Donnerstag, 28. März 2024

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Die Frau unter den Wilden
Joan Mitchell im Kunsthaus Bregenz

Von Christian Gampert | 17.07.2015
    Wer sich in der Männerwelt durchsetzen möchte, der wählt am besten das Großformat. Joan Mitchell, die Frau unter den Abstrakten Expressionisten (die natürlich nicht nur auf der Leinwand wild herumarbeiteten), hatte sich für die Offensive entschieden: Alkohol und freie Partnerwahl, das war das Credo schon in den amerikanischen 1950er Jahren, und dazu doch recht beeindruckende, düster-gestische Übungen auf sehr großen Malgründen. Die für sie eben auch Abgründe waren, auf denen sie ihre persönlichen Traumata bearbeitete, arrangierte, ausagierte.
    Aber nicht nur. Diese Werke sind, bei aller Emotion, hochkalkuliert, und die Malerin verändert sich im Lauf der Jahre von der dunklen Aktionistin der New Yorker Zeit zu einer zumindest farblich viel froher, viel aufgeschlossener wirkenden Experimentiererin. In Frankreich, in Vetheuil (also nicht weit von Monets Garten in Giverny), kaufte sie sich ein Landhaus und arbeitete sich an europäischen Gewährsleuten ab, an van Gogh vor allem, ohne den gefährlichen Raum der Abstraktion zu verlassen.
    Die Bregenzer Ausstellung führt das schön vor: einigermaßen chronologisch, aber von Stockwerk zu Stockwerk mit anderer Stilistik. Im Erdgeschoss noch wütend, dann immer lichter werdend, das Hintergrundweiß nimmt zu und gibt Luft, die Formen haben immer mehr figurative Anklänge, sie knäueln sich zu floralen Elementen, zu Farbinseln, Stelen oder Schatten, und manchmal wähnt man sich dann auch in der Spätphase auf einem Schlachtfeld.
    Der zeitweise exzessive Lebensstil der Joan Mitchell hat dazu geführt, dass man vor allem darüber geredet hat – und die Malerei in den Hintergrund trat. Das ist ungerecht. Zwar ist das Hauptwerk der Ausstellung, ein an van Gogh gemahnendes Quadriptychon mit Meeresblau und kornfeldgleich wucherndem Gelb, ihrer langjährigen Psychoanalytikerin Edrita Fried gewidmet, aber die kunsthistorischen Bezüge sind immer klar – einerseits die wilden Männer wie Pollock und de Kooning, andererseits van Gogh und sogar die ins Abstrakte lappende Farbigkeit Monets. Erstaunlich oft kann man auch an die – viel später entstandenen – Schlachtengemälde Cy Twomblys denken.
    "Wenn du nichts fühlst, kannst du nichts malen", sagt Joan Mitchell in einem Film-Interview aus ihrer Spätphase, das in der Ausstellung zu sehen ist. Da wirkt sie wie eine Schwester von Patricia Highsmith, verlebt, ein bisschen depressiv, aber hellwach und schlagfertig. Spät aufstehen, im Atelier auf den Einfall warten und ihn dann bis in die Nacht ausarbeiten. Oder eben: keinen Einfall haben. Die Ausstellung legt mit einer biographischen Abteilung durchaus eine Spur durch dieses Leben, Zeugnisse aus dem Archiv der Mitchell-Foundation. Da sieht man dann, dass die 1925 in Chicago geborene Mitchell zunächst eine erfolgreiche Eiskunstläuferin war; aber sie ging mit dem Vater oft ins Museum, und die anatomischen Skizzen aus dem Studium zeigen solides Handwerk. Dann die Briefe von all den Malerkollegen, von Dichtern und Musikern – Joan Mitchell hat Gedichtbände mit wüsten Farben illustriert und anfangs auch selbst Poeme geschrieben; sie war befreundet mit Frank O'Hara und Samuel Beckett, dem Tänzer Merce Cunningham, dem Komponisten Morton Feldman. Das Synästhetische war ihre Welt, ihre Bilder sind voller Bewegung.
    Und doch bleibt immer die leere Stelle, das Schwarz, das überall auftaucht, als kleiner rabenhafter Fleck auch in den letzten, den scheinbar altersheiteren, gartengleichen Kompositionen der bereits krebskranken Malerin. Die Kuratoren insinuieren im Gespräch, Mitchell habe sich nie davon erholt, gemeinsam mit ihrer Schwester von den betuchten Eltern vernachlässigt worden zu sein; daher auch die Suche und das wilde Leben. Andererseits hat die betörend schöne Mitchell auch über 20 Jahre an ihrem Ehemann gehangen, dem überaus erfolgreichen, unsteten tachistischen Maler Jean-Paul Riopelle, bevor sie dann zur Förderin junger Künstler und Künstlerinnen wurde in Vetheuil.
    Rein malerisch aber scheint der biographische Bruch – vom eher geschichtslosen Amerika nach Frankreich – der entscheidende Moment zu sein: endlich kann sie sich mit der Tradition auseinandersetzen, der europäischen Moderne. Da befreit sie sich – in der Abstraktion. Eines der letzten Bilder heißt "Merci". Da fliegen die Farben durch einen weißen Weltraum – es sind die Farben der Tricolore.