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"Die Frauen haben die Salafisten aus dem Laden gejagt"

Den Ausgang der ersten Runde der ägyptischen Präsidentschaftswahlen darf man positiv interpretieren, sagt der Politologe Hamed Abdel-Samad. Immerhin hätten die Islamisten deutliche Verluste eingefahren. Vom Westen verlangt er mehr Geduld gegenüber dem Demokratieprozess in der arabischen Welt.

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Beatrix Novy | 27.05.2012
    Beatrix Novy: Wer der nächste Präsident Ägyptens wird, das entscheidet sich wohl Mitte Juni, wenn die gleichauf gewählten Bewerber zur Stichwahl antreten: ein Islamist und ein Mitglied der früheren Mubarak-Regierung. Für westliche Beobachter ist das, als träten Pest und Cholera gegeneinander an, es ist aber gar nicht mal ausgemacht, ob nicht einer der Kandidaten aus dem bunt gefächerten Revolutionslager doch noch nach vorn kommt, es gibt da eine Beschwerde wegen Wahlunregelmäßigkeiten. Und überhaupt: Wie man Wahlbeteiligung, Wahlhergang und auch das Ergebnis sieht, das hängt doch sehr von den Augen ab, die es sehen. Wir wollten es durch die Augen des Politologen Hamed Abdel-Samad sehen, bis kurz vor der Wahl war er in Ägypten. Die Berichterstattung über den Fortgang des Arabischen Frühlings, Herr Abdel-Samad, wurde im letzten Jahr immer pessimistischer. Sind Sie das eigentlich auch?

    Hamed Abdel-Samad: Man kann, wenn man will, diese Wahlergebnisse negativ interpretieren. Es stehen dann ein Muslimbruder und ein Ex-General gegenüber und die Jugend der Revolution bleibt außen vor. Das ist die eine Lesart. Die andere Lesart, die ich bevorzuge, ist eigentlich positiv, dass die Islamisten massiv verloren haben, dass der Kandidat der Muslimbrüder nur 25 Prozent bekommen hat gegenüber 48 Prozent in den letzten Parlamentswahlen - das zeigt die Enttäuschung der Menschen von den Islamisten - und das zivile Lager insgesamt ist über 60 Prozent geworden, das ist eine vollkommen neue Dimension bei diesen Wahlen, und dass endlich auch die Revolution einen Anführer gefunden hat mit dem linken Kandidaten Hamdien Sabbahi, der jetzt für die Jugend ein Hoffnungsträger ist.

    Novy: Was haben die Proteste und was hat der ganze Umbruch unterm Strich bisher gebracht, was ist davon geblieben?

    Abdel-Samad: Revolutionen bedeuten erst mal einen inneren Kulturkampf, dass unterschiedliche Seiten einer Gesellschaft gegeneinander oder miteinander konfrontiert werden, die archaischen Seiten mit den modernen Seiten, Generationskonflikt, und dieser innere Clash of Civilizations oder Kampf der Kulturen wird uns eine Weile beschäftigen.

    Es gibt viel Negatives, das ist richtig, dass diese Revolution auch einige versteckte Krankheiten der Gesellschaften ans Tageslicht gebracht hat, die damals unter der Diktatur nicht ausbrechen konnten, aber gleichzeitig auch viele positive Aspekte wie Kreativität der jungen Menschen, Mut der jungen Frauen, eine neue Debattenkultur, die nicht aufblühen konnte unter der Diktatur. Und jetzt suchen sich natürlich Menschen aus unterschiedlichen Lagern Zugang zueinander, es befreunden sich junge Islamisten mit jungen Linksliberalen und versuchen, eine gemeinsame Sache zu tun.

    Was aus meiner Sicht auch extrem wichtig ist nach dieser Revolution ist, dass diese Autoritätstreue, Herrschaftstreue nicht mehr vorhanden ist. Es gibt keine heilige Kuh mehr in der Politik, keine Militärgeneräle, keine religiösen Figuren, alle werden infrage gestellt. Das ist ein Riesengewinn dieser Revolution und nebenbei auch natürlich, dass die Mauer der Angst ein für alle Mal in Ägypten gefallen ist.

    Novy: Gilt das für das Nil-Delta oder die stammesorientierten Regionen genauso wie für Port Said und Kairo?

    Abdel-Samad: Gilt auch, ist nicht so ausgeprägt wie in den Großstädten, aber auch diese Impulse aus den urbanen Zentren kommen langsam auch in die Dörfer und wir erleben, dass junge Schüler im Nil-Delta demonstrieren in der Schule und wollen den Schuldirektor wechseln, Zwölf- und Dreizehnjährige. Wir erleben Frauen, auch im Nil-Delta, die sich nicht bevormunden lassen von Salafisten.

    Es gab die interessante Geschichte, dass die Salafisten einen Haarsalon im Nil-Delta gestürmt haben und sie wollten die Frauen aus dem Haarsalon vertreiben, weil das unsittlich ist, was sie da machen, und die Frauen haben die Salafisten mit den Schuhen geschlagen und sie aus dem Laden gejagt. Das ist vollkommen neu in Ägypten und das ist auch ein Ergebnis dieser Selbstermächtigung des Volkes.

    Novy: Also diese zunehmend pessimistische und in den letzten Wochen ganz hoffnungslose Haltung ist nicht berechtigt?

    Abdel-Samad: Ich kann verstehen, wenn die Menschen skeptisch sind. Klar freut sich kein Mensch, wenn die Islamisten die Wahlen gewinnen. Aber was ich erstaunlich finde, ist, dass hier in Europa, wo die demokratischen Prozesse Jahrhunderte gedauert haben, dass man hier langsam den Glauben an langfristige demokratische Prozesse schon verloren hat, dass man ungeduldig geworden ist, dass man erwartet, dass alles sich innerhalb eines Jahres verändert. Es entstehen dort neue Gedanken, neue politische Kulturen, und die brauchen Zeit. Skepsis ist gut, wenn daraus Aktion wird, wenn daraus Handeln wird, aber Skepsis ist lähmend und gefährlich, wenn es in Gleichgültigkeit mündet, und das halte ich nicht nur für gefährlich für die Beziehung zwischen Europa und der arabischen Welt, sondern ich halte das für gefährlich für die europäische Demokratie selbst, denn nichts ist schlimmer für die Demokratie als Gleichgültigkeit.

    Novy: Revolution geht mit Facebook, aber nicht im Facebook-Tempo, da gelten noch die alten Begriffe. Dank an Hamed Abdel-Samad für seinen Blick auf die ägyptischen Wahlen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.