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Die Frauen, das Grundgesetz und die Gleichstellung

Kaum war das ärgste Chaos nach dem Krieg beseitigt, kaum kehrten die Männer zurück aus der Gefangenschaft, da durften die gerade noch viel gepriesenen Trümmerfrauen wieder einpacken. Sie ließen sich, erschöpft von den schweren Jahren, zurück an den Herd schicken und gaben das Szepter ohne Proteste ab an die Männer. Die dankten es ihnen nicht, sondern beeilten sich, die alten Zustände wieder herzustellen.

Renate Faerber-Husemann | 14.01.2004
    Gleichberechtigung auf dem Papier oder gar in der Realität? Man habe wichtigere Sorgen, wurde den Frauen bedeutet, die während des Krieges den Alltag in Gang gehalten und die Kinder alleine großgezogen hatten. Ernsthaft wurde damals diskutiert, ob Politik nicht unweiblich sei. Und berufstätigen Frauen wurde unterstellt, sie nähmen den Familienvätern die Arbeitsplätze weg. Die Politik im gerade zur provisorischen Hauptstadt gewählten Bonn war ein Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Realität.

    Am Beispiel des Gleichberechtigungsgesetzes, das vor 50 Jahren im Bundestag nur deshalb behandelt wurde, weil das Bundesverfassungsgericht die Gesetzgeber dazu zwang, lässt sich das nachzeichnen. Die Debatten waren kein Ruhmesblatt in der männerdominierten frühen Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik. Mit allen Tricks wehrten sich die Politiker – parteiübergreifend – dagegen, dass im Bürgerlichen Gesetzbuch nachvollzogen wurde, was doch seit 1949 Verfassungsgrundsatz war:

    Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

    Kaum ein Paragraph des Familienrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch entsprach diesem Gebot des Grundgesetzes und obwohl ein Auftrag an die Regierung bestand, bis zum 31. Mai 1953 das gesamte Recht zu durchforsten und der Gleichberechtigung widersprechende Gesetze zu ändern , geschah mehr als vier Jahre lang gar nichts. Die Frist verstrich. Und erst das höchste Gericht erzwang eine Debatte im Bundestag, an deren Ende am 14. Januar 1954 ein Gesetzentwurf stand, der dem Grundgesetz erneut Hohn sprach.

    Da wurde zwar bestätigt, dass der Grundsatz der Gleichberechtigung gelte, dann aber kam gleich die Einschränkung, dass dies nicht zum Schaden der Familie gereichen dürfe. Bei Meinungsverschiedenheiten sollte der Ehemann das letzte Wort behalten, berufstätig durfte die Gattin nur sein, soweit ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau dadurch nicht beeinträchtigt würden. Erste Aufgabe der Ehefrau sei die Haushaltsführung, bekräftigte die 90prozentige Männermehrheit.

    Die Journalistin Fides Krause-Brewer, die seit 1949 aus Bonn über frauenpolitische Themen berichtete, erinnert sich noch gut an die Debatten, die sich jahrelang hinzogen:

    Es war also eingerichtet worden im Bundesinnenministerium ein Frauenreferat, das war schon was ganz Tolles. Das war eine Ministerialrätin, die das leitete und eine außerordentlich handfeste bayerische Amtsrichterin, die praktisch die Arbeit machte und da gab es erhebliche Reibereien. Diese Amtsrichterin wäre beinahe rausgeflogen bei Innenminister Schröder, weil sie in einer Rede, die sie gehalten hat, gesagt hat, und so könne sich die Gleichberechtigung auch einmal an der Teppichstange erweisen. Das ging nämlich darum, dass die Männer auch etwas tun müssten im Haus und das war ein so furchtbares Verbrechen, dass man sie beinahe dafür rausgeschmissen hätte.

    Hildegard Hamm-Brücher, damals eine junge Politikerin im bayerischen Landtag, hat bis heute nicht vergessen, wie zäh der Widerstand der Männer war, die um ihre häuslichen Machtbastionen fürchteten:

    Konrad Adenauer hat in seiner Regierungserklärung überhaupt nicht davon gesprochen, dass bis zum Jahre 53 die Ausführungsgesetze da sein müssten. Der Justizminister Dehler hat dann erst, als er merkte, er muss ja was tun, eine Frau hingesetzt, die einen Referentenentwurf machen sollte, der unter dem Kanonendonner der Bischofskonferenz als ein Privatentwurf erklärt wurde. Dann hat sich die Bundesregierung darauf zurückgezogen, wir lassen einfach die Frist verstreichen und schauen mal, was das Bundesverfassungsgericht sagt und dann hat uns das Gericht unsere Sache gerettet....Es hat ja nicht der Bundestag die verfassungskonformen Gesetze gemacht, sondern die sind alle, vier oder fünf mal, nur durch Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen überhaupt durchgekommen.

    Und das war vor allem das Verdienst der ersten und auf viele Jahre einzigen Richterin des höchsten Gerichts. Erna Scheffler, während der Nazizeit mit Berufsverbot belegt, alleinerziehende Mutter, die sich jeden einzelnen Karriereschritt hart erkämpfen musste, überzeugte ihre männlichen Senatskollegen. Immer wieder ließ das oberste Gericht den Bundestag nachbessern. Ganz unaufgeregt zwangen Erna Scheffler und ihre Richterkollegen die Politiker zu Korrekturen, bis der Artikel 3 Grundgesetz und die Gesetzesrealität sich nicht mehr widersprachen. Ein Gesetz nach dem anderen wurde gekippt, weil es nicht zum Gleichberechtigungs-Artikel oder zum ebenfalls im Grundgesetz verankerten Schutz der Familie passte. Erna Scheffler 1959:

    Zum Beispiel Paragraph 26 des Einkommensteuergesetzes bestimmte die Zusammenveranlagung der Ehegatten. Dadurch mussten alle diejenigen, bei denen beide berufstätig sind, mit dem Tag der Eheschließung plötzlich viel mehr Steuern zahlen als vorher. Das Gericht hat diese Bestimmung für nichtig erklärt. Ein anderes Beispiel: Unsere Entscheidung zu der Vertretungsmacht des Vaters. Das Gericht hielt dafür, dass dadurch der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau verletzt würde und hat die Bestimmung für nichtig erklärt.

    Für die jungen Frauen von heute müssen die Geschichten der politisch aktiven Großmütter-Generation der ersten Nachkriegsjahre wie Märchen der Gebrüder Grimm klingen. Die Auseinandersetzungen begannen schon im Parlamentarischen Rat während der Arbeit am Grundgesetz. Statt des klaren und einfachen Satzes
    "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", um den selbst konservative Zeitungen auf Seiten der Frauen kämpften, hatten sich die Männer folgende schlaue Formulierung ausgedacht, die damals um Haaresbreite Verfassungsrang erhalten hätte:

    dem Gesetz gleich. Das Gesetz muss Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln.

    Es war vor allem die "Verfassungsmutter” Elisabeth Selbert, die den Widerstand gegen diese Peinlichkeit organisierte. Doch trotzdem änderte sich an der Lebensrealität der Frauen bis zum 1. Juli 1958, also fast zehn Jahre lang, erst einmal gar nichts. Und auch das dann endlich verabschiedete Gleichberechtigungsgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert. Bis dahin galt: "Vollmacht für ein gemeinsames Bankkonto."

    Der Ehemann konnte jeder Zeit das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen, sie aber umgekehrt zu einer außerhäuslichen Arbeit zwingen.

    Ein so genanntes Doppelverdiener-Gesetz erlaubte die Entlassung verheirateter Beamtinnen.

    Der Stichentscheid des Ehemanns, der erst 1959 und wieder durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, gab Männern das letzte Wort in allen Fragen des gemeinsamen Lebens, wenn ein Paar sich nicht einigen konnte.

    Ob man ein Haus baute oder eine Waschmaschine auf Raten kaufte, ob der Wohnort gewechselt wurde oder die Kinder aufs Gymnasium durften, ob pflegebedürftige Angehörige in den Haushalt aufgenommen wurden - stets entschied der Mann, und die Frau hatte sich zu fügen.

    Die Bundesverfassungsrichterin Renate Jaeger hat sich intensiv mit der Arbeit und dem Leben jener frühen Vorgängerin beschäftigt, der die Frauen in der Bundesrepublik so viel zu verdanken haben. Erna Scheffler hat es ja nicht nur geschafft, die damals elf männlichen Kollegen ihres Senats zu überzeugen, sondern sie hat sich - mehrmals – durch die von ihr initiierten Entscheidungen mit Konrad Adenauer und seiner Regierung und mit dem gesamten Parlament angelegt. Renate Jaeger über ihre mutige Vorgängerin:

    Sie hat sich ganz realistisch die Situation in einer Familie vorstellen können, in der von Gesetzes wegen einer immer das letzte Wort hat. Und dass dies die Machtverhältnisse stark verändert und dass das damit permanent die Stellung der Ehefrau und Mutter nachteilig beeinflusst, war ihr nur zu bewusst. Und deshalb hat sie immer gesagt: Es geht einfach um das Verhältnis der Geschlechter in der Ehe. Und es kann nicht so sein, dass die Frauen inzwischen staatsbürgerlich die gleichen Rechte und Pflichten haben und ausgerechnet in der klassischen Domäne der Frau, nämlich als Ehefrau und Mutter, soll sie immer zurückstehen. Das war für sie schlechthin unverständlich.

    Erna Scheffler muss wütend gewesen sein, als der Bundestag nach jahrelangen zähen Debatten endlich ein Gleichberechtigungsgesetz verabschiedete, das schon wieder verfassungsfeindlich war, denn vom Stichentscheid des Ehemanns wollten die Männer immer noch nicht lassen. Erst 1959 – nach einem Urteil des höchsten Gerichts – war es damit vorbei. Und trotzdem war das Gesetz für die Frauen nur ein halber Sieg, denn durch neue Paragraphen wurden alte Rollenbilder zementiert. Wörtlich hieß es nun:

    Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.

    Auch weiterhin also konnte der Ehemann jederzeit der Berufstätigkeit seiner Frau einen Riegel vorschieben. Er musste nur behaupten, sie vernachlässige ihre häuslichen Pflichten. Ob berufstätig oder nicht: die Frau war verantwortlich für Mann, Kinder und Haushalt, er zur Mitarbeit nicht verpflichtet. So enthielt die Doppelbelastung der Frauen gesetzliche Weihen und dabei blieb es dann noch einmal fast zwanzig Jahre lang.

    Zwar saßen im Bundestag in allen Parteien couragierte Frauen, doch sie waren nur zuständig für die so genannten "weichen Themen”, für die die Männermehrheit sich – wenn überhaupt – nur engagierte, wenn ein Wahltermin vor der Tür stand. Es dauerte viele Jahre, bis die weiblichen Abgeordneten auch dort mitsprachen, wo die Politik gestaltet wurde: in den Ausschüssen für Finanzen oder für Wirtschaft, in der Innen- und Rechtspolitik.

    Wie trickreich die Politikerinnen während der gesamten Regierungszeit Konrad Adenauers um jeden Zipfel Macht kämpfen mussten, zeigt eine kleine Geschichte aus dem Jahre 1961, als die Frauen endlich eine Ministerin im Kabinett sehen wollten - und zwar Elisabeth Schwarzhaupt. Fides Krause-Brewer, die spätere Bonner Wirtschafts-Korrespondentin des ZDF, erinnert sich:

    Der Adenauer hat sich mit Händen und Füßen gesträubt. Er hatte zwar den Frauen vor den Wahlen immer versprochen, er würde eine Ministerin ernennen und dann hat er immer, wenn es so weit war, irgendwelche Ausflüchte gefunden und es ging also bei seiner letzten Regierungsumbildung darum, ob nun Frau Doktor Schwarzhaupt einen Ministerposten kriegen sollte, was die Frauen verlangt hatten, und da hat er dann wieder versucht, sich davor zu drücken und da gab es einen Aufstand in der Union. Helene Weber hat telegraphisch und telefonisch alles zusammengetrommelt an Frauen, was es überhaupt gab und dann haben die ein Sit-in im Kanzleramt, im damaligen Palais Schaumburg gemacht und sind da nicht gewichen und gewankt, bis der Herr dann also gesagt hat, na schön, na gut, dann Frau Doktor Schwarzhaupt. Aber er hat, weil ihm das nicht recht war, sich damit gerächt, dass er immer in der Kabinettsitzung, wenn von ihrem Ressort die Rede war, hat er sie stereotyp mit "dat Fräulein Schwarzhaupt” angeredet.

    In der DDR war man in Sachen Frauenrechten ein ganzes Stück weiter. Schon 1953 wurde dort ein "Gesetz über die Rechte der Frauen” verkündet, das vor allem den Alltag von Müttern leichter machte. Trotz Kind konnten junge Frauen in Ruhe studieren und dank einer damals schon flächendeckenden Kinderbetreuung im Beruf arbeiten wie die Männer. Die Verantwortung für die Familie wurde als gesellschaftliche Aufgabe gesehen, nicht als Privatsache.

    Doch auch der westliche Teil Deutschlands veränderte sich, wenn auch erst in den 60er Jahren: Es waren Jugendprotest, Studentenbewegung, Frauenbewegung und sexuelle Revolution, die die konservative Nachkriegswelt - einschließlich ihres heilen Familienbildes - nachhaltig aus den Angeln hoben.

    Die Freigabe der Pille, freimütige Diskussionen über Familienplanung und die vor allem durch die Frauenbewegung erzwungene Reform des Strafrechts-Paragraphen 218 machten ein Frauenleben planbar.

    Mit der sehr erfolgreichen Kampagne "gleiche Bildungschancen für Mädchen und Jungen” war endlich Schluß mit der Tradition, dass die Jungen eine gute Ausbildung, die Mädchen dafür eine Aussteuer bekamen, denn – wie es damals hieß - "sie heirateten ja doch”.

    Die letzten wichtigen Bastionen gegen eine zumindest formale Gleichstellung von Männern und Frauen fielen während der sozialliberalen Koalition. Das gesamte Ehe- und Scheidungsrecht wurde in den siebziger Jahren grundlegend reformiert. Seither heißt es im Gesetz:
    Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.

    Und so war Schluss mit der gesetzlich normierten Hausfrauenehe. Per Gesetz wurden Mann und Frau verpflichtet, die Haushaltsführung gemeinsam zu regeln. Dazu kam ein neues Scheidungsrecht, das nicht mehr nach "Schuld” fragte. Seither muss der wirtschaftlich Stärkere den wirtschaftlich Schwächeren so lange unterstützen, bis er – in der Regel sie – auf eigenen Beinen stehen kann. Der Versorgungsausgleich schützt Frauen nach langjähriger Hausfrauenehe vor dem Absturz in bittere Armut.

    So war das zumindest gedacht. Doch es begann die Zeit der Massenarbeitslosigkeit und Frauen mit Kindern waren und blieben auf dem Arbeitsmarkt praktisch chancenlos. Daran hat sich in mehr als 25 Jahren wenig geändert. Wie schon in den frühen siebziger Jahren kämpfen Frauen um bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und wie damals werden sie mit Hinweis auf die schlechte Finanzlage vertröstet auf bessere Zeiten. Katharina Focke, Familienministerin von 1976 bis 1980 hat in ihren Erinnerungen geschrieben:

    Warum konnte ich in der Familienpolitik am Kabinettstisch nie wirklich etwas erreichen? Da saßen lauter Stammtischväter. Bei Familienpolitik glaubten sie alle, mitreden zu können, sich auszukennen. Eingefleischte, patriarchalische Vorurteile gab es da bei der Männerriege, die da saß. Schlimm war das.

    Die Frauen- und Familienministerin Rita Süssmuth teilte, wenn auch nüchterner im Ton, zehn Jahre später diese Einschätzung:

    Die Widersprüche sind noch da. Jede Frau merkt spätestens bei der Geburt des zweiten Kindes, wie schwierig es ist, mit zwei Kindern eine Erwerbstätigkeit auszuüben, andere schon beim ersten Kind. Und da merkt sie diesen Widerspruch: Ich habe an beidem Spaß, mein Beruf macht mir Spaß, meine Familie macht mir Spaß, nur verbinden kann ich es nicht. Und insofern sind die Widersprüche nicht aufgelöst.

    Die Bundesverfassungsrichterin Renate Jaeger sieht ebenfalls die große Kluft zwischen geschriebenem Recht und der Realität. Der Gesetzgeber hat zwar inzwischen seine Hausaufgaben gemacht und auf dem Papier sieht es gut aus mit der Gleichberechtigung. Seit die Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich nicht anders behandelt wird als die außerhalb der Ehe, seit das Namensrecht modernisiert wurde, sind kaum noch Wünsche an das geschriebene Recht offen und doch besteht kein Grund zum Jubeln:

    In Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit sind die Frauen die ersten, die vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Es tauchen wieder Vokabeln auf, die wir aus den 20er, 30er Jahren kennen von den Doppelverdienern, statt dass über doppelte Berufstätigkeit geredet wird. Wir müssen uns damit abfinden, dass die Frauenfrage immer die Kinderfrage ist und dass jede Frau, die Kinder zur Welt bringt und Kinder erziehen möchte und die diese Ausgabe ernst nimmt, mit erheblichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen hat und das liegt daran, dass Männer häufig genug meinen, mit dem Zeugen der Kinder sei schon das Wesentliche geschehen.

    Erna Scheffler, die erste und viele Jahre lang die einzige Richterin am Bundesverfassungsgericht, hat vor 50 Jahren dafür gesorgt, dass der Verfassungsgrundsatz von der Gleichberechtigung von Mann und Frau auch auf die Gesetze übertragen wurde, die das alltägliche Leben der Menschen regeln. Ob sie sich heute zufrieden zurücklehnen würde, wenn sie sehen würde, was die Frauen erreicht haben? Ihre Nachfolgerin Renate Jäger:

    Ich denke, dass Erna Scheffler, genauso wie andere Frauen heute, sich mit der faktischen Ungleichheit von Frauen beschäftigen würde. Sie hat immer schon beklagt, dass es zu wenig Halbtagsplätze gibt, dass es zu wenig Kindergärten gibt, dass es zu wenig Unterstützung bei der Doppelbelastung der Frauen gibt.

    In der Politik machen inzwischen sehr viel mehr Frauen Karriere als jemals zuvor in der Geschichte der Nachkriegsdemokratie. Doch bis heute hat es keine Bundeskanzlerin oder Bundespräsidentin gegeben, keine Innen-, Außen-, Wirtschafts- oder Finanzministerin. Es gibt unter 16 Ministerpräsidenten nur eine Frau, Heide Simonis in Schleswig-Holstein und nur eine Parteivorsitzende, Angela Merkel bei der CDU. In den Spitzenpositionen in Wirtschaft und Wissenschaft sieht es ähnlich aus. Hildegard Hamm-Brücher, seit 1945 in der Politik, zieht eine deprimierende Bilanz zum Thema Frauen und Politik:

    Die Seilschaft ist natürlich eine Männertradition, an die wir überhaupt noch nicht herankommen können. Das ist so eine unausgesprochene Verständigung zwischen Männern, die sich gegenseitig abtaxieren, aha, der will das. Damit wir beide weiter kommen, müssen wir das vielleicht so und so machen.

    Und die Erfahrung von Rita Süssmuth ist:

    Jung, faltenfrei, attraktiv und charmant soll sie sein und nach Möglichkeit auch pflegeleicht. Diese Erwartungen sind von Frauen gründlich zu durchkreuzen.

    Die Frauen tun das inzwischen auf ihre Art. Da sie faktisch vor die Wahl gestellt werden: Kinder oder Karriere, entscheiden immer mehr Frauen sich gegen Kinder. Die heutige Familien- und Frauenministerin, Renate Schmidtweiß, dass die so genannte Frauenfrage in Wahrheit eine "Kinderfrage” ist. Beispiel Ganztagesbetreuung:

    Ganztageskindergartenplätze gibt es in Westdeutschland zu 18 Prozent. Ansonsten werden uns Ganztages-Kindergartenplätze nach folgendem Schema angeboten: Nämlich früh das Kind bringen, mittags zwischen 11.30 Uhr und 12.30 Uhr wieder abholen, um 14 Uhr kann man es dann wieder bringen und um 16 Uhr, 16.30 Uhr wieder abholen, damit das arme Kleine zu Hause die aufgemachte Dose Ravioli und die Fischstäbchen aus der Tiefkühltruhe bekommt. Und das haben wir uns drei Jahrzehnte gefallen lassen. Die Frauen im ganzen übrigen Europa fragen uns, ob wir noch alle Tassen im Schrank haben.

    Die Frauenfrage ist für Renate Schmidt vor allem eine Männerfrage:

    In Schweden kann sich ein leitender männlicher Angestellter leisten, um 15 Uhr zu sagen: ich muss jetzt meine Kinder aus der Kindertagesstätte abholen und das wird akzeptiert. Bei uns wird gesagt: so ein Waschlappen, das soll doch seine Frau machen.