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"Die Griechen haben sicher ein Bedürfnis nach einer stabilen Regierung"

"Man hat eher den Eindruck, dass bereits von den Parteien Wahlkampf für die nächste Runde gemacht wird", beschreibt Robert Stadler, Herausgeber der "Griechenlandzeitung". Einerseits wollten die Griechen mehrheitlich den Euro behalten, andererseits lehnen sie die Sparmaßnahmen ab.

Robert Stadler im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.05.2012
    Friedbert Meurer: Letzten Sonntag wurde in Griechenland ein neues Parlament gewählt. Die Folgen sind enorm. Erdrutschverluste hat es bei den Konservativen und Sozialisten gegeben, die bislang sich die Macht teilten. Das Parlament ist nun zersplittert, die Gegner der Sparpolitik sind auf dem Vormarsch – und das mit der Folge, dass die Bildung einer Regierung schier unmöglich erscheint. Gestern Abend ist nämlich auch der Versuch des Euro-kritischen Linksbündnisses gescheitert, jetzt liegt der Ball bei den Sozialisten.

    Die anderen Regierungen in der Euro-Zone sind aufgeschreckt. Hält Athen seine Verpflichtungen nicht ein, droht man, die Hilfen und Kredite zu stoppen, wie gerade auch gehört.

    – Mein Kollege Martin Zagatta hat gestern Abend Robert Stadler gefragt, den Herausgeber der deutschsprachigen "Griechenlandzeitung" in Athen, ob nicht schon jetzt klar ist, dass es am Ende doch wieder Neuwahlen geben muss.

    Robert Stadler: Bei diesen Mehrheitsverhältnissen ist es wirklich tatsächlich sehr schwierig. Ich will nur an den Titel unserer Zeitung erinnern vor den Wahlen und nach den Wahlen. In der "Griechenlandzeitung" hatten wir 6. Mai "Die Qual der Wahl" und jetzt in dieser Woche 7. Mai "Qual nach den Wahlen". Es ist einfach schon rechnerisch eigentlich sehr schwierig, eine Koalition zustande zu bringen. Und auch diese Spekulationen über eine Linksregierung gehen eigentlich an der Realität vorbei, weil auch alle linken Parteien, wenn man die bisher regierende sozialistische Pasok nicht mit berücksichtigt, gar keine Mehrheit im Parlament erhalten können.

    Martin Zagatta: Was ist denn mit einer Mitte-Rechts-Regierung? Antonis Samaras, der Chef der konservativen Nea Dimokratia, hat jetzt schon alle Kräfte der politischen Mitte und des rechten Spektrums dazu aufgerufen, eine pro-europäische Front zu bilden, um völliges Chaos zu verhindern. Gibt es da irgendwelche Aussichten?

    Stadler: Die gibt es eigentlich realistischerweise auch nicht, weil im Parlament kann der Antonis Samaras mit einer Gruppe eines Ex-Parteimitgliedes zusammenarbeiten – das sind die sogenannten "Unabhängigen Griechen", die 33 Sitze im Parlament haben -, aber das sind die einzigen zwei Mitte-Rechts-Parteien. Aber ich glaube, Herr Samaras denkt auch nicht daran und hat auch schon geäußert, mit der neofaschistischen Chrysi Avgi im Parlament nicht zusammenzuarbeiten. Also man hat eher den Eindruck, dass bereits von den Parteien Wahlkampf für die nächste Runde gemacht wird.

    Zagatta: Wie können denn dann die Drohungen in diesem Wahlkampf wirken? Gibt es da eine Chance auf neue Mehrheitsverhältnisse, wenn die EU jetzt droht, es gibt kein neues Geld, wenn nicht eine Regierung ihr da zusichert, dass die Sparauflagen eingehalten werden? Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach dann auf die Griechen aus?

    Stadler: Wahrscheinlich dürfte das schon Auswirkungen haben. Man darf auch nicht vergessen, dass fast 35 Prozent der Griechen bei diesen Wahlen vom 6. Mai nicht an die Urnen gegangen sind – aus Enttäuschung, aus Wut, aus Desinteresse, aus unterschiedlichen Motiven. Sollte es tatsächlich noch im Juni zu einer erneuten Wahl kommen in Griechenland, werden sicher einige überlegen, wer die größte Kompetenz zur Regierungsbildung hat. Und ich glaube, auf diesem Terrain wird gerade gepokert von allen Parteien und da versucht auch, die jetzt zweitstärkste Partei, das Linksbündnis Syriza ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen. Aber das wird wahrscheinlich noch in den nächsten vier, fünf, sechs Tagen, bis die Regierungsbildungsaufträge abgelaufen sind, so weitergehen. Die Griechen haben sicher kein Interesse daran, dreimal, viermal, fünfmal zu den Urnen zu gehen, haben sicher ein Bedürfnis nach einer stabilen Regierung. Und das könnte sich im Falle einer zweiten Wahl auch auf das Wahlverhalten auswirken.

    Zagatta: Inwiefern? Die griechische Radikallinke, die Sie eben angesprochen haben, die erklärt ja den EU-Sparpakt für nichtig und sagt, dahinter stehe die Mehrheit der Bevölkerung. Wie erleben Sie das in Athen? Ist das so?

    Stadler: Es ist verständlich, dass nach eigentlich drei, vier Jahren Rezession, bei einer Arbeitslosigkeit von über 21 Prozent, bei Lohnkürzungen, Rentenkürzungen die griechischen Bürger natürlich sich auch überwinden müssen, ein positives Europabild zu haben, weil sie spüren ja Europa im Moment nur in ihrem Portemonnaie. Das heißt, es werden Löhne gekürzt, Renten gekürzt und so weiter. Trotz allem sind die Griechen in ihrer Mehrheit, was Umfragen zeigen, in einer großen Mehrheit, 70 und mehr Prozent, für einen Verbleib des Landes im Euro. Hier gibt es noch einen gewissen Spagat zwischen den doch stark spürbaren Sparmaßnahmen für den einzelnen Bürger und dem Bedürfnis, in Europa zu bleiben.

    Zagatta: Aber wenn man den Euro will und gleichzeitig nicht so stark sparen will, für wen stimmt man dann, wenn es Neuwahlen gibt? Stimmt man dann gegen das Sparprogramm oder für Parteien, die dieses Sparprogramm umsetzen wollen?

    Stadler: Ich glaube, hier müsste es eine viel tiefergehende Diskussion auch zwischen den politischen Parteien geben, aber auch auf der Straße oder im Gasthaus, im Wirtshaus. Man kann natürlich nicht die Kredite haben, ohne etwas dafür zu tun. Hier könnte natürlich auch die Europäische Union etwas mithelfen, hier eine pro-europäischere Stimmung oder diese zu verstärken, indem man eben zum Beispiel die Reformpolitik, die sicher Griechenland gut tun wird und positive Auswirkungen hat, dass man hier aber auch, was die Sparprogramme betrifft, dem Land etwas mehr Atem gewährt. Das heißt eventuell für die Umsetzung aller Maßnahmen statt zwei, drei oder vier Jahre und auch für die Rückzahlung der Kredite. Hier könnte man helfen, ohne eben das Programm in seiner Substanz zu verändern.

    Zagatta: Und wenn das nicht passiert?

    Stadler: Schwierig zu sagen. Ich meine, jetzt sogar bei den Wahlen vom 6. Mai sind doch einige Dinge eingetreten, die weder die Umfragen vorausgesehen haben, noch Experten. Also die totale Demontage der beiden bisher regierenden Volksparteien. Es ist auch schwierig, falls es wieder zu Wahlen kommt, hier Voraussagen zu treffen. Meinem Gefühl nach wird doch ein Teil der Griechen sich, wie ich vorher gesagt habe, überlegen, welche Parteien haben die Kompetenz, eine stabile Regierung zu bilden.

    Meurer: Martin Zagatta sprach mit dem Herausgeber der deutschsprachigen "Griechenlandzeitung" in Athen, Robert Stadler.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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