Mittwoch, 24. April 2024

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Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen

Während den Rechtsextremen wie der DVU die Mischung mehrerer Kulturen auf dem Terrain eines Staates als antinational und undeutsch gilt, wünschen sich die politisch Korrekten, die Wohlmeinenden und Demokraten eine multikulturelle Gesellschaft herbei. "Multikulti" - das klingt nach der Versöhnung von Pizza und Döner, nach der Kuschelecke, in der Muslime, Juden und Christen gemeinsam fliegende Verständnis-Teppiche knüpfen.

Tobias Gohlis | 24.06.1998
    Diesen Schwärmern von paradiesischem Miteinander und interkultureller Harmonie wird das neue Buch des Münchner Kommunikationswissenschaftlers Frank Böckelmann, soeben in der Anderen Bibliothek erschienen, nicht gefallen. Unter dem Titel "Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen" hat er die Ergebnisse mehrerer Untersuchungen zusammengefaßt, die das politische Ziel einer multikulturellen Gesellschaft nicht nur als illusionäre, eurozentrische Selbsttäuschung erscheinen lassen, sondern auch als Versuch, das jeweils Eigene der Anderen, ihr Fremdsein eben, auszulöschen. Mißtrauisch wurde Böckelmann, als er feststellte, daß in den Artikeln und Fernsehberichten über Ausländer in Deutschland das, was uns als erstes am Fremden auffällt - Gesicht, Geruch, Gestalt, Verhalten - überhaupt nicht oder verzerrt thematisiert wurde.

    Wie aber kann man behaupten, den anderen verstehen zu wollen, wenn man ihn sich nicht einmal ansieht? Böckelmann empörte der, wie er schreibt, geistige "Zustand unbestimmter, blinder Weltoffenheit, die gegen alles immunisierte, was an Besuchern reizen oder aufreizen könnte”, und begann, in Deutschland lebende Chinesen, Japaner und Westafrikaner zu befragen, wie sie die Europäer wahrnehmen.

    So erfuhr Böckelmann, daß Japaner etwa die Heirat mit einem Europäer keineswegs für das höchste halten. Zitat: "Man machte mir klar, daß weder körperliche Überlegenheit noch achtunggebietender Erfolg das angeborene Gebrechen des Ausländerseins vergessen machen kann.” Wie aber kommt es zu den Wahrnehmungsstereotypen? In einem zweiten Schritt erforschte Böckelmann die Geschichte der kulturellen Begegnungen. In langen, ungemein spannend nachzulesenden Kapiteln skizziert er, wie die Japaner die Europäer und die Europäer die Japaner seit ihrer ersten Begegnung wahrnahmen, auch die Beziehungsgeschichte zwischen Chinesen und Europäern sowie zwischen Afrikanern und Europäern entfaltet er. Es ist eine Geschichte großer Projektionen, endloser Fehlwahrnehmungen und fortdauernden Nicht-Verstehens und vor allem Nicht-Verstehen-Könnens. Weder Aufklärung noch weltweiter kapitalistischer Warenverkehr haben über Jahrhunderte die Begegnungsmuster verändert.

    Offenkundig kann man eine so lange währende und verfestigte Geschichte nicht mehr rationalistisch als "Mißverständnis zwischen den Kulturen” ansehen. Wenn es sich bei der Begegnung von Kulturen und Völkern tatsächlich um komplizierte Liebes-Affairen handelt, dann kann man diese auch nicht zu der Einsicht bewegen, sich zu mögen oder gar zu lieben. Wenn dem - bei allen kleinen polemischen Seitenhieben auf die therapeutische Verständigungssäuselei - differenzierten und glänzend formulierten Buch Böckelmanns ein Plädoyer zu entnehmen ist, dann das für die Anerkennung des Fremden im Konkreten.

    Der wie immer bei der Anderen Bibliothek sorgfältig und sinnfällig gestaltete Umschlag des Buches zeigt drei scharf voneinander abgegrenzte Felder: ein gelbes, ein schwarzes, ein weißes. So sollten sie bleiben, ist Böckelmanns These, damit die Gelben, die Schwarzen und die Weißen zusammen leben können.