Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Die Gläubigen der Stadt

Ein Jahr lang hat der Autor und Dramaturg Björn Bicker für das Projekt "Urban Prayers" recherchiert und Interviews mit Glaubensgemeinschaften in München geführt. Gezeigt wird die Arbeit in sieben verschiedenen Gotteshäuser. Die Uraufführung in der Inszenierung von Johan Simons fand in der ehemaligen Münchner Hauptsynagoge statt.

Von Sven Ricklefs | 07.06.2013
    "Was glaubt ihr denn, wer wir sind …"

    Es ist diese immer wiederkehrende Kernfrage, die dieses Stück vielleicht schon in seiner Essenz spiegelt: Da fragt ein mehrstimmiger Chor die jeweils anderen: Was glaubt ihr denn, wer wir sind… und meint damit natürlich auch: Was wisst ihr schon von uns und was glaubt ihr nur, zu wissen. Wobei sich dieses Glauben in Björn Bickers "Urban Prayers" natürlich vor allem auch auf den Glauben selbst bezieht, auf die jeweilige Religion, deren Bild sich oftmals nur aus Vorurteilen, Klischees, Halbwissen und großen Ängsten speist. Was glaubt ihr denn, wer wir sind, diese Frage geht natürlich zunächst einmal an die sogenannte Mehrheitsgesellschaft, die den Anderen, den Fremden, den fremden Gläubigen gegenübersteht. Wobei der Begriff der Mehrheitsgesellschaft zumindest im Fall von München insofern irreführend ist, als das nach jüngsten Erhebungen erstmals mehr Nichtchristen als Christen in dieser Stadt leben.

    "Was glaubt ihr denn, warum wir Katholiken sind, Protestanten sind, Moslems, aus der Türkei, aus Mali, Äthiopien, Sudan, Burkina Faso, Nigeria, Iran, Irak, Schiiten, Sunniten, warum wir Hindus sind…"

    Eine einjährige Recherche liegt dem Stadtraumprojekt der Münchner Kammerspiele unter dem Titel "Urban Prayers" zugrunde. Eine Recherche, die den Autor und Dramaturgen Björn Bicker zu den unzähligen und verschiedensten Münchner Glaubensgemeinschaften geführt hat, die ihre Gotteshäuser nicht nur in Kirchen, Synagogen oder Moscheen gefunden haben, sondern auch in ehemaligen Geschäftshäusern, Ladenlokalen oder Wohnungen. Dabei ging Bicker in seinen Interviews der Frage nach dem Verhältnis der jeweiligen Gläubigen zu dieser Stadt, zu dieser Gesellschaft und zu ihrem demokratischen System nach. Und recherchierte zugleich auch in der Gegenrichtung.

    "Was glaubt ihr, wo wir unsere Fäuste ballen, wo wir es rausschreien, das stört die Nachbarn, das stört die Nachbarn massiv, diese Beterei, das ist schlimmer als ein Kindergarten, das schmälert den Wert eurer Immobilie…"

    Sein Interviewmaterial hat Björn Bicker zu einer Art rhythmischen Fragenkatalog verdichtet, den Regisseur Johan Simons nun in seiner Inszenierung mal sein Ensemble im Chor sprechen lässt, mal auf die fünf Schauspieler verteilt hat. Dabei entsteht aus der Vielstimmigkeit heraus ein Dialog, der die Positionen ebenso markiert, wie er die Missverständnisse verdeutlicht, die Verletzungen zeigt, die Unvereinbarkeiten, die Bedürfnisse, die Ängste. An insgesamt sieben Orten wird "Urban Prayers" in den nächsten Wochen in München gezeigt werden, in sieben Gotteshäusern, dabei unter anderem in einer griechisch-orthodoxen Kirche, einer Moschee und einem ehemaligen Bürohaus, in dem verschiedenste Glaubensgemeinschaften untergekommen sind.

    Gestern Abend präsentierte sich Johan Simons Uraufführungsinszenierung in der ehemaligen Münchner Hauptsynagoge in der Reichenbachstraße sehr dezent und eher wie eine liturgische Feier, in der sich die fünf Schauspieler als Chor auf der Kanzel mit einem Chor abwechselten, der mit seinen Gesängen die musikalisch-spirituelle Note beisteuerte. Es ist diese behutsame Einrichtung und es ist der sanfte, durchaus auch humorvolle Gestus des Textes, der dieses Projekt auszeichnet. Ein Projekt, das auf vielerlei Art einlädt, einlädt, über die eigenen Ängste und Vorurteile nachzudenken, einlädt in die Begegnung zu gehen, aber auch einlädt zu Respekt vor dem Anderen.

    Mit Urban Prayers ist Björn Bicker gleichsam zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Als er vor neun Jahren ebenfalls an den Münchner Kammerspielen zusammen mit dem Regisseur Peter Kastenmüller mit dem Projekt "Bunnyhill" in das Münchner Problemviertel Hasenbergl vordrang, um dort mit Jugendlichen Theater zu machen und diese auch in die Kammerspiele einzuladen, da erfanden die beiden mit Bunnyhill das Format Stadtraumprojekt, das inzwischen von vielen Stadttheatern kopiert worden ist, wohl auch, weil es dafür längst einen eigenen Geldtopf gibt bei der Bundeskulturstiftung. Natürlich kommt es immer auch auf die Qualität der Produktionen an, trotzdem ist das Bedürfnis der Theater durchaus verständlich, ihre angestammte zumeist als elitär bekannten Musentempel zu verlassen, sich neuem und anderem Publikum zu präsentieren oder sich Themen zu widmen, die sich in der unmittelbaren Begegnung auf eine ganz andere Weise öffnen. Hier kann es im besten Fall seinem gesellschaftlichen Auftrag noch einmal in ganzer anderer Weise nachkommen. Dass dies funktionieren kann, zeigte gestern Abend in München Urban Prayers auf beeindruckende Weise.