller Lebensmut, die hautnah erlebte Zeitgeschichte erzählt.

Von Michaela Schmitz | 23.06.2010
    Das Leben mit einem Schriftsteller ist kein Roman. Selbst wenn die gemeinsame Zeit ausreichend Stoff fürs Schreiben liefert. Auch das erfährt man in Dorothee Andres Erinnerungsbuch "Carpe Diem!" über ihr Leben an der Seite des Autors Stefan Andres. Während ihr Mann mit bekannten Werken wie den Novellen "Wir sind Utopia" und "El Greco malt den Großinquisitor" im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, ist sie die stille Organisatorin im Hintergrund.

    Von Beginn ihrer fast 40 Jahre dauernden Lebensgemeinschaft an setzt sich Dorothee Andres mit ihrer ganzen Energie für den Erfolg seiner literarischen Arbeit ein. 1931 lernen sie sich kennen. Gleich am nächstenTag macht Andres ihr in der Mensa "eine Art Heiratsantrag", erinnert sich die damals 20-jährige Medizinstudentin. Noch waren erst einige der Gedichte des angehenden Autors in einer Zeitschrift erschienen. Schnell wird die selbsternannte Literatur-Agentin Dorothee Freudiger aktiv.

    "Er hatte mir berichtet, dass sein Romanmanuskript seit sechs Wochen beim Diederichs-Verlag liege, er habe aber noch nichts darüber gehört. Es war der "Bruder Lucifer" ( ... ). So machte ich mich eines Tages zwischen zwei Vorlesungen auf den Weg und bat um ein Gespräch mit dem Verleger. Man amüsierte sich über diese Kühnheit einer kleinen Studentin ( ... )."

    Das Vorsprechen seiner baldigen Ehefrau hat Erfolg. Doch die Zeiten stehen schlecht für die junge Schriftstellerfamilie. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten werden die Arbeitsbedingungen immer schwieriger. Dorothee Andres ist Halbjüdin, und ihr Mann steht dem NS-Regime von Anfang an unverhohlen kritisch gegenüber. 1937 geht die jetzt vierköpfige Familie mit Ersparnissen von insgesamt 423,75 Mark ins italienische Exil. Das Leben in Positano unweit von Neapel ist kein Arkadien. Sie wohnen unter primitivsten Bedingungen ohne fließend Wasser und Strom und müssen quasi ohne jedes Einkommen zurechtkommen.

    Stefan Andres literarische Arbeiten können in Deutschland nur noch mit Sondergenehmigung veröffentlicht werden. Nach dem Hungerwinter 1943 hält er die Familie zeitweise mit gemalten Postkarten für alliierte Urlauber über Wasser. Auch Dorothee Andres beweist Qualitäten als Überlebensmanagerin. Trotz schwierigster Versorgungsverhältnisse unterstützt sie weiter die literarische Arbeit ihres Mannes: Formulare werden zu Schreibpapier umfunktioniert, Farbbänder über Nacht in Dieselöl getränkt und Tinte aus Galläpfeln gewonnen.

    Die Zeit ist von Hunger, Angst vor Ausweisung und Sorge um die Angehörigen in Deutschland, aber auch von Dankbarkeit für die Zuflucht in Italien geprägt. Der härteste Schlag: Der Tod ihrer ältesten Tochter Mechthild. Erst 1949 kann die Familie Andres wieder nach Deutschland zurückkehren. In der Nachkriegsrepublik wird der erklärte Nazigegner Stefan Andres als erfolgreicher Autor gefeiert. Seine Werke stehen in Deutschland regelmäßig auf den Bestsellerlisten und werden sogar verfilmt. Dorothee Andres organisiert die Termine, chauffiert ihn zu den Leseabenden und kümmert sich um die zahlreichen Gäste in ihrem Haus in Unkel. Stefan Andres weiß, wie viel er seiner Frau als Managerin des Familien-Unternehmens und der Literatur-Firma zu verdanken hat. Als ihm 1959 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen wird, erinnert sich Dorothee Andres,

    "( ... ) löste er die leichte Beklommenheit, indem er sich das Band vom Hals nahm und es mir umhängte mit den Worten: "An dieser Auszeichnung hat meine Frau einen ganz gewissen Anteil." Der Staatssekretär protestierte, mit dem Orden treibe man keine Scherze – worauf Andres meinet: nein, gewiss nicht, es sei ihm ganz ernst damit."

    Stefan Andres steht nicht nur privat zu Frau und Familie, sondern bezieht auch politisch Stellung: für die Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands und für die soziale Verantwortung der jungen Wohlstandsgesellschaft, gegen die Wiederbewaffnung und gegen Atomkraft. In dem Maß, in dem sein politisches Engagement wächst, sinkt das Interesse an seinem literarischen Werk. 1961 entschließt er sich mit seiner Frau zum zweiten Exil in Rom. Doch das gewohnte Leben "im Trab mit Garten, Schreibmaschine, Gästescharen, Autofahren" wird für Dorothee Andres auch in Italien nicht ruhiger. Bis zum Tod von Stefan Andres im Jahr 1971 und darüber hinaus widmet sie ihre ganze Kraft seiner literarischen Arbeit. Ihrer Lebens-Dokumentation können Literaturwissenschaftler deshalb viel zur Entstehungsgeschichte des Andres-Werks entnehmen. Wie viel Dorothee Andres als Schriftsteller-Frau zum Werk beigetragen hat, lassen ihre Lebenserinnerungen nur erahnen. "Carpe Diem!" ist auf Basis ihrer jahrzehntelangen stichwortartigen Tagebuchaufzeichnungen entstanden.

    Die lebensgeschichtliche Echtzeit-Dokumentation folgt der Chronologie und erhebt keinen literarischen Anspruch. Dennoch ist sie nicht nur für Stefan-Andres-Experten lesenswert. Denn das Buch zeigt das beeindruckende Porträt einer tatkräftigen, intelligenten Frau voller Lebensmut, die hautnah erlebte Zeitgeschichte schildert. Ihre Erinnerungen, besonders aus der Exilzeit, lesen sich so frisch und aktuell, wie gerade erst erlebt.

    Dorothee Andres: "Carpe Diem!" – Mein Leben mit Stefan Andres
    Bouvier Verlag 2009. 414 Seiten, 26,90 Euro