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Die großen Enthüllungen über die dunklen Seiten ließen noch auf sich warten

Zum Neujahrslauf am 1. Januar 1990 trafen sich in Berlin 30.000 Menschen - aus beiden Teilen der Stadt. Im Frühjahr 1990 sollen nach Angaben von Historikern rund 5.000 innerdeutsche Sportbegegnungen stattgefunden haben. Wenn man so will, fand eine Sportvereinigung von unten statt, lange vor der politischen Wiedervereinigung, lange vor den sportpolitischen Verschmelzungen.

Von Jens Weinreich | 02.01.2010
    Zum Jahreswechsel ließen auch die großen Enthüllungen über die dunklen Seiten des DDR-Sportsystems noch auf sich warten. Diese Geschichten folgten erst Monate später, als etwa Chefdoper Manfred Höppner Teile seines Herrschaftswissens und Dokumente an eine Hamburger Illustrierte verkaufte.

    Die Berichterstattung war, gerade in der Euphorie des Jahreswechsels, im Westen zunehmend von Medaillenhochrechnungen geprägt - nicht nur im Boulevard. Im Osten standen Überlegungen im Vordergrund, das Sportsystem zu retten - gleichzeitig aber demokratische Spielregeln und Transparenz einkehren zu lassen. Selbstredend sollten bisher geknebelte Sportarten und der Breitensportbereich gefördert werden. Dies war der untaugliche Versuch, die Quadratur des Kreises herzustellen. Das gesamte DDR-System war kollabiert. Die maroden Betriebe, die so genannten Kombinate, die gesellschaftlichen Einrichtungen und Organisationen fuhren allesamt ihre Sportförderung herunter. Es war schlichtweg kein Geld vorhanden.

    Die Sportführung West beobachtete die Umwälzungen in der DDR lange recht reserviert. NOK-Präsident Willi Daume, der das Tagesgeschäft gern vernachlässigte, kümmerte sich um das Projekt Olympische Spiele in beiden Teilen Berlins. Der damalige West-Berliner LSB-Präsident Manfred von Richthofen, der plötzlich im Zentrum des Geschehens agieren musste, begriff den Ernst der Lage vielleicht am schnellsten. Andere Funktionäre wie DSB-Präsident Hans Hansen brauchten etwas länger. Hansen orakelte Ende 1989 noch, der Sportverkehr zwischen der Bundesrepublik und der DDR werde sich 1990 den "normalen Beziehungen mit anderen Ländern" angleichen. Die Entwicklung werde keinesfalls zu gesamtdeutschen Mannschaften führen. Hansen wörtlich: "Derartige Überlegungen halte ich für abwegig."

    Westdeutsche Sportfunktionäre hatten nicht nur grundsätzliche Erkenntnisprobleme, sondern auch ganz praktische Schwierigkeiten: Denn die Ansprechpartner im Osten waren ständig neue. Ein Beispiel: Anfang Dezember wurde die DTSB-Führung erst mit Honecker-artiger Mehrheit im Amt bestätigt - zehn Tage später wurde die Führung unter Klaus Eichler aus dem Amt katapultiert, von denselben Wahlmännern.

    Der Deutsche Turn- und Sportbund wurde von einem so genannten Arbeitsausschuss geleitet, der unter seinem Vorsitzenden Hans-Georg Herrmann am 3. Januar 1990 in Berlin konferierte. Zwei Tage später nahm ein Runder Tisch des Sports seine Arbeit auf und forderte von der Volkskammer, ein Jugend- und Sportministerium einzurichten - was nach den Wahlen im März tatsächlich geschah.

    Am 6. Januar 1990 war dann das Kapitel Manfred Ewald beendet. Der alkoholkranke einstige DTSB-Chef, der sich noch einen Posten erhalten hatte, trat als Präsident des DDR-NOK zurück. Das IOC-Mitglied Günther Heinze wird sein Nachfolger - wenngleich nur für fünf Monate.