Donnerstag, 18. April 2024

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"Die Götter am Everest besänftigen"

Der Mount Everest ist ein heiliger Berg - das hat Buddhi Maya Sherpa in ihrer Kindheit allerdings nicht interessiert. Ihr Vater war als Führer auf dem Berg unterwegs, der zum Alltag gehörte. Die Sherpas, die heute als Bergführer arbeiten, sind selbstbewusster als damals, meint sie.

Buddhi Maya Sherpa im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.05.2013
    Friedbert Meurer: Der 29. Mai 1953 ist einer der Tage, die in die Geschichtsbücher eingegangen sind: Edmund Hillary und Tenzing Norgay liegen sich gemeinsam in den Armen auf dem Gipfel des Mount Everest, den beiden gelang es, als erste Menschen den höchsten Berg der Welt zu erklimmen. Heutzutage stehen fast täglich im Frühjahr Bergsteiger ganz oben auf dem Gipfel des Mount Everest. Manche sagen schon, das ist ein regelrechter Massentourismus geworden. Andererseits gilt, die Tour ist und bleibt lebensgefährlich.
    Edmund Hillary, Reinhold Messner oder Gerlinde Kaltenbrunner - wer auf den Mount Everest will, der braucht in aller Regel die Hilfe der Sherpas. Buddhi Maya Sherpa ist eine gebürtige Sherpa aus Nepal, 1969 am Fuß des Mount Everest geboren, 1986 kam sie dann nach Österreich und pendelt seitdem zwischen den beiden Welten Kärnten und Kathmandu. Guten Morgen, Frau Sherpa!

    Buddhi Maya Sherpa: Guten Morgen, Grüß Gott!

    Meurer: Was bedeutet Ihnen denn das Datum 29. Mai 1953, was bedeutet Ihnen die Erstbesteigung des Mount Everest?

    Maya Sherpa: Dass der Everest das erste Mal bestiegen worden ist durch Sir Edmund Hillary und den Sherpa, da sind wir ja noch nicht auf der Welt gewesen, das haben wir in der Schule gelernt. Und dann war halt das in aller Munde, das weiß jeder, jedes Kind sozusagen.

    Meurer: Sie haben die Edmund-Hillary-Schule in Nepal besucht. Gehörte das zum Unterricht, dass man da an die beiden erinnert hat, an das Ereignis von 1953?

    Maya Sherpa: Ja, Sir Edmund Hillary ist dann, nachdem er am Everest war, immer wieder nach Nepal zurückgekehrt und speziell in das Sherpagebiet, und hat dort auf fast 4000 Metern oben eine Schule gebaut, weil er gesehen hat, dort gibt es keine Schulen und Gesundheitswesen, also keine Spitäler und so. Und dann hat er da eine Schule eingerichtet, in den 60er-Jahren, und wir durften da in die Schule gehen, und dann hat er einige Krankenstationen und im Laufe der Jahre mehrere Schulen geöffnet.

    Meurer: Also ohne ihn hätten Sie keinen Schulunterricht genossen. Wie war das an dieser Edmund-Hillary-Schule?

    Maya Sherpa: Ohne ihn hätten wir keine Schule, nein.

    Meurer: Wie war das an dieser Schule?

    Maya Sherpa: Die Schule war zuerst ganz klein, wie eine Volksschule, bestand aus nur einem Gebäude mit Blech gedeckt, und wir mussten am Boden sitzen, und nur vorne zum Schreiben war eine Holzbank, und dann ist immer etwas erweitert worden. Jetzt ist es eine sogenannte Secondary School, sozusagen eine Hochschule, und da gehen circa 300, 400 Kinder in die Schule. Manche Kinder gehen drei, vier Stunden lang zu Fuß hin in die Schule.

    Meurer: Haben Sie als Kind, als Jugendliche den Mount Everest gesehen?

    Maya Sherpa: Ja freilich, den Mount Everest sehen wir, wenn ich von mir zu Hause eine halbe Stunde hinaufgehe, dann sehe ich den Mount Everest schon, den habe ich jeden Tag gesehen am Schulweg, hin und zurück.

    Meurer: Wie war das für Sie?

    Maya Sherpa: Für uns hat er damals nicht viel bedeutet, die Berge, die waren einfach da. Nur mit der Zeit, wenn viele Bergsteiger gekommen sind, und dann war das irgendwie unsere Arbeit, und dann hat es mich eben mehr interessiert, welche Berge, wie heißen sie, wie hoch, wo gehen sie hin, welche Route und so weiter. Als wir Kinder waren, haben uns die Berge nicht weiter interessiert.

    Meurer: Wir denken ja hier in Deutschland oder in Europa, der Mount Everest hat etwas Mystisches für die Sherpa in Nepal. Dem ist gar nicht so? Das ist kein heiliger Berg?

    Maya Sherpa: Ja, es ist schon ein heiliger Berg, aber es gibt andere heilige Berge auch, den Kumbila zum Beispiel, der ist weit niedriger, der ist nur knappe 6000, und den darf man nicht besteigen, zu dem betet man hin, dass er die Dörfer drunter beschützt, und der Everest ist auch heilig, aber da gehen sie halt rauf, und bevor sie raufgehen, tun sie eben beten und die Götter am Everest besänftigen.

    Meurer: Wie haben Sie das, Frau Sherpa, erlebt, als Kind und Jugendliche, dass die westlichen Ausländer auf einmal nach Nepal kamen, um auf den Mount Everest oder einen anderen Achttausender zu klettern?

    Maya Sherpa: Ja, das war für uns ganz normal, dass Bergsteiger aus aller Welt kommen, Bergsteigen und Trekking, und unsere Väter und Brüder sind als Guide, als Begleiter, als Sherpas mitgegangen. Das war irgendwie ganz normal, nicht sehr außergewöhnlich.

    Meurer: Ihr Vater hat das auch gemacht. Er hat als Sherpa gearbeitet, wie haben Sie das empfunden damals?

    Maya Sherpa: Mein Vater war auch bei der einen oder anderen Expedition dabei am Everest, und unter anderem hat er den Annapurna IV bestiegen, und ja, es war irgendwie normal, dass die Männer auf den Berg gehen, Geld verdienen und die Frauen zu Hause bleiben, auf Haus und Hof, Felder und Kinder schauen.

    Meurer: War das eine ziemlich gefährliche Tätigkeit, die Ihres Vaters und der anderen Sherpas?

    Maya Sherpa: Ja, am Berg gehen ist immer gefährlich, aber eines muss man im Vorhinein sagen, dass die Sherpas kein reiner Beruf ist, das ist ein Stamm, das "Volk aus dem Osten" heißt er. Und die bewohnen dort halt die ganzen Bergregionen, und die meisten jungen Männer gehen natürlich auf die Expeditionen und auf die Berge, es gibt da auch Sherpa, die anderen Berufen nachgehen, und wenn die Männer an den Berg gehen, dann tun wir zu Hause halt beten und in den Klöstern spenden, dass es alles gut gehen möge, und dass sie wieder gut zurückkommen.

    Meurer: Sie haben ja auch gelesen oder gehört, dass es jetzt vor Kurzem einen ziemlich schlimmen Zwischenfall gegeben hat: Sherpas haben westliche Bergsteiger bedroht, ein Schweizer hat gesagt, er hätte Todesangst gehabt in diesem Moment. Da hat sich ziemlich Wut entladen offenbar auf die westlichen Bergsteiger, was haben Sie gedacht, als Sie das gehört haben?

    Maya Sherpa: Ich habe mir gedacht, da gehören immer zwei dazu, und die westlichen Bergsteiger werden auch ihre Fehler gemacht haben, und die Sherpas haben irgendwie die Wut bekommen, sind emotional hochgegangen. Natürlich ist es kein Grund, dass man jemanden verprügelt, aber jedenfalls den Everest besteigen wollen Hunderte, wenn nicht Tausende Leute, und die haben da eine eigene Regel, die haben sie alle vorher abgesprochen gehabt, dass die Sherpas vorher den Weg richten, dann gehen ihre Gäste nach und so, und diese zwei, drei Bergsteiger sind halt da losgegangen, und die Sherpas sollen gesagt haben: Geht nicht. Und die sind trotzdem gegangen und dann sind sie so irgendwie zum Raufen gekommen – wie es genau hergegangen ist, weiß ich auch nicht. Ich habe nur dort und da gelesen und gehört.

    Meurer: Sie unternehmen ja auch Trekkingtouren im Himalaja, Sie unterstützen Schulprojekte. Haben Sie den Eindruck, das Verhältnis zwischen den Bergsteigern und den Sherpas hat sich verändert in den letzten Jahrzehnten?

    Maya Sherpa: Ja, das glaube ich schon, dass die Sherpas etwas selbstbewusster geworden sind auch. Früher haben sie nur ihre Arbeit verrichtet und immer ja und amen gesagt, und heutzutage, es gibt ja auch gebildete Sherpas, die sind ja auch technisch besser geworden, und wenn es ihnen nicht passt, sagen sie ihre Meinung auch.

    Meurer: Sie selbst waren noch nie ganz oben auf dem Mount Everest. Wollten Sie nicht, ist Ihnen das zu viel Rummel auf dem Berg?

    Maya Sherpa: Ja, die Frage hat sich für mich nie gestellt, auf den Everest – weiß ich nicht, ich bin mit Trekkinggruppen, und meine Gäste, x-mal im Basecamp gewesen, und der Aussichtsberg davor, auf dem Kala Patthar, Gokyo und die ganzen Regionen jahrzehntelang bewandert. Ich war auf einigen Sechstausendern in Nepal und in Südamerika, und auf dem Aconcagua in Argentinien, aber ein Achttausender hat mich nicht so gereizt, und ich habe so viel zu tun, und irgendwie ganz im Frühjahr, zwei, drei Monate im Basecamp und da nur den Berg alleine, das war mir zu viel. Und ich komme ja auch nicht so lange weg.

    Meurer: Also als Kind haben Sie ihn jeden Tag gesehen, das reicht sozusagen, Sie müssen nicht ganz oben stehen.

    Maya Sherpa: Ich muss nicht da oben stehen, ja. Ich gehe genug andere rauf.

    Meurer: Buddhi Maya Sherpa ist Trekkingführerin aus Österreich, in Nepal geboren, und heute vor 60 Jahren ist der Mount Everest zum ersten Mal bestiegen worden durch Sir Edmund Hillary, und Tenzing Norgay. Frau Sherpa, herzlichen Dank für das Gespräch, alles Gute und auf Wiederhören!

    Maya Sherpa: Bitte, Wiederhören, Namaste!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.