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Die Geschichte des Sparens
Von einer bürgerlichen Tugend bis zum "Kaputtsparen"

Im 18. Jahrhundert stieg das Sparen zu einer bürgerlichen Tugend auf. Die Nationalsozialisten beuteten Sparer aus, nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen trugen diese zum Wirtschaftswunder bei. Und wie ist es heute? Ein Blick auf das Sparen im Wandel der Zeit.

Von Norbert Seitz | 07.06.2018
    Sparschwein mit grafischen Münzen
    "In Deutschland möchte man in allen Bereichen Weltmeister sein, so auch beim Sparen. Und es zeigt vor allem an, dieser Begriff, dass es wichtig ist für das deutsche Selbstbild, für die deutsche Identität. Es ist wichtig, beim Sparen ganz weit vorne zu sein. Mit der Realität hat das relativ wenig zu tun", meint Robert Muschalla, Kurator der Ausstellung "Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend", die gerade im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen ist. Sparweltmeister? In der kleinen Schweiz und im Riesenreich China werden viel höhere Sparquoten registriert. In Italien und Japan dagegen ziemlich niedrige. Was wiederum zeigt, dass beim Sparen weniger rationale Überlegungen, sondern eher habitualisierte, kulturelle Prägungen eine Rolle spielen.
    Muschalla: "Ursprünglich hat man ja die Situation gehabt, dass es eine große Bevölkerungsvermehrung gab seit Mitte des 18. Jahrhunderts schon. In Frankreich hat man mit der Revolution reagiert, in Deutschland hat man Sparkassen gegründet, um die Leute zu einem arbeitsamen und sparsamen Lebensstil zu erziehen."
    Im Verbund mit Ordnung, Reinlichkeit und Pünktlichkeit
    Sparsamkeit war aber kein neuer Wert. Dieses Postulat habe es schon in der frühen Neuzeit gegeben, zunächst einmal bezogen auf den Umgang mit den Dingen, zum Beispiel in der bäuerlichen Familie, führt Sandra Mass aus, Professorin für Transnationale Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum: "Für das 18. Jahrhundert wurde Sparsamkeit dann zu einem Wert, einer bürgerlichen Tugend im Verbund mit Ordnung, Reinlichkeit und Pünktlichkeit und verband sich auch immer stärker mit dem Umgang mit Geld, also eine sukzessive Ablösung vom sparsamen Umgang mit den Dingen. Daneben trat dann der Umgang mit Geld und war sozusagen ein Modus, um in der Zukunft wichtige Entscheidungen treffen zu können."
    Sparsamkeit einzuüben, hieß, die Unterscheidung zwischen Gegenwart und Zukunft kennen zu lernen. In der Zukunft sollten die wichtigen Zukunftsentscheidungen getroffen werden, die man sich in der Gegenwart versagt hatte. Die neu gegründeten Sparvereine predigten die Unabhängigkeit vom Staat, Hilfe zur Selbsthilfe und gingen dabei von dem Klischee aus, dass die Männer der Arbeiterschichten ihre Löhne sofort in den Schänken umsetzen würden, so dass den Familien nur die Misere bliebe. Wer waren die Träger der Sparvereine?
    Sandra Mass: "Bürgerliche Philantropen, die sich Sorgen machten, dass die unteren Schichten es nicht schaffen würden, ihre Pfennige, ihre kleineren Geldbeiträge zurück zu legen. Dahinter stand die Sorge, dass sofort konsumiert würde, vor allem Alkohol, dass man also für zukünftige missliche Lagen nicht vorsorgen konnte."
    Im 19. Jahrhundert stark instrumentalisiert
    Doch bei der individuellen Vorsorge blieb es nicht. Das Sparen wurde rasch politisiert. Mass: "Und zwar auf drei Ebenen, erst einmal als ein Mittel zur Reduktion revolutionärer Umtriebe, als Mittel gegen die Sozialisten; Zweitens als Mittel zur Stabilisierung der Volkswirtschaft im Rahmen des Wettlaufs der Nationen vor dem Ersten Weltkrieg und natürlich drittens als Beweis der eigenen Entwicklungsfähigkeit im Vergleich mit den vermeintlich nicht sparenden 'Wilden' oder auch in den Kindern."
    Gerade in den politischen Auseinandersetzungen um die soziale Frage im späten 19. Jahrhundert wurde das Sparen stark instrumentalisiert. Das monetäre Verhalten unterprivilegierter Schichten geriet auf den bürgerlichen Index: Nicht die Klassenverhältnisse, sondern individuelles Versagen im Umgang mit Geld galt als eine der Ursachen für die gesellschaftliche Armut.
    Schalterraum der Berliner Sparkasse, nach einer Zeichnung von Albert Kiekebusch (1894)
    Schalterraum der Berliner Sparkasse, nach einer Zeichnung von Albert Kiekebusch (1894) (Copyright: Historisches Archiv der Berliner Sparkasse)
    "Zum anderen ist natürlich die nicht ganz unberechtigte Vorstellung, dass der- oder diejenige die, die etwas gespart hat, vielleicht auch weniger dazu bereit ist, alles aufs Spiel zu setzen, um etwa revolutionären Strömungen nachzugehen. Aber es ist in jedem Fall eine Vorstellung, dass wer gespart hat, das lieber erhalten möchte und insofern eher Bewahrer der bestehenden Zustände sind. Und wenn das dann gerade die Armen mitmachen, umso besser vielleicht", ergänzt Raphael Gross, Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Schlimmer noch: Die politische Instrumentalisierung des Sparens erfuhr im Nationalsozialismus ihren hässlichen Höhepunkt, als es dem antisemitischen Gegenbild diente: Hie der arbeits- und sparsame deutsche Volksgenosse, dort das anonyme, raffende jüdische Finanzkapital.
    Kurator Robert Muschalla: "Und das ist natürlich etwas, dieses komplementäre Verhältnis, was die Nationalsozialisten dann ganz explizit aufgegriffen haben. Vorher existierten Sparideologie und Nationalsozialismus als zwei Seiten einer Medaille nebeneinander. Im Nationalsozialismus werden sie ganz explizit in einen Zusammenhang gesetzt."
    Ideologisch benutzt durch das NS-Regime
    Das Sparen im Dienst der Politik wurde nirgends so ideologisch benutzt und praktisch forciert wie durch das NS-Regime. Johannes Bähr, Wirtschaftshistoriker an der Universität Frankfurt am Main nennt die Gründe: "Zum einen war es ein Instrument der Rüstungsfinanzierung ab 1935/36. Die haben sich also an die Spargelder gehalten. Zum anderen ein Instrument zur politisch-ideologischen Durchdringung der Gesellschaft im Sinne der Formierung einer Volksgemeinschaft. Und zum dritten eben auch verbunden mit einer Konsumerwartung, die sich besonders in den Sondersparformen niedergeschlagen hat."
    Die Gleichschaltung der Sparkassenorganisation lief relativ reibungslos, hatte es doch von jeher Berührungspunkte zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und dem Sparkassengedanken gegeben.
    Bähr: "Die Sparkassen hatten viele Sympathien in der NSDAP. Sie waren heimatverbunden, sie waren bodenständig, sie waren auf den Mittelstand hin ausgerichtet. Sie waren eigentlich ein Gegenmodell zum Großkapital, das die Partei zumindest propagandistisch bekämpft hat, das angeblich jüdische Finanzkapital."
    "Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart"
    Das Gemeinnützigkeitsprinzip der Sparkassen wurde der NS-Leitidee "Volksgemeinschaft" untergeordnet. Spargedanke und Volksgedanke trafen sich unter der nationalistischen Parole: "Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart". Dabei wurden die Sparer vom Regime perfide ausgebeutet und hintergangen, zum Beispiel bei der Aufrüstung.
    Johannes Bähr: "Das war das System der sogenannten geräuschlosen Rüstungs-finanzierung, das Hjalmar Schacht eingeführt hat. Das beruhte im Unterschied zum Ersten Weltkrieg darauf, dass die Staatschulden nicht mehr als Anleihen im Publikum bei der Bevölkerung platziert wurden, sondern nur noch bei Geldinstituten, Sparkassen, Banken, so auch bei Sozialversicherungsträgern und Versicherungen. Man wollte damit verhindern, dass wie im Ersten Weltkrieg die Bevölkerung an der Kursentwicklung ablesen kann wie ihr Vermögen schwindet. Und mit dieser geräuschlosen Finanzierung wurde in etwa die Hälfte der Staatsschulden dadurch bestritten."
    So beeindruckend die Sparquoten während der Nazizeit zunächst gewesen sein mögen, bei genauerem Hinschauen zeigt sich allerdings, dass der größte Anstieg in der Kriegszeit stattfand, als es kaum Konsumangebote gab. Das Sparen geriet zur abgeschöpften Kaufkraft, denn das angesparte Geld konnte gar nicht ausgegeben werden. Und die Sondersparnisse - das Reisesparen für die KdF-Dampfer, Olympiasparen auf Eintrittskarten, das Schul- oder HJ-Sparen blieben volkswirtschaftlich bedeutungslos.
    Bähr: "Es war nicht so populär, wie es von den Nationalsozialisten dargestellt wurde. Es kamen keine größeren Beträge zusammen. Selbst das Heimsparen, das war die wichtigste Sondersparform, hatte etwa nur 0,5 Prozent der Spareinlagen auf sich vereinigt. Wichtig waren diese Formen aus propagandistischen Gründen, dass man die Volksgemeinschaft praktisch in allen Phasen erreicht, parallel zur Erziehung etwa in der Hitlerjugend, im Bund Deutscher Mädchen, dann eben auch eine Sparerziehung, von der Wiege bis zur Bahre."
    Wirtschaftswunder als eigentliches Sparwunder
    Selbst das populäre Sparen auf den KdF-Wagen – den Volkswagen - blieb eine Propagandalüge. Es waren meist Mittelständler, die da darauf gespart haben. Für den Arbeiter war er ohnehin nicht erschwinglich. Aber in den Kriegsjahren hat kein Wagen das Werk verlassen, die Sparer sind um das Geld betrogen worden.
    So gab es bis zur militärischen Niederlage in Stalingrad Erwartungen der Sparer auf einen baldigen "Endsieg" – danach nicht mehr. Das Sparvermögen im nationalsozialistischen Groß-Deutschland wurde hernach in der kleineren Bundesrepublik – schon wegen der höheren Einkommen – bei weitem übertroffen. Wer geglaubt hatte, die sprichwörtliche deutsche Sparmentalität hätte durch zwei Inflationen einen Knacks erfahren, wurde im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit eines Besseren belehrt.
    Wirtschaftshistoriker Bähr: "Das Wirtschaftswunder war dann das eigentliche Sparwunder. Und es ist erstaunlich, dass die Sparer nach dieser Erfahrung der Inflation und Währungsreform dann trotzdem wieder angefangen haben, auf diese Anlageform zu setzen. Man muss sich vorstellen, die Deutschen haben in einer Generation innerhalb von fünfundzwanzig Jahren zweimal einen großen Teil ihrer Ersparnisse verloren, 1923 und dann wieder bei der Währungsreform 1948, wo dann aus gesparten einhundert Reichsmark 6 DM 50 wurden."
    Sparen wird zum Lebenstil
    Mag sein, dass in allen Zeiten für individuelle Ziele gespart wurde, in der rationalen Erwartung, sich mehr Konsumgüter leisten zu können und sich gegen Risiken im Alter abzusichern. Dass jedoch gerade in Deutschland trotz des jähen Wandels die Sparneigung eine erstaunliche Konstanz aufweist, führt Kurator Robert Muschalla auf tiefere kulturelle Prägungen zurück.
    "Schon in den zwanziger Jahren, nach der Hyperinflation, ist der Begriff 'Sparwunder' geprägt worden für das fast reflexhafte Weitersparen. Und das ist das, was wir 1948 wiedersehen, man kann konstatieren, dass zu dem Zeitpunkt Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts offenbar die lange andauernde Sparerziehung, vielleicht sogar die Indoktrinierung zum Sparen gewirkt hatte, und das unabhängig vom ökonomischen Kalkül existiert hat und quasi zum Lebensstil geworden ist."
    Ungeachtet ihrer ökonomischen Erfolgsverwöhntheit sind über Generationen tiefsitzende dumpfe Ängste vor neuerlichen Inflationen geblieben. Was 2008 nach der Leman-Pleite und der dadurch ausgelösten Schuldenkrise zu dem Geschichte machenden Auftritt der Kanzlerin Merkel und ihres Finanzministers Steinbrück führen sollte. Angela Merkel: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein."
    Eine Seniorin zieht einen 20 Euro Schein aus ihrem Portemonnaie.
    Der Ruf des Sparens hat gelitten, heute gibt es kaum noch Zinsen dafür (imago / imagebroker)
    "Es gab eine große Angst bei den Politikern, und diese Angst hat sehr stark damit zu tun, dass man so ein Bild vor Augen hatte eines Runs auf die Bankkonten und es tatsächlich zu einem Kollaps des Finanzsystems gekommen wäre", kommentiert Raphael Gross. Ganz sicher konnte man sich einer gelassenen Reaktion der Sparer nicht sein. Axel Börsch-Supan, Direktor am Münchener Max-Planck-Institut für Sozialrecht, hat die unmittelbaren Folgen auf die Garantieerklärung Merkels untersucht.
    "Dieser Auftritt der Beiden hat eine große Rolle gespielt, sicher zu sein, dass die Sparkonten schlimmstenfalls durch den Staat garantiert werden, einfach weil das die historische Angst davon, dass die Sparkonten von heute auf morgen entwertet werden in der Hyperinflation, dahin gewirkt hat. Man sieht in den Daten, dass es einige Verkäufe gab, die fast alle falsch waren und wo die Leute durch die Verkäufe Geld verloren haben. Das Erstaunliche ist (…): Ganz schnell hat sich das wieder stabilisiert. Und es ist kaum jemand mit großen Vermögensverlusten herausgegangen. Ganz anders als in den Vereinigten Staaten, wo es Riesenvermögensverluste gegeben hat."
    Austeritäts-Politik in der EU gilt als "Kaputtsparen"
    Um die politische Dimension des Sparens tobt seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise ein ideologischer Streit. Die Austeritäts-Politik in der EU gilt - polemisch gesprochen - als "Kaputtsparen", das Prinzip der "schwarzen Haushaltsnull" und die Schuldenbremse in Verfassungen als Investitionsblockade. Mit einem deutschen Sparkommissar, der bislang mehr oder minder das Kommando gab. So geriet das sprichwörtliche deutsche Sparen auf den polemischen Index überschuldeter Südeuropäer und rechtspopulistischer Demagogen, deren Gegnerschaft zur EU sich gerade auch auf sogenannte deutsche "Spardiktate" gründen. Doch das ist nur das öffentliche Sparen. Gleichzeitig fristet der deutsche Sparer derzeit eine zinslose Existenz. Und dies zum Wohle auch der Stabilisierung Südeuropas.
    Kai Uwe Peter, Direktor der Berliner Sparkasse, erläutert die als frustrierend empfundene Situation: "Im Moment ist das Sparen in Frage gestellt, weil es für sichere Anlagen praktisch keine Zinsen mehr gibt. Die Ursache dafür ist die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und anderer Zentralbanken auf der Welt. Das heißt, jetzt bezahlen wir einen gesellschaftlichen Preis, der alle Menschen trifft. Auf der anderen Seite bekommen wir etwas, nämlich im Moment die Stabilität noch im Eurosystem oder in der Weltwirtschaft, die nur durch die Maßnahmen zum Beispiel von Herr Draghi erhalten werden konnte. Also staatliche Stabilität in den Volkswirtschaften zu Lasten privat geringer Zinseinnahmen – das ist die bittere Abwägung, die die Politik gerade zu treffen hat."
    Neben dieser systemfreundlichen Erklärung des unfreiwilligen Zinsverzichts gibt es auch kritischere Analysen wie die des Soziologen und Kapitalismus-Kritikers Wolfgang Streeck, der in der langfristigen Niedrigzinspolitik eine Verlagerung von Geldmarktverlusten auf private Kleinanleger sieht. Die deutsche Tugend des unverdrossenen Sparens behält auf diese Weise ihre eminent politische Bedeutung.