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Die geselligen Affen

Am vielschichtigen Sozialverhalten des Menschen arbeiten sich die wissenschaftlichen Disziplinen schon lange ab. Wird Sozialverhalten durch die Biologie erklärt? Spielt das Lernen hier die entscheidende Rolle? Können Tiere lernen wie Menschen? Solange es Menschen und Tiere gibt, darf über Unterschiede und Entsprechungen im Sozialverhaltens diskutiert werden.

Von Bettina Mittelstrass | 17.12.2009
    Es gibt viele Tiere, die erstaunliche Dinge beherrschen ohne jemals eine Chance zu haben, das zu lernen. Mauersegler zum Beispiel fliegen direkt aus dem Nest und können fliegen.

    "Sie fliegen, kreisen, kreischen, pflanzen sich fort. Sie kreischen, kreisen und fliegen. Mauersegler sieht man nie allein. Aber um zu lernen, wie sie sich als Mauersegler verhalten sollen, brauchen sie keine Artgenossen."

    Viele Zugvögel finden den Weg nach Afrika zu ihrem Winterquartier ohne jemals eine Chance gehabt zu haben, das von älteren Tieren lernen zu können. Sie finden diesen Weg einfach. Sie sind sozusagen vorprogrammiert von der Natur, das richtig zu machen.

    Verhalten wird also nicht zwingend gelernt, sagt Peter Hammerstein, Professor für Theoretische Biologie an der Humboldt Universität zu Berlin. Lernen überhaupt - als ein bestimmtes Verhalten - ist keineswegs selbstverständlich in der Natur.

    "Lernen wird aber wichtig überall da, wo die Umwelt Variationen aufweist und wo es während des Lebens eines Individuums wichtig ist, sich auf die exakten Umstände einzustellen, die jetzt gerade vorherrschen. Und in einer hochvariablen Umwelt muss eben sehr viel gelernt werden."

    Menschen zum Beispiel haben sehr viel voneinander zu lernen, weil ihre Umwelt viel variabler ist als die von Mauerseglern. Die Kluft zwischen Mensch und Tier wird hier deutlich. Aber schon der Vergleich mit Affen - unseren nächsten Artverwandten - verwischt die Unterschiede wieder. Affenverhalten schließt soziales Lernen mit ein. Feldforscher gehen zum Beispiel davon aus, dass Affen einen erlernten Gebrauch von Werkzeug an andere Affen weiter vermitteln. Im Experiment mit gefangenen Tieren konnte der Entwicklungspsychologe Andrew Whiten von der University of St. Andrews in Großbritannien das vor einigen Jahren nachweisen. Whiten bot einer Äffin ein Stück Nahrung so an, dass die zunächst eine komplizierte Maschinerie in Gang setzen musste. Peter Hammerstein:

    "Er hatte in Gefangenschaft Gruppen von Schimpansen und hat einem einzigen Tier erklärt wie das geht. Also der hat sozusagen das gelernt mit Hilfe des Menschen. Und dann wurde die Äffin wieder zurück gebracht in die Gruppe, und nach relativ kurzer Zeit konnten es alle. Und er konnte auch zeigen in ähnlichen Experimenten, dass sich auch von Gruppe zu Gruppe solche Eigenschaften übertragen haben, und das konnte nun wirklich nur social learning sein. Also hier sind die Gene nicht im Verdacht, an dieser Sache direkt beteiligt gewesen zu sein."

    Die Lernkapazität bei Affen ist enorm, sagt auch die Verhaltensbiologin Julia Fischer, Professorin für Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum und der Universität Göttingen.

    "Wenn es darum geht: Was kann man essen? Das ist ein riesiges Thema, dass die kleinen Kinder immer von Vorne herein darauf achten, was die Mutter sich in den Mund schiebt und daran riechen. Da lernen sie in der frühen Phase, was eben geht und nicht."

    Kann ein Affe dann im Prinzip alles irgendwann einmal lernen und den Unterschied zum Menschen restlos verwischen? Nein, sagt Julia Fischer. Es gibt zum Beispiel Grenzen in Bezug auf sprachliche Kommunikation. Die aber gehört ganz entscheidend zum Sozialverhalten jeder Spezies. Tierverhaltensforscher sehen sich hier die Lernfähigkeit auf zwei verschiedenen Ebenen an: beim Sender und bei beim Empfänger.

    "Wieviel Freiheitsgrade in der Entwicklung gibt es eigentlich senderseitig und empfängerseitig? Und bei Affen ist es zum Beispiel so, dass die Laute eigentlich alle angeboren sind. Und was sie lernen, allenfalls, das ist, wann ein Laut eingesetzt werden muss. Aber im Grunde haben die Tiere kaum Einfluss darauf - also willkürlichen Einfluss - wie ein Laut beschaffen ist. Also Affen können keine Laute imitieren. Und da sind sie also wirklich sehr, sehr stark eingeschränkt."

    "Andererseits ist es aber so, dass sie alle möglichen Laute mit Bedeutung belegen können. Sie können also verstehen, dass, wenn der eine Affe diesen Laut macht, dann heißt das wohl: Da ist ein Löwe irgendwo zu sehen und Alarm rufen, ich muss in die Büsche rennen oder einen Baum hoch rennen. Oder sie können auch die Laute von anderen Arten interpretieren, also zum Beispiel Pfiffe von Antilopen. Da wissen sie: Wenn die Antilope einen Pfiff macht, ah, da ist auch ein Löwe! Also da ist es sehr flexibel. Und genauso können sie natürlich auch lernen, wenn man sie dressiert, auf bestimmte menschliche Kommandos zu achten. Und da fällt das so ein bisschen auseinander. Also senderseitig eben stark eingeschränkt, sehr stark genetisch programmiert. Und Erfahrung spielt dann eine riesige Rolle bei den Empfängern."

    Sprachliches Nachäffen ist also ein Problem für Affen. Unterschiedliche sprachliche Kommandos zu verstehen aber nicht. Menschen verfügen auf beiden Ebenen über eine hohe Flexibilität. Die Komplexität sprachlicher Kommunikation beim Menschen bleibt unerreichbar für Tiere. Aber: Emotionale Verständigung über Lautsprache verbindet Mensch und Tier wiederum. Julia Fischer:

    "Abgesehen von der gesprochenen Sprache drücken wir auch ja die ganze Zeit noch was mehr aus. Also wir drücken unsere Erregung aus, wir drücken aber auch Aversion aus oder Wohlgefallen. Dann gibt es natürlich auch eine ganze Menge Laute, die wir als Menschen manchen, die einfach nur Laute sind, also Juchzen, Weinen, Lachen, Grunzen, alles Mögliche, oder 'Hmmmm'. ...Und da sind die Gemeinsamkeiten zum Tier. Und da kann man auch, sagen wir mal, ähnliche Regeln finden. Also wenn ich etwas aversiv finde und mich ekele oder mich erschrecke und schreie, dann ist das einem Affenschreckschrei nicht besonders unähnlich."

    Dass wir eine Biologie haben wie Tiere auch, bestreitet niemand. Der Knackpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Sozialwissenschaftlern und Biologen ist immer der, wie weit der Mensch in seinem Verhalten von Biologie bestimmt ist. Ganz oder gar nicht? Mehr oder weniger? Wovon geht man aus? Der Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Max Plank Institut für Bildungsforschung in Berlin, etwa sagt: Wir sind vielmehr Tier in unserem Verhalten als uns manchmal lieb ist.

    "Eine Kerneinsicht von Evolutionsbiologie ist, dass man Verhalten nicht allein intern erklären kann durch Motive, durch Präferenzen, durch Einstellungen - wie es ein großer Teil der Psychologie macht, von Freud bis heute. Sondern wir können lernen, dass das Verhalten eine Funktion von Umwelt und Gehirn ist. Und dann verstehen, wie abhängig die beiden voneinander sind."

    Gerd Gigerenzer versucht, intuitives Handeln beim Menschen besser zu verstehen, und zieht dabei auch Vergleiche zur Tierwelt. "Bauchentscheidungen" werden seiner Ansicht nach unterschätzt, weil in unserer Vorstellung der Mensch als rational gesteuertes Kulturwesen vorherrscht.

    "Wir Menschen haben sicher viel mehr im sozialen Bereich, im emotionalen Bereich zu bieten als Tiere, aber andere Dinge sind ganz ähnlich. Und eines der Beispiele ist eben wie ein Sportler einen Ball fängt. Und er macht es in der gleichen Art und Weise wie ein Hund einen Frisby fängt – nämlich: Der Hund hält sein Auge an dem Ding und versucht, den Blickwinkel konstant zu halten. Und so läuft er. Und dasselbe macht ein Spieler. Das heißt, wir können oft aus der Biologie Hypothesen ableiten, die wir dann an Menschen untersuchen können. Und eines der Dinge, das man lernen kann ist, dass ein funktionierendes biologisches System eines ist, was sich auf die wesentliche Information konzentriert und den Rest ignoriert. Und das ist oft im Gegensatz zu dem, an was wir glauben, dass mehr Information mehr Berechnung und mehr Zeit immer besser sei. Dem ist nicht so."

    Sportler etwa sollte man nicht grundsätzlich mit viel Information zum Nachdenken anhalten. Denken sie über ihr Verhalten nach, statt intuitiv wie ein Tier zu handeln, kann das sportliche Vorhaben an einem gewissen Punkt scheitern, sagt Gigerenzer:

    "Es gibt eine Reihe von Studien, die bei uns am Institut und überall in der Welt gemacht worden ist. Und man hat erfahrene Golfspieler und Anfänger. Und man instruiert sie, genau auf die Bewegungsfolge sich zu konstruieren. Nun, man findet dass die Anfänger, wenn sie sich drauf konzentrieren: Sie werden besser! Aber was passiert mit den Experten? Wenn sie die Experten instruieren, genau auf ihre Bewegungsfolge zu achten, werden die schlechter. Das heißt, alles, was wir tun können, wenn wir Expertise haben, ist, unser bewusstes Denken abzulenken von dem, was der Körper kann in diesem Fall. Und wenn Sie das verstanden haben, können sie das auch strategisch ausnutzen. Also wenn Sie zum Beispiel Tennis spielen und Ihre Partnerin, die hat eine solche Vorhand, dass sie Sie an die Wand spielt, dann wissen Sie jetzt, was sie tun sollen. Wenn Sie die Seiten wechseln, dann fragen Sie sie: 'Du hast eine solche Vorhand heute. Wie machst du denn das nur?' Und dann haben Sie eine gute Chance, dass sie beginnt darüber nachzudenken und das Problem hat sich erledigt."

    Ein Glück für den Sportler also, wenn er sich in seinem sportlichen Tun dem Tier mehr annährt als dem Menschen. Und das Tier? Kann es auch "menscheln"? In aller Regel schreiben wir "altruistisches" Verhalten dem Menschen zu. Es scheint besonders kultiviert und weniger biologisch intuitiv zu sein, anderen zu helfen, ohne dass unmittelbar ein Vorteil für den Handelnden in Sicht ist. Weit gefehlt aber, wer denkt, das gäbe es nicht auch im Tierreich. Die Biologen haben eine Antwort darauf. Wenn Artverwandten geholfen wird, ist das in weiterem Sinne eigennütziges Verhalten. Es sichert das Überleben der Art. Peter Hammerstein:

    "Die Theorie ist dabei eine, die wir Theorie der Verwandtenselektion nennen. Dabei geht es darum, dass die genetische Verwandtschaft zwischen Individuen eine Rolle spielt dabei, wie man sich ihnen gegenüber verhält."

    Nähere Verwandtschaft bedeutet demnach eine größere Bereitschaft, zu helfen - zum Beispiel Essen abzugeben dem, der hungert. Peter Hammerstein mit einem Beispiel aus der Welt der Vampirfledermäuse, die in Verwandtschaftsgruppen leben:

    "Diese Fledermäuse leben genau wie sie sich das vorstellen: von Blut. Nun kommt es vor, dass einzelne Individuen in einer Nacht nicht in der Lage sind, Blut zu gewinnen. Das gelingt ihnen nicht, ein Säugetier anzustechen. Das ist für diese Tiere äußerst problematisch weil sie nur zwei Tage ohne Nahrung überleben können überhaupt. Was man dann beobachten kann ist, dass also eine hungrige Fledermaus anfängt zu betteln. Und sie bittet um eine Blutspende. Diese Blutspende sieht dann so aus - falls sie zustande kommt - dass die andere Fledermaus Mageninhalt wieder hoch würgt und das der anderen sozusagen in den Mund spuckt."

    "Interessanter wird es eigentlich, wenn man Altruismus unter Nicht-Verwandten hat. Wie kann man das erklären? Wann entsteht das eigentlich? Und da gibt es so aus der Spieltheorie so ein paar Überlegungen - so ungefähr "wie du mir so ich dir". Also wenn ich einen habe, der mich unterstützt, dann unterstütze ich ihn das nächste Mal auch, weil dann die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er mich selber wieder unterstützt."

    So richtig überzeugend konnte das bisher von Biologen für die Tierwelt noch nicht gezeigt werden. Und so scheint es, dass hier doch die Kultur des Menschen den Unterschied macht.

    "Die Frage, die sich die Tierforscher stellen ist: Was finden wir denn eigentlich bei den Tieren? Und so eine echte Kooperation - also so eine Kooperation, wo zwei Tiere etwas tun, weil sie gemeinsam sozusagen von dem gemeinsamen Ziel überzeugt sind, das finden wir einfach nicht. Und das ist auch was, wo sich im Sozialverhalten Tiere und Menschen doch auch unterscheiden."

    Unterschiede also ja - Ähnlichkeiten und Annährungen aber auch ja. Alte Grabenkämpfe zwischen Soziologen und Biologen scheinen heute überwunden zu sein. Kein Wissenschaftler will mehr Kultur und Sozialverhalten von Menschen allein mit Verweisen auf die Gene begründen. Aber auch die völlige Ablehnung alles Biologischen in Bezug auf das Sozial- und Kulturwesen Mensch gilt als überholt.

    "Inzwischen ist die Forschung auch schon wieder weiter. Aber es gibt immer noch, und nunmehr finde ich auch erstzunehmende Theorien, die versuchen, mit einer lockereren Kopplung zwischen Evolutionstheorie und sozialwissenschaftlichen Theorien Kultur zu erklären."

    Mit anderen Worten: Man ignoriert sich nicht mehr, sondern will voneinander lernen, sagt der Bielefelder Soziologieprofessor Peter Weingart. Und das wiederum bedeutet, dass im Zuge der Betrachtung von Sozialverhalten bei Mensch und Tier - bei der Frage nach den geselligen Affen - auch der Kulturbegriff zur Diskussion steht. Denn schließlich verstehen wir Menschen unser Sozialverhalten als "Kultur". Also? Gibt es Kultur auch bei Tieren? Da streiten sich die Geister:

    "Wir hängen eigentlich den Kulturbegriff sehr stark daran auf, wie Kultur übertragen wird – also Transmission."

    "Also ich würde es nicht unbedingt als Kultur bezeichnen, weil Kultur für mich sehr stark mit Symbolik verbunden ist. Also man braucht Symbole und man braucht eine Verständigung über Symbole, um wirklich Kultur zu schaffen. Und außerdem braucht man ein Speichersystem. Was wir sicherlich sagen können: die Tiere haben Traditionen. Also es gibt bestimmte Verhaltensweisen, die in der Gruppe auftauchen, die die anderen Tiere dann auch nachmachen oder mitmachen und dann können die auch wieder verschwinden. Also da gibt es zum Beispiel bei Kapuzineraffen, die in Südamerika leben, irgendwie Befunde, dass die sich gegenseitig die Finger in die Nase stecken. Was soll das? ja? Dann sieht man plötzlich, in einer Gruppe machen das lauter Tiere, ja und dann ist es wieder weg. Also so was kann einfach passieren. Aber es ist nicht so aufgeladen, so reichhaltig wie für uns Kultur in der Regel ist."

    "Von Seiten der Sozialwissenschaften ist der meines Erachtens der Haupteinwand, dass der Begriff von Kultur da zu einfach ist. Umgekehrt sagen die Biologen – und meines Erachtens nicht ganz zu Unrecht – euer, also der Kulturbegriff der Sozialwissenschaftler, ist viel zu vage, und infolgedessen könnt ihr damit auch nicht viel anfangen. Und wenn man weiter kommen will in der Entwicklung der Wissenschaft, dann muss man mit kleinen einfachen Modellen beginnen, um darauf komplexere Modelle aufzubauen. Das ist ein gewichtiger Einwand."

    Den Mauerseglern kann es egal sein: Da die keine Verhaltensweisen durch Imitation lernen, wenn sie kreisen, kreischen und fliegen, haben sie keine Kultur. Heißt es.