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Die ganze Welt erklären

Georg Wilhelm Friedrich Hegel verbreitet unter Philosophie-Studenten noch immer Angst und Schrecken, sein Werk gilt als eine Art Geheimwissenschaft. Hegels Anspruch, die ganze Welt erklären zu können, provoziert um so mehr, als seine Texte schwer zu lesen und zu verstehen sind. Noch 175 Jahre nach seinem Tod schwebt sein Schatten über aller Philosophie.

Von Robert Schurz | 14.11.2006
    "Wo Hegel nachdrücklich abgelehnt wird, vor allem im Positivismus, geht man heute kaum eigentlich auf ihn ein. Anstatt dass Kritik geübt würde, schiebt man ihn als sinnleer ab. Sinnleere ist ein eleganteres Wort für den alten Vorwurf mangelnder Klarheit","

    so Theodor W. Adorno, einer der bekanntesten Hegel-Nachfolger, in seinen berühmt gewordenen "Gedanken, wie Hegel zu lesen sei", einem Vortrag von 1963. Auf der anderen Seite war es Jean-Paul Sartre, der einmal bemerkte, Hegels Evidenz sei erdrückend. Viele Denker fragten sich sogar, ob Philosophie nach Hegel überhaupt noch Sinn mache, da ja in dessen Universalsystem schon alles gesagt sei. Andere Philosophen wie Schopenhauer oder Kierkegaard denunzierten ihn als Scharlatan, der nur unverständliche Phrasen zum besten gebe.

    Hegels Anspruch ist kein geringerer, als die Welt als Ganzes und im Detail zu erklären. Die von ihm entwickelte dialektische Methode entwickelt einen Erkenntnisfortschritt, der durch die Vermittlung von erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt getragen wird. Am Ende siegt die Vernunft, die alles durchdringt und alles beherrscht. Alles in der Welt strebe zu dieser Vollendung, begonnen vom leeren Sein und dem leeren Nichts, bis hin zur Fülle aller natürlicher, historischer und kultureller Erscheinung. Es wäre zu viel verlangt, wollte man aber für jedes Detail eine ausführliche Begründung seiner Notwendigkeit haben.

    ""Hegel selbst ist an jenem unzulänglichen Verfahren keineswegs unschuldig, - es folgt der Linie des geringsten Widerstandes. Stets ist es leichter, sich wie auf einer Landkarte in einem Denken zurecht zu finden, als seiner Triftigkeit im Durchgeführten nachzugehen. So erschlafft Hegel selbst zuweilen, begnügt sich mit formalen Anzeigen, Thesen, dass etwas so sei, wo es erst geleistet werden müsste."

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel wuchs in einer bewegten Zeit auf. 1770 in Stuttgart
    geboren, erlebt er als Student im Tübinger Stift mit seinen Zimmergenossen Hölderlin und Schelling - beide wurden ebenfalls berühmt - begeistert die französische Revolution. Nach seinem Studium der Philosophie und Theologie verdingt er sich als Hauslehrer und kommt mit 31 Jahren schließlich nach Jena, wo er an der Universität zu lehren beginnt. Seine Philosophie wird langsam als eine Art Geheimtipp gehandelt.

    Der Philosoph schreibt sein wohl bekanntestes Werk, die "Phänomenologie des Geistes". Da er aber als außerordentlicher Professor kaum Geld verdient und zudem einen unehelichen Sohn gezeugt hat, nimmt er zunächst eine Stelle als Redakteur in Bamberg, später als Gymnasialdirektor in Nürnberg an, wo er auch heiratet und eine Familie gründet. In der Frankenmetropole muss er acht Jahre lang warten, bevor er eine ordentliche Professur zunächst in Heidelberg, später in Berlin erhält. In Berlin bleibt er bis zu seinem Tod.

    Sein Ruf wird bald legendär: Von nah und fern strömen Studenten herbei, um ihn zu hören, unter ihnen der junge Karl Marx, der später behaupten wird, er habe Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt, indem er dessen Vernunftsystem durch die ökonomische Dimension ergänzt habe. Marxismus und Kommunismus sind ohne Hegel kaum denkbar, aber auch fast alle anderen philosophischen Richtungen des 19. und 20. Jahrhunderts sind von Hegels Denken beeinflusst. Und selbst noch die 68er Generation setzte sich, hier in einem Vortrag von Herbert Marcuse von 1966, mit seiner Philosophie auseinander.

    "Ich möchte soweit gehen, provozierend so weit gehen, zu sagen, dass die Negation in der Hegelschen Dialektik Scheincharakter anzunehmen scheint. (…) Es sieht so aus, als ob durch alle explosiven, radikalen und revolutionären Übergänge und Untergänge in der Hegelschen Philosophie, sich doch immer nur das eine Wesen entfaltet. (…) Letzten Endes kann also nichts passieren."

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel starb am 14. November 1831.