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Die Gigapixel-Revolution

Technik. - Immer mehr Megapixel – so heißt der Trend, der die Entwicklung von Digitalkameras in den letzten Jahren bestimmt hat. Sogar preisgünstige Fotoapparate besitzen heute Kamerachips mit einer Bildauflösung von fünf oder sogar zehn Megapixel – bis vor kurzem noch Werte, die Profikameras vorbehalten waren. Doch Forscher basteln schon an der nächsten Stufe – der Gigapixel-Kamera. Im Wissenschaftsmagazin "Nature" präsentieren US-Experten den Prototyp einer solchen Superkamera.

Von Frank Grotelüschen | 21.06.2012
    Nein, wie eine handliche Digitalkamera, mit der man mal eben einen Schnappschuss macht, sieht der Apparat von David Brady nicht aus. Es ist ein Klotz von den Ausmaßen eines Kühlschranks. Der Prototyp eines neuartigen Konzepts, das Brady an der Duke University in den USA entwickelt hat.

    "Das System lässt sich mit einem Supercomputer vergleichen. Ein Supercomputer enthält Dutzende von parallel geschalteten Mikroprozessoren. Unsere Superkamera besteht aus Dutzenden von parallel geschalteten Mikrokameras. Genau gesagt sind es 98 Kameras mit je 14 Megapixel, befestigt an einer Halbkugel aus Metall. Und das Objektiv der Kamera befindet sich genau im Zentrum dieser Halbkugel."

    Das Objektiv ist eine Kugellinse. Sie verteilt das einfallende Licht auf die 98 Mikrokameras. Betätigt man den Auslöser, macht jede Mikrokamera ein 14 Megapixel großes Bild, und zwar mit jeweils individuell eingestellter Belichtungszeit. Danach kombiniert eine Software die 98 Bildausschnitte zu einer Gesamtaufnahme von über einem Gigapixel. Der Vorteil: Die Superkamera kann wesentlich größere Bildausschnitte in höchster Auflösung aufnehmen als eine normale Knipse.

    "Wir haben die Kamera mit in ein Naturschutzgebiet in North Carolina genommen. Dort leben im Winter Aberhunderte von Schwänen. Und mit unserer Kamera konnten wir so scharfe Bilder aufnehmen, dass man die Tiere genau zählen konnte."

    Manche Tiere waren beim Knipsen fast 400 Meter entfernt. Dennoch lassen sie sich auf dem Foto bestens erkennen: Die Forscher konnten exakt 656 Schwäne auf dem See und 27 in der Luft ausmachen. Eindrucksvoll auch ein anders Bild – ein Verkehrskreisel in einem Wohngebiet. Hier offenbart das System seine Tauglichkeit als Überwachungskamera: Die Bilder sind so scharf, dass ein Parken-Verboten-Schild durch Heranzoomen deutlich zu erkennen ist – und genauso deutlich auch das Nummernschild des Autos, das neben dem Schild parkt. Anwendungen, an denen auch das Militär Gefallen finden dürfte. Und so wundert es nicht, dass Bradys Projekt von der Darpa unterstützt wird, der Forschungsagentur der US-Streitkräfte.

    Zurzeit allerdings schafft die Gigapixel-Kamera bei maximaler Auflösung nur ganze drei Aufnahmen pro Minute. Doch bald, hofft Brady, soll sie schneller werden und sogar laufende Bilder liefern können. Und dann ist sie auch fürs Fernsehen interessant.

    "im Moment bekommt der Fernsehzuschauer bei Spielfilmen und Sportereignissen nur den Bildausschnitt zu Gesicht, den ihm die Kamera bietet. Unsere Kamera macht interaktives Fernsehen möglich, bei dem der Zuschauer den Blickwinkel selber auswählen kann. Und da er sehr dicht an die Details heranzoomen kann, würde er mehr sehen als der Zuschauer im Stadion."

    Die Vision: Auf der Fernbedienung wäre ein Joystick integriert, mit dem sich der Bildausschnitt etwa bei einem Fußballspiel individuell wählen ließe. Der Zuschauer würde zu seinem eigenen Bildregisseur. Bleibt noch ein Hindernis:

    "Derzeit ist die Kamera noch groß wie ein Kühlschrank. Die Optik benötigt nur wenig Platz, das meiste braucht die Elektronik. Doch es sollte möglich sein, die Elektronik deutlich kompakter zu bauen. In zwei Jahren jedenfalls soll unsere Kamera nicht größer sein als eine Fernsehkamera."

    Nichts für die Westentasche also. Aber wenigstens unter den Arm klemmen könnte man sich die Superkamera künftig ohne Probleme.