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"Die Grünen haben sich in manchen Dingen mit der Wirtschaft angefreundet"

Der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter sieht für die neue grün-rote Landesregierung in Stuttgart weniger Problem mit der Wirtschaft, als mehr bei den Themen Stuttgart 21, Bildung und dem Ausbau des Energiebereichs. An diesen Themen werde sie "zu knabbern" haben, so Falter.

Jürgen Falter im Gespräch mit Dirk Müller | 12.05.2011
    Dirk Müller: Er kam nicht so einfach mal an, sah und siegte; es war harte Arbeit über Jahrzehnte. Winfried Kretschmann, erster grüner Regierungschef in einem Bundesland, in Baden-Württemberg. Seit gut einer halben Stunde steht die grün-rote Koalition im Musterländle auch offiziell. Einen Kassensturz werden die neuen Regierungspartner erst einmal vornehmen müssen, sie wollen mit weniger Geld die Bildung und auch den Umweltschutz weiter voranbringen.
    Am Telefon ist nun der Mainzer Politikwissenschaftler und Parteienforscher Professor Jürgen Falter. Guten Tag!

    Jürgen Falter: Guten Tag!

    Müller: Herr Falter, muss dieser grüne Höhenflug in einem Tiefflug enden?

    Falter: Nein, er muss es nicht natürlich, aber das Problem ist natürlich für die neue Regierung, dass es eine ganze Reihe von Bereichen gibt, die Konfliktpotenzial enthalten, und zwar Konfliktpotenzial einerseits zwischen den Koalitionspartnern selber, weil man sich über bestimmte Dinge nicht so ganz einig ist, nicht einig werden konnte wegen fundamental anderer Auffassungen, und das andere Konfliktpotenzial, das ist eher mit der baden-württembergischen Bevölkerung, die ja auch einiges schlucken muss, einiges akzeptieren muss, die mitgenommen werden muss, wenn das realisiert werden soll, was im Koalitionsvertrag steht.

    Müller: Was ist mit der baden-württembergischen Industrie?

    Falter: Ja, die zähle ich natürlich auch irgendwie mit dazu, die Industriearbeiterschaft, aber auch die Industrie selbst, und wenn man etwa das jüngste Interview des designierten, jetzt gleich neuen Verkehrsministers Hermann liest, dann steckt da auch einiges zumindest an Unzufriedenheit, aber möglicherweise auch an Konflikten drin. Das trifft aber weniger die Klientel der Grünen; das trifft sehr viel stärker die Klientel der SPD, nämlich die Facharbeiter, die sehr gut verdienenden Facharbeiter von Mercedes, von Porsche und von Audi.

    Müller: Warum wird sich bei denen was ändern, beispielsweise an dem doch sehr hohen Lohnniveau?

    Falter: Da kann sich etwas ändern, wenn, sagen wir einmal, der Versuch Erfolg haben würde, die Flottenpolitik der öffentlichen Hand in Baden-Württemberg so umzustellen, dass billigere kleinere Autos mit anderen Energieformen, mit anderen Antriebsformen dann eingekauft werden und auf diese Weise die Gewinne der Automobilindustrie sinken. Das ist ja ein erklärtes Ziel, das im Koalitionsvertrag entsprechend ausgeführt ist.

    Müller: Ist das, Herr Falter, ohnehin nicht angesagt für die Zukunft der Automobilindustrie?

    Falter: Das wird kommen für die Zukunft! Die Frage ist, wie schnell es geht, wie stark es übers Knie gebrochen wird, ob Daimler und vor allen Dingen Porsche in der Lage ist, so etwas überhaupt zu offerieren. Bei Porsche wird das wohl recht schwer werden.

    Müller: Reden wir noch mal genauer über Grün-Rot. Da haben wir jahrzehntelang darüber gestritten, darüber geredet und diskutiert und festgestellt: Es gibt einen Widerspruch zwischen Wirtschaftsentwicklung und Umweltpolitik. Kann man das heute noch sagen?

    Falter: Nein, in dieser Form ist das sicherlich nicht der Fall. Es ist ja durchaus nicht nur vorstellbar, sondern es wird praktiziert, dass Umweltpolitik auf höchstem Technologieniveau betrieben wird, dass wir da Vorreiter sein können und in vielen Dingen auch Vorreiter sind. Es sind nur Umstellungsschwierigkeiten, die entstehen können, und die Umstellungsschwierigkeiten, die werden nicht durch das Land alleine zu bewältigen sein, das ist natürlich eine Bundesaufgabe, aber alleine die Stromversorgung von Atomkraft in einem Land wie Baden-Württemberg vollständig auf regenerative Energien umzustellen, das erfordert einen ungeheueren Einsatz von Kapital, von Investitionen, auch von Duldsamkeit der Bürger, denen ja plötzlich möglicherweise die Windmühlen vor ihrem Fenster hochwachsen.

    Müller: Also müssen sich die Grünen mit der Wirtschaft anfreunden?

    Falter: Ja die Grünen haben sich eigentlich schon in manchen Dingen mit der Wirtschaft angefreundet, nicht in allen, aber sie sind da doch ganz anders als vor 20, 30 Jahren, als sie auch etwas Maschinenstürmerisches hatten. Sie haben längst eingesehen, dass ohne modernste Technik, ohne modernste Technologie der Umstieg überhaupt nicht zu bewältigen ist.

    Müller: Auch wenn die Autos kleiner werden sollen, wie Sie auch jetzt prognostiziert haben, wie Sie sogar, Herr Falter, empfohlen haben, dann brauchen wir dennoch dreispurige Autobahnen?

    Falter: Natürlich brauchen wir dreispurige Autobahnen, denn die Menschen werden weiter mit dem Auto fahren wollen, und der Schwerlastverkehr, den haben ja schon ganz andere Verkehrsminister nicht auf die Schiene bekommen. Da ist schon in den 70er-Jahren der damalige Verkehrsminister Leber gescheitert und viele, viele andere nach ihm. Und es ist auch im Rahmen der EU gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Das heißt mit anderen Worten, schon wegen des Güterverkehrs werden wir dreispurige Autobahnen brauchen, und für den Personenverkehr ebenfalls, denn bestimmte Dinge lassen sich mit der Bahn und mit dem Bus nicht so einfach erreichen.

    Müller: Und das wird ein Thema sein, woran die Grünen richtig hart zu knabbern haben?

    Falter: Da werden sie dran zu knabbern haben. Sie werden aber auch zu knabbern haben vor allen Dingen in der Tat mit, sagen wir einmal, Landschaftsumgestaltung, mit Städteumgestaltung, Landschaftsumgestaltung im Rahmen des Baues beispielsweise von Pumpspeicherwerken. Da ist jetzt eines im Südschwarzwald, das auf heftigste Opposition trifft von den Anliegern. Das wird auch passieren, wenn man Windparks bauen möchte in Gegenden, die landschaftlich sehr schön sind, aber guten Wind haben. Das wird auch passieren, wenn man die energetische Gebäudesanierung durchführen möchte und dadurch möglicherweise, wenn man nicht Acht gibt, wunderbare Fachwerk-Altstädte verschandeln kann.

    Müller: Stuttgart 21, das Stichwort, könnte das die Götterdämmerung der Grünen in Baden-Württemberg einleiten?

    Falter: Da ist natürlich das größte Konfliktpotenzial kurzfristig drin, denn man konnte sich ja nicht einigen auf ein gemeinsames Konzept. Man ist uneinig und möchte das ganze ins Prozedurale verschieben, das heißt eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 herbeiführen. Und es ist nicht unvorstellbar, es ist sogar wahrscheinlich, dass die notwendige Mehrheit gegen Stuttgart 21 nicht erreicht werden kann, weil ein Drittel der Wahlberechtigten das tragen müssten. Die sind sehr, sehr schwer tatsächlich an die Urne zu bekommen. Und in Baden-Württemberg gab es ja bis vor kurzem sogar eine knappe Mehrheit für Stuttgart 21. Dann müsste eventuell, wenn das alles anders ausgehen sollte, als die Grünen das gerne hätten, als der Herr Kretschmann das gerne hätte, Herr Kretschmann dann die Durchführung von Stuttgart 21 weiter betreiben. Das wäre dann seine Aufgabe als Exekutive und das wäre sicherlich keine sehr gute Sache für die Grünen und für die Koalition.

    Müller: Sprechen wir noch einmal kurz, Herr Falter, das Thema Atom an. Wie schwierig wird das für die Grünen, dort nicht mehr Vorreiter sein zu können?

    Falter: Ach Gott, da geht den Grünen sicherlich ein Thema allmählich weg. Es ist aber nicht das einzige. Ich meine, man kann immer noch mehr und man kann immer noch schneller fordern und man kann einen besseren Umstieg fordern, man kann andere Formen des Umstiegs fordern. Ich glaube, die Grünen werden nicht ohne Thema dastehen. Ihr Markenkern ist das Umweltthema und es ist nicht so, dass durch den Ausstieg aus der Atomindustrie nun dieser Markenkern plötzlich zerstört würde. Da habe ich keine großen Sorgen für die Grünen. Es wird aber ein Thema abhanden kommen, das kurzfristig mobilisieren kann, und davon haben die Grünen ja am 27. 3. enorm profitiert. Möglicherweise wäre die Baden-Württembergische Landtagswahl sogar anders ausgegangen, wenn nicht in Japan die Nuklearkatastrophe stattgefunden hätte.

    Müller: Jetzt muss ich Sie dennoch, obwohl man das vielleicht nicht so gerne macht, um eine Prognose bitten mit Blick auf die kommenden Jahre. Wird das Musterländle unter Grün-Rot Musterländle bleiben?

    Falter: Ich glaube schon, dass der Einfluss einer Landesregierung nicht so groß ist, dass es alle Strukturen von Grund auf verändern kann. Acht geben muss man beim Bildungssystem, denn dort kann man tatsächlich innerhalb kürzester Zeit ein in langen Jahrzehnten gewachsenes kaputt machen. Das haben wir im Hochschulbereich erlebt in einzelnen Ländern, das ist auch im Schulbereich möglich. Da ist sicherlich Augenmaß und Behutsamkeit gefordert.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Mainzer Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Falter: Auf Wiederhören!