Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Die Geburtsstunde des Urheberrechts

Am 9. September 1886 unterzeichneten zehn Länder die "Berner Übereinkunft ". Damit wurde der Grundstock für den modernen internationalen Schutz des geistigen Eigentums gelegt. Einer der wichtigsten Verfechter des bis heute wirksamen Abkommens war der französische Autor Victor Hugo.

Von Oliver Tolmein | 09.09.2011
    "Mr. Utterson, der Anwalt, war ein Mann mit einem charaktervollen Gesicht, das nie von einem Lächeln erhellt wurde. Er war leidenschaftslos, unzugänglich, im Gespräch verlegen und jeder Gefühlsäußerung abhold."

    Als Robert Louis Stevensons "Dr. Jekyll und Mr. Hyde” 1886 im englischen Original veröffentlicht wurde, gab es noch keinen verbindlichen internationalen Schutz für literarische Werke. In Deutschland oder Italien hätte sich jeder des Werkes bemächtigen oder auch eine unautorisierte Übersetzung veröffentlichen können. Die seit vielen Jahren verhandelte "Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst" stand damals allerdings kurz vor ihrer Verabschiedung. Am 9. September 1886 waren die Verhandlungen endlich erfolgreich abgeschlossen. Ein Kommuniqué verkündete:

    "Die Staatsoberhäupter des Deutschen Reiches, Belgiens, Spaniens, Frankreichs, Großbritanniens, Haitis, Italiens, Liberias, der Schweiz und Tunesiens, gleichmäßig von dem Wunsche beseelt, in wirksamer und möglichst gleichmäßiger Weise das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst zu schützen, haben den Abschluss einer Übereinkunft zu diesem Zweck beschlossen."

    Geistiges Eigentum hatte im 19. Jahrhundert zunehmend auch wirtschaftliche Bedeutung erlangt und war zum Exportgut geworden. Deswegen drängten Autoren- und Verlegerverbände auf internationale Regelungen, die Rechtssicherheit und Gewinnmöglichkeiten auch jenseits der Grenzen ihres Herkunftslandes schaffen sollten. Die von zehn Staaten unterzeichnete "Berner Übereinkunft" erfüllte viele Wünsche der Urheber. Im Zentrum des Abkommens stand das bis heute wirksame sogenannte Schutzlandprinzip, das damals in Artikel 2 festgeschrieben worden war:

    "Die einem der Verbandsländer angehörigen Urheber oder ihre Rechtsnachfolger genießen in den übrigen Ländern für ihre Werke diejenigen Rechte, welche die betreffenden Gesetze den inländischen Urhebern gegenwärtig einräumen oder in Zukunft einräumen werden."

    Insbesondere multikulturell geprägte Staaten wie das Kaiserreich Österreich-Ungarn, Russland und die USA traten der Übereinkunft nicht bei. Der Leipziger Kulturwissenschaftler Hannes Siegerist resümiert in einem Essay über den Weg zur Berner Übereinkunft von 1886:

    "In Österreich-Ungarn befürchteten Verleger, Regierungskreise und Politiker, dass Werke der Weltliteratur nicht in die kleinen Nationalsprachen des Habsburgerreichs übersetzt und von einem Verleger veröffentlicht würden, wenn sie tantiemepflichtig wären. Im Falle von Russland lautete das Argument, dass es sich bei vielen wissenschaftlichen, schulischen und literarischen Publikationen um nicht autorisierte Übersetzungen, Nachdrucke oder Bearbeitungen ausländischer Werke handle. Die eigene Produktion und die Kaufkraft seien zu gering, sodass der Beitritt zu internationalen Abkommen nicht zu empfehlen sei."

    Die Kritik an der mehrfach, zuletzt 1971 revidierten Übereinkunft nimmt wieder zu. Das Internet hat die Debatte über das Verhältnis von Urhebern, Verlagen und Öffentlichkeit neu aufleben lassen. Manche Internet-Aktivisten fordern den Schutz der Autorenrechte radikal zu verringern. Für die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich dagegen das traditionelle Urheberrecht grundsätzlich bewährt:

    "Die Geschichte des Urheberrechts ist die Geschichte seiner permanenten Anpassung an neue Technologien. Für alle technischen Neuerungen – von der Schallplatte über den Rundfunk bis zum Computerprogramm – hat der Gesetzgeber Lösungen gefunden. Das Urheberrecht war immer schon ein Spiegel des Fortschritts, es ist 'work in progress'."

    Die Prinzipien, die für die anstehenden Anpassungen eine Rolle spielen könnten, hat der französische Romancier Victor Hugo formuliert, der im 19. Jahrhundert einer der wichtigsten und engagiertesten Streiter für die Berner Übereinkunft war, aber auch deren Gefahren sah:

    "Das Buch als Buch gehört dem Autor, aber als Gedanke gehört es – der
    Begriff ist keineswegs zu mächtig – der Menschheit. Jeder denkende Mensch hat ein Recht darauf. Wenn eines der beiden Rechte, das des Autors oder das des menschlichen Geistes, geopfert werden sollte, dann wäre es, zweifellos, das Recht des Autors, denn unsere einzige Sorge gilt dem öffentlichen Interesse, und die Allgemeinheit, das erkläre ich, kommt vor uns."