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"Die Gier ist entfacht"

Der St. Gallener Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann hat eine Rückbesinnung auf eine Ethik in der Finanzwelt gefordert. Mit Bonussystemen habe man eine Gier installiert, die in eine unbegrenzte Marktgläubigkeit mündete. Die aktuelle Finanzkrise zeige, dass eine allgemein gültige Ethik der Verantwortung vonnöten sei.

Ulrich Thielemann im Gespräch mit Karin Fischer | 16.09.2008
    Karin Fischer: Ein Börsen- oder Bankencrash bedeutet immer Geldvernichtung in großem Stil, was unsere bürgerlichen und großbürgerlichen Vorfahren, die das Industrie- und Handelswesen erfunden haben, als vollkommen unethisch betrachten würden. Heute nimmt aber keiner noch wahr, dass es sich bei Spekulationen nicht um Papiergeld handelt, dass da zwecks Rendite von einem Ort zum anderen verschoben wird, außer es passiert etwas. Gerade jetzt wird wieder der Beweis angetreten, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt. Aber wo hätte eine Ethik der Verantwortung da anzusetzen? Gibt es eine Ethik der Finanzmärkte überhaupt? Diese Frage geht an den St. Gallener Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Herr Thielemann, wie steht es mit den Verantwortlichkeiten in einem so komplexen System wie dem eines globalisierten Finanzmarktes?

    Ulrich Thielemann: Natürlich haben, und das ist eine normative Aussage, die Akteure eine Verantwortung, aber sie nehmen diese Verantwortung offenbar nicht wahr, weil da überhaupt kein anderer Gesichtspunkt mehr ins Spiel kommt als die Performance. Welche Performance es genau sind, ist ein bisschen unterschiedlich manchmal. Das heißt, die Performance für die Aktionäre, sei es die eigene Performance, sei es der Run auf den Bonus. Das ist das, was dieses System bestimmt und es bestimmt es gar nicht mal einfach, weil diese Herrschaften, wie es in ökonomischen Lehrbüchern steht, hominis oeconomicus sind, von Natur aus zu sagen, einerseits werden die Zügel, sind losgelassen worden, und zwar dadurch, dass man Bonussysteme installiert hat und die Gier entfacht hat, einerseits. Andererseits, weil immer noch in den Köpfen die Marktgläubigkeit sitzt, der Ökonomismus, der Glaube daran, ich formuliere es noch mal so, wenn die Gier entfacht wird, dann ist das ja auch gut für alle, dann steigt der Wohlstand und darum ist es legitim, wenn wir alles daran setzen, dass die Gewinne oder unserer eigener Bonus so hoch wie möglich ist.

    Fischer: Die Gier als Marktmacht. Was daran funktioniert heute nicht mehr?

    Thielemann: Ja, was heißt nicht mehr? Hat das denn vorher funktioniert? Ich würde ja sagen, der Erfolg der Marktwirtschaft liegt daran, dass sie gemäßigt ablief, dass man auch andere Gesichtspunkte berücksichtigt hat und eben nicht der Gier gefolgt ist, sei es in Form der Gewinnmaximierung oder der eigenen im Bonus und Einkommensmaximierung. Das macht eigentlich den Erfolg, das war die Zeit des Wohlstands für alle. Und das ist eben verloren gegangen. Es hat ziemlich lange gedauert, das steht ja schon ziemlich lange so in den Lehrbüchern der Ökonomie. Aber in der Praxis ist das eigentlich nie angekommen und hat sich geändert, irgendwie schleichend, 80er-Jahre, dann 90er-Jahre, die New-Economy. Wir haben die gleiche Situation, exakt die gleiche Situation im Grunde wie damals, heute, nämlich, dass eben die Gier entfacht wird und die Marktgläubigkeit Urstände feiert.

    Fischer: Bisher sind die schwer angeschlagenen Banken und Kreditinstitute vom Staat gerettet worden, in Deutschland, aber auch in Großbritannien und den USA. Und man fragt sich, warum Investmentbanker zwar privat Millionen verdienen dürfen, aber nicht privat haften müssen, wenn was schiefgeht. Mit Lehman Brothers ist zum ersten Mal diese staatliche Hilfe, die letztendlich ja immer der Steuerzahler übernimmt, ausgeblieben. Ist das ein richtiger Schritt?

    Thielemann: Darüber kann man streiten. Ich meine, die Fehler sind offenkundig vorher passiert. Es ist ja eben so, Sie haben es ja schon in Ihrer Frage angedeutet, die Privatwirtschaft ist offenbar nicht privat.

    Fischer: Ich spiele an auf die Frage nach einer allgemein gültigen Ethik der Verantwortung.

    Thielemann: Eben.

    Fischer: Und ob sie zu implementieren wäre in diese doch etwas unübersichtlichen Märkte.

    Thielemann: Genau. Das muss man eben vorher machen. Und vorher machen heißt, das muss man immer auf zwei Ebenen, auf mehreren Ebenen tun. Einerseits auf der Ebene des Individuums und da spreche ich an die Marktgläubigkeit, die nach wie vor in den Köpfen ist, einerseits. Aber, allein jetzt auf die Integrität und das Verantwortungsbewusstsein der Akteure zu setzen, das überfordert diese Akteure über alle Maßen. Darum ist es notwendig, dass der Markt reguliert wird. Den Markt zu regulieren und immer den gleichen Grund, nämlich sicherzustellen, dass der Verantwortungsbewusste, der Integre, nicht auf der Verliererstraße steht. Und genau das Gegenteil ist ja durch die Bonussysteme passiert. Die Leute, die dann etwas Skrupel hatten, da die Kredite zu vergeben, die waren auf der Verliererstraße, die haben den Bonus nicht eingestrichen. Und auch die Unternehmen, die solche Bonussysteme nicht eingeführt haben, denen liefen die Kapitalgeber weg. Und das ist eben eine Regulierungsfrage, das geht nicht durch moralische Einsicht der Akteure. Da sind die, wie gesagt, überfordert. Und mein Vorschlag für eine Regulierung wäre, dass man verbindlich festschreibt, dass der Anteil variabler Vergütung nicht unbeschränkt ist, sondern eben beschränkt ist, und zwar deutlich nach unten beschränkt ist. Dadurch würde der Weg frei dafür, dass die Mitarbeiter von unten bis oben betrachtet, auch das Management, sich an der guten Unternehmensführung orientieren. Und das heißt eben nicht, einfach shareholders value und auch nicht einfach im eigenen Interesse, sondern wie wir das doch alle tun. Wir tun doch nicht das, was wir tun, um damit möglichst einen hohen Bonus, ein hohes Einkommen rauszuwirtschaften, sondern wir tun das, weil wir eine gute Arbeit leisten wollen. Was immer das auch genau in unserem Bereich heißt, dass das wieder gestärkt wird. Das ist der tiefere Sinn dieses Vorschlages.

    Fischer: Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann, vielen Dank, über Good Governance in Bankbetrieben.