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Die Grünen
Im Schatten der Regierung

Seitdem in Berlin die Große Koalition regiert, lässt sich grüne Politik auch auf Länderebene oft schlecht verkaufen. In Nordrhein-Westfalens Landtag stößt Kritik an der Bundesregierung seit etwa 100 Tagen auf fast taube Ohren. Der Bundesrat wird für die Grünen indes zum Strohhalm.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 20.03.2014
    "Hallo Bim! MdL Abel pfeift und schmatzt mit der Zunge ... Bim! Kennste mich noch?"
    So klingt Liebe auf den ersten Blick. Bim, vier Jahre alt, braun gescheckt und lockig wie ein Pudel, ist unter den 500 Bewohnern des Düsseldorfer Tierheims der Lieblingshund von Martin Sebastian Abel:
    "Bim! Ist ja jetzt kein Name für Hunde, die hören sollen ... macht er nicht!"
    Dabei ist Abel, 28 Jahre alt und seit knapp zwei Jahren Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, regelmäßig zu Besuch bei Bim und seinen tierischen Freunden. Denn Abel ist der tierschutzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion in NRW:
    "Leider wird man gerade von den Kollegen anderer Fraktionen immer mal wieder belächelt, wenn man sagt, wofür man Sprecher ist. Gerd Schröder würde das bestimmt unter Gedöns abstempeln."
    "Grüne" Themen beackern jetzt andere
    Nicht so Abel. Tierschutz bleibe ein grünes Kernthema. Gerade erst ist die gesamte Landtags-Fraktion ausgeschwirrt in die Tierheime von NRW, um sich über die Finanzlage der einzelnen Heime und über die Problematik der fehlenden Katzenkastrationen zu informieren. Aber Martin Sebastian Abel macht sich keine Illusionen: Grüne Politik lässt sich schwerer verkaufen, seitdem in Berlin eine Große Koalition regiert. Sogenannte grüne Themen beackern jetzt die anderen:
    "Natürlich ist die Frage des Klimaschutzes und der Energiewende das zentrale Zukunftsthema, wenn nicht das Überlebensthema."
    Und deshalb eines, das die Grünen gerne mit gestaltet hätten. Auf der Berliner Regierungsbank ...
    "Ich hab getrauert, aber die hundert Tage sind vorbei…"
    Fast jedenfalls. Genug Zeit für den Düsseldorfer Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen, um das schlechte Bundestags-Wahlergebnis seiner Partei im vergangenen September zu verarbeiten. Schwarz-Grün in Berlin hätte der erklärte Pragmatiker durchaus großartig gefunden. Stattdessen muss sich Priggen nun damit abfinden, dass Angela Merkel in Berlin jetzt mit der SPD regiert. Die Arbeit von Rot-Grün in Düsseldorf wird dadurch nicht gerade leichter:
    Bundesregierung nun schwerer kritisierbar
    "Dass ein Koalitionspartner, der in Berlin beteiligt ist, sich nicht ganz frei davon machen kann, was er in Berlin unterschrieben hat, ist auch klar. Während wir früher die Bundesregierung immer dafür haftbar machen konnten, dass bestimmte Sachen nicht passierten ... Mängel, Defizite, kommunale Finanzausstattung. Wenn wir da kritische Punkte haben, ist immer ein Koalitionspartner da, wo der Beifall dann nicht so da ist."
    Kein Applaus ist das eine, vor allem aber erschwert die Große Koalition in Berlin den Grünen in NRW die Profilierung. Beispiel Doppelte Staatsbürgerschaft, noch so ein urgrünes Thema. Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – alle drei rot-grün, beziehungsweise grün-rot regiert – rebellieren mit einer Bundesrats-Initiative gegen die geplanten Neuregelungen zur Optionspflicht. Liebend gerne würden die NRW-Grünen mitmachen bei diesem Protest, aber, sagt Reiner Priggen:
    "Wenn unser Partner das hier nicht will, können wir hier nichts machen. Wir würden uns trotzdem im Bundesrat enthalten, da kann die SPD auch nicht weg. Aber wir müssen ja nun die Sozialdemokraten, so wie sie hier sind, auch nehmen."
    Den einzigen Ausweg, um aus dieser Zwickmühle wieder herauszukommen, bietet derzeit der Bundesrat – die Länderkammer wird für die Grünen jetzt zum Strohhalm, erklärt Sven Lehmann, Landesvorsitzender in NRW, bei einer Tasse Tee in einem etwas zugigen Kölner Café:
    "Wir regieren in sechs Ländern, Hessen ist jetzt dazu gekommen. Und natürlich werde ich als Landesvorsitzender auch mit diesen anderen Landesvorsitzenden immer wieder dafür sorgen, dass die zentralen grünen Anliegen auf Bundesebene auch eingespeist werden."
    Ganz besonders gilt das für die Energiepolitik. Hier knabbern die Grünen ohnehin schon daran, dass mit Sigmar Gabriel jetzt ein Wirtschaftsminister im Bundeskabinett für die Energiewende verantwortlich ist. Umso mehr will die Ökopartei nun Selbstbewusstsein demonstrieren: Sollten die Interessen der Industrie allzu viel Vorrang vor dem Klimaschutz bekommen, könnten die grünen Länderminister die Pläne des Sozialdemokraten über den Bundesrat torpedieren. Eine Blockade-Politik strebe man indes nicht an, sagt NRW-Grünen-Chef Lehmann:
    "Das ist nicht unsere Rolle, so waren wir auch nie, sondern wir wollen gestalten. Und wenn aber Entwicklungen auf uns zukommen, seitens des Bundes, die wir definitiv verhindern wollen, dann werden wir auch die Rote Karte ziehen."
    Ministerpräsidentin Kraft im Loyalitätskonflikt
    Noch etwas machen die Grünen in Düsseldorf klar: SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft müsse jetzt die Interessen ihres Bundeslandes in Berlin verteidigen, auch gegenüber den eigenen Parteifreunden. Ein Appell an die Düsseldorfer Koalitionsdisziplin:
    "Hannelore Kraft hat auch den Auftrag, die Windenergie in Nordrhein-Westfalen zu retten und zu schützen, und da wird sie wahrscheinlich mit Herrn Gabriel auch Konflikte eingehen müssen."
    Die Grünen haben genau erkannt, dass Hannelore Kraft in einem ständigem Loyalitätskonflikt steckt. Einerseits regiert ihre Partei jetzt auf Bundesebene wieder mit, andererseits ist Kraft zur Rücksichtnahme auf ihren grünen Koalitionspartner in Düsseldorf verpflichtet. Um Konflikte in alle Richtungen zu vermeiden, regiert sie deshalb auffällig geräuschlos in diesen Wochen. Für die NRW-Grünen hat das Vor- und Nachteile: Gut zwei Monate vor den Europa- und Kommunalwahlen kämpfen sie einerseits um Aufmerksamkeit. Und sind andererseits dabei, ihre Kanäle nach Berlin auszubauen. Auf die Länder kommt es jetzt wieder an, in Zeiten einer Großen Koalition – darin sieht Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen durchaus auch Chancen:
    "Es gibt einmal die Diskussion, wo die sieben grünen Umwelt- und Wirtschaftsminister der Grünen eine einheitliche Position entwickeln. Das wird mit Bundestagsfraktion und Parteispitze abgestimmt und läuft sehr gut. Dafür sind wir alle zwei Wochen in Berlin, gerade in den Kernthemen, die uns wichtig sind, läuft das im Moment so intensiv wie noch nie."