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Die Gefahr lauert unter der Erde

Landminen sind heimtückische Waffen und stecken in vielen Ländern noch immer im Boden. In Kambodscha spüren von Deutschland finanzierte Minenräumer die gefährlichen Hinterlassenschaften auf.

Von Klaus Bardenhagen | 02.04.2011
    Eine Gruppe von etwa 100 Männern singt Kambodschas Nationalhymne. Sie tragen hellblaue Uniformen und stehen in Reih und Glied. Doch es sind keine Soldaten, die sich an diesem verregneten Morgen versammelt haben, auf einem schlammigen Platz am Rande der Provinzhauptstadt Siem Reap, im Nordwesten Kambodschas. Es ist der Minenräumverband Sechs, angetreten, um auszurücken auf die Minenfelder des Landes.

    Ihr Kommandant ist der einzige Ausländer. Peter Willers war Oberstleutnant der Bundeswehr und ist eigentlich schon pensioniert. Mit 70 leitet er nun seit drei Jahren den Räumverband mit insgesamt 350 Mann. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes, denn das Geld kommt von der Bundesregierung.

    "Das sind Vollprofis, die arbeiten seit Jahren im Feld. Wir haben letzten Monat fast 500 Minen gefunden, das ist ein tolles Ergebnis, und dann lobe ich auch die Leute und die Leute freuen sich, dass ihre Arbeit anerkannt wird."

    Nach der kurzen Zeremonie verstauen die Minenräumer ihre Ausrüstung auf geländegängigen Lastwagen, die sie zu ihren Einsatzorten bringen sollen. Einige sind ganz in der Nähe, einige liegen an der Grenze zu Thailand, mehrere Stunden entfernt. Dort leben sie drei Wochen lang in einfachen Mannschaftsquartieren, bevor es wieder eine Woche Heimaturlaub gibt. Ehefrauen und Kinder sind zur Verabschiedung gekommen.

    "Manchmal mache ich mir Sorgen, wenn mein Mann im Minenfeld arbeitet. Aber es ist seine Pflicht, so befreit er unser Land von den Minen, und er verdient Geld für unsere Familie."

    "Mein Mann räumt Minen seit 1993. Ich mache mir keine Sorgen mehr. Er hat mir erzählt, wie er im Trainingszentrum ausgebildet wurde. Also weiß er genau, was er im Minenfeld zu tun hat."

    Kambodscha ist eines der am stärksten verminten Länder der Welt. Der Vietnamkrieg, das Schreckensregime der Roten Khmer, eine Invasion der Vietnamesen und jahrzehntelanger Bürgerkrieg haben das Land verwüstet. Besonders die Landbevölkerung leidet unter der Verminung ganzer Landstriche. Überall auf den Dörfern schleppen sich Minenopfer mit Prothesen oder auf Beinstümpfen durchs Leben.

    Fast alle im Minenräumverband 6 waren früher selbst Soldaten. Nun arbeiten sie daran, wieder unschädlich zu machen, was ihre Armeen hinterlassen haben. Die Zahl der Minenunfälle in Kambodscha ist zurückgegangen. In den Neunzigern waren es mehr als 2000 pro Jahr, zuletzt nur noch knapp 300.

    Außerdem geht es darum, Ackerland zurückzugewinnen. Auf vielen Minenfeldern wuchs früher Reis. Sun Sot ist Bürgermeister eines kleinen Dorfes in der Nähe von Siem Reap. Gleich neben den auf Pfählen gebauten Holzhäusern ist das Räumkommando Sechs im Einsatz.

    "Wir sind den Minenräumern und den Geberländern sehr dankbar. Sie helfen uns, das Land voranzubringen, und unser Dorf. Ich hoffe, dass wir in Zukunft dieses Land wieder bewirtschaften, und dass unsere Kinder unbesorgt dort spielen können, wo vorher ein Minenfeld war."

    Am Dorfrand markieren rote Schnüre den sicheren Bereich. Die Vegetation, die sonst übermannshoch wuchert, wird hier zurückgeschnitten und abgetragen bis auf das nackte Erdreich. Geschützt mit Splitterweste und Schutzhelm, die Füße immer im sicheren Bereich, arbeiten die Minenräumer sich Meter für Meter vor. Mal mit der Motorsense, meist aber mühsam mit Heckenschere und Handarbeit. Nur etwa einen halben Quadratmeter misst der Bereich, den sie auf einmal freischneiden.

    Mit dem Metalldetektor fahren sie dann nur wenige Zentimeter über das Erdreich. Hin und zurück, bis sicher ist, dass kein Metall in der Erde steckt. So eintönig und mühsam die Arbeit ist: Die Gefahr kann überall verborgen sein. Im vergangenen Jahr entdeckte die Einheit mehr als 20.000 Minen und Blindgänger

    "Die oberste Priorität hat immer die Disziplin. Es darf kein Zentimeter über die Linie getreten werden, die nicht entmint ist. Es darf nicht sein, dass irgendeiner eine Abkürzung nimmt. Es darf nicht sein, dass einer sein Gerät in einen nicht entminten Teil wirft. Striktes Beachten der Regeln ist der Weg zum Erfolg."

    Erfolg heißt, dass jemand wie Chhim Sokan schon 20 Jahre unfallfrei als Minenräumer arbeitet.

    "Die Einheit ist für mich wie meine eigene Familie zu Hause. Wir sind immer füreinander da. Wenn es mal Probleme gibt, kann ich mich auf die anderen verlassen."

    Knapp 200 US-Dollar verdient Chhim Sokan als Minenräumer pro Monat. Für Kambodscha, wo selbst Lehrer und Polizisten weniger als 100 Dollar verdienen, ein attraktives Gehalt.

    Wenn der Metalldetektor ausschlägt, greifen die Männer zu Schaufel, Pinsel und der Minensonde, einer Art langen Stricknadel, mit der sie vorsichtig von der Seite ins Erdreich stochern. Meist finden sie nur Granatsplitter, Nägel oder alte Patronenhülsen.

    Doch diesmal ist es tatsächlich eine Mine, die den Alarm ausgelöst hat. Ein dunkelgrünes rundes Plastikkästchen, kleiner als ein Margarinebecher. Ein sowjetisches Modell erkennt Peter Willers auf einen Blick.

    "Fünf Kilogramm Druck genügen zum Auslösen, und sie liegt direkt im Umfeld von Häusern, also ein spielendes Kind löst diese Mine aus, hochgefährlich. Ich selber freue mich immer sehr, wenn wir so eine Mine finden. Am Ende des Tages werden die Fundminen des heutigen Tages gesprengt. Dann ist die Gefahr gebannt, und die Mine ist von dieser Welt."

    Der Sprengplatz ist irgendwo in den Reisfeldern. Eine flache Grube, in der Willers Sprengmeister vier Minen platziert, dann 100 Gramm Sprengstoff. Auch der 44-Jährige war früher Soldat. Mehr als 100 Meter weit zieht er das Zündkabel durch die Landschaft.

    In sicherer Entfernung dreht er am Kurbelzünder. Fast zehn Meter hoch schießt eine Staubwolke in die Höhe. Vier Minen sind unschädlich gemacht. Spätestens in zehn Jahren soll Kambodscha komplett minenfrei sein, hat die Regierung verkündet. Dann müssten die Männer vom Räumverband 6 in Pension gehen oder sich eine andere Arbeit suchen. Einige werden sogar schon abgeworben - in andere Länder, wo auch die unsichtbare Gefahr unter der Erde lauert.