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Die Grenzen zwischen Tieren und Menschen

Der Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho hält viele Unterscheidungen zwischen Tier und Mensch für fraglich. Das Unterscheidungskriterium Machtausübung, das immer wieder gerne angeführt werde, sei ebenfalls nicht tauglich, da auch Tiere Dominanz und Hierarchie kennen würden.

Moderation: Kersten Knipp | 24.05.2008
    Kersten Knipp: Im Rahmen unseres Programmschwerpunkts aus Anlass der UN-Artenschutzkonferenz kommen wir nun zu den Tieren. Und dieses Mal zu einer ganz besonderen Gattung, nämlich dem Pott- und Rampensäuen. Um was für Riesen handelt es sich da? Der Sprache nach um Tiere, der Sache nach aber um Menschen, wenn auch um solche mit tierischen Qualitäten. Weist ihre Existenz darauf hin, dass die Grenze zwischen Menschen und anderen Erdbewohnern durchlässig ist? Wie eng unser Verhältnis etwa zu den Schweinen ist, zeigte vor anderthalb Jahren die von dem Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho mit kuratierter Ausstellung "Arme Schweine", der er dann ein Kulturgeschichte der rosa Rüsseltiere folgen ließ. Doch nicht nur zu den Schweinen, die er sich so gerne einverleibt, hat der Mensch ein enges Verhältnis. Die Grenzen zum Tier sind auch in anderer Hinsicht nicht ganz dicht. Und das sollte uns dann wirklich beunruhigen. So hat der Mensch etwa 75 Prozent der Gene mit der Fruchtfliege gemein und über 98 Prozent mit dem Schimpansen. Andererseits, habe ich Thomas Macho gefragt, sollten wir uns dann nicht umso mehr auf die verbleibenden%e einbilden?

    Thomas Macho: Ja, wenn man genau wüsste, was man auf was man da stolz sein kann. Das große Problem der tatsächlich durch die Genetik wieder in Schwung gekommenen alten Debatte um die Grenzen zwischen Menschen und Tieren besteht ja nun gerade darin, dass sie nicht genau wissen, was uns nun unterscheidet. Die Diskussion ist da von "Wir sind das kriegführende Lebewesen" über "Wir sind das arbeitende und Werkzeug gebrauchende Lebewesen" bis hin zu dem "Wir sind das sprechende Lebewesen", immer im Unterschied zum Tier. Inzwischen sind alle diese Bestimmungen ein bisschen fraglicher geworden, ein bisschen unsicherer geworden. Und immer wieder stellt man fest, dass wenn man eine ganz scharfe Differenz markieren wollte, dass es eben einzelne Tierarten oder Situationen oder Geschichten gibt, in denen das durchlässig wird.

    Knipp: Das mag im Einzelnen so sein, vielleicht ist es aber doch ganz interessant, darauf zu schauen, dass insgesamt, wenn wir diese Grenze nun versuchsweise zumindest einmal aufrecht erhalten würden, es sich vielleicht an der Machtfrage scheidet. Menschen haben Macht, und zwar über alle Tiere. Ist das nicht vielleicht ein ganz wesentliches Kriterium der Grenzziehung?

    Macho: Das wäre, könnte man sagen, das sophokleische Kriterium in der Antigone des Sophokles beschreibt ja den Menschen als das Tier, das eben mit anderen Tieren was machen kann. Umgekehrt ist es so, dass natürlich auch in der Tierwelt Macht vorkommt und nicht etwas ist, was nur als Humanum beschrieben werden kann. Natürlich gibt es so was wie Dominanz und Hierarchie und Hegomonieverhalten auch bei allen möglichen Tierarten. Die Macht selber ist nicht etwas, was Menschen erfunden haben.

    Knipp: Wenn wir noch einmal den Nutzeneffekt ins Spiel bringen, dann könnte man doch auch sagen oder danach fragen, warum sollten wir uns den Tieren eigentlich gegenüber anders verhalten. Wir schlachten die Tiere, wir ernähren uns von ihnen und alles läuft, zynisch gesprochen, bestens. Warum sollten wir unser Verhältnis zu den Tieren nicht nur vom Wort, nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Tat ändern?

    Macho: Weil das Verhalten, das die Menschen gegenüber den Tieren eingenommen haben, eben immer auch das Verhalten war, das sie gegenüber ihresgleichen praktiziert haben. Aus genau dem Grund war ich immer dafür, dass man bei Diskussionen um die Reichweite von Menschenrechte immer eher liberal, so liberal wie nur irgend möglich operiert. Denn Tatsache ist, dass wir 200 Jahre lang die Erklärungen von Menschenrechten exklusiv ausgelegt haben und drüber nachgedacht haben, welche Menschen wir doch, weil wir sie strategisch als Sklaven benutzen könnten, nicht da einrechnen wollen. Von daher bin ich dafür, dass wir den Reichtum, der auch in der kulturellen Interpretation von Tieren im Umgang mit Tieren besteht, dass wir den zu erhalten versuchen, weil das ist auch der Reichtum, den wir an Bildern von uns selbst haben. Das ist so was wie ein kulturelles Alphabet, ein Alphabet symbolischer Formen, dessen wir uns bedienen, wenn wir uns als Menschen interpretieren.

    Knipp: Dieses Verhältnis zu den anderen Menschen scheint ja auch im Verhältnis zum Tier, wenn man es daran misst, sich, na ja, ich weiß nicht, verbessern wäre zynisch gesagt, aber man könnte vielleicht annehmen, dass es symbolisch zumindest ausagiert wird. Tiere wie Knut und Flocke, die beiden Eisbären, was bedeutet das, dass wir diese Tiere so zärtlich und mit Inbrunst betrachten und vielleicht auch behandeln?

    Macho: Das hat ganz viel damit zu tun, dass die Haustiere, die Jahrtausende lang so was wie Begleiter und auch sozusagen "Kooperationspartner", unter Anführungszeichen, der Menschen waren, dass die zunehmend durch Maschinen und maschinelle Einrichtungen ersetzt worden sind. Die sind nicht nur aus dem Straßenbild, sondern ein Stück weit auch aus unserem Bewusstsein verschwunden. Und seitdem die Haustiere in diesem großen Ausmaß aus unserem Leben verschwunden sind, haben sich die Heimtiere an deren Stelle etabliert. Da sind dann die Teddybären aufgetaucht, da sind dann die Kuschel- und Schmusetiere aufgetaucht. Und natürlich hat man sich dann früh schon bemüht, diese Kuschel- und Schmusetiere eben nicht nur aus Leder oder Plüsch oder Plastik zu erzeugen, sondern als Lebewesen selber. Und das ist mithilfe von Züchtungen möglich. Man kann Katzen kleinzüchten, man kann auch, siehe das Kapitel Minipigs, man kann Schweine so kleinzüchten, dass sie eben immer so herzlich und nett aussehen, wie Schweinchen Babe und einem nie Angst einjagen und dergleichen mehr. Das hat natürlich ein sehr problematischen Aspekt, weil es bedeutet, dass die Welt irgendwie immer mehr zu einer künstlichen Welt gemacht wird und das eben auch mit Mitteln der Züchtung, die mich manchmal noch mehr erschrecken, als die Nachricht von der Kreuzung neuer Mensch-Tier-Embryonen.

    Knipp: Thomas Macho über das Verhältnis der Menschen zu den Tieren.