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"Die Grünen sind in einer schwierigen Phase"

Nach dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl müssten die Grünen entscheiden, wo sie sich gegenüber SPD und Union positionieren wollen, meint der Publizist Hugo-Müller-Vogg. Der Weg für Schwarz-Grün sei trotz der beendeten Gespräche noch nicht versperrt.

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Dirk Müller | 16.10.2013
    Dirk Müller: Die Grünen sind irgendwie am Ende, zumindest mit ihrem Unionslatein. Eine Koalition mit CDU/CSU ist nahezu ausgeschlossen, so die Lesart am Morgen, nach der langen Nacht der Sondierung. Zu groß sind die Differenzen, inhaltlich, sachlich, vielleicht ja auch persönlich. Keine weiteren Sondierungen also mehr? Oder vielleicht doch?
    In Berlin begrüßen wir nun den Publizisten und früheren "FAZ"-Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg. Guten Tag.

    Hugo Müller-Vogg: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Müller-Vogg, haben die Grünen einfach keine Lust mehr gehabt?

    Müller-Vogg: Nein, das kann man, glaube ich, so nicht sagen. Aber die Grünen sind natürlich in einer schwierigen Phase. Sie haben bei dieser Wahl ja ein aus ihrer Sicht sehr schlechtes Ergebnis bekommen. Sie sind zurückgefallen im Grunde auf ihre Stammwählerschaft, nach einem Wahlkampf, wo sie sich links von der SPD positioniert hatten. Und davon wieder weg zu kommen, das ist nicht so ganz einfach, und die Grünen müssen sich jetzt sowohl personell als auch inhaltlich entscheiden, wo sie ihren Platz sehen, ob sie ihn zwischen CDU/CSU und SPD sehen, oder weiterhin links von der SPD. Solange das, glaube ich, nicht geklärt ist, solange tun sich die Grünen auch aus innerparteilichen Gründen sehr schwer, mit der Union im Bund eine Koalition einzugehen.

    Müller: Das ist teilweise ja auch so von den Grünen selbst intern zumindest ja auch begründet worden. Aber wenn wir uns an Franz Müntefering erinnern – vor vielen, vielen Jahren hat er einmal gesagt, Opposition ist Mist. Wenn wir jetzt die Grünen sehen, wenn wir jetzt die SPD sehen, dann hat man das Gefühl, Regierung ist Mist. Warum ist das so?

    Müller-Vogg: Na gut, das sind natürlich auch teilweise Kraftspiele. Da sind auch viele Show-Elemente dabei. Die SPD hätte keine Probleme, in eine Große Koalition einzusteigen, wenn die Union mehr oder weniger das Wahlprogramm der SPD übernimmt und dann in der Großen Koalition umsetzt. Insofern wird jetzt da auch gepokert. Richtig ist natürlich: Es ist immer schöner zu regieren, wenn man die Mehrheit hat und wenn man einen Partner hat, mit dem man sich versteht, mit dem es auch eine gemeinsame Basis gibt. In diesem Bundestag ist alles anders. Wir haben eine rot-rot-grüne Mehrheit und eine Union, die so stark ist, wie sie seit den 90er-Jahren nicht mehr war, aber der natürliche Koalitionspartner fehlt und da rächt sich natürlich der Wahlkampf der CDU, die ja der FDP nicht geholfen hat, über die fünf Prozent zu kommen, und jetzt können sowohl die Grünen als auch die SPD die CDU ein bisschen piesacken und sagen, wenn ihr regieren wollt, braucht ihr einen Partner und dann müsst ihr uns entgegenkommen.

    Müller: Reden wir noch ein bisschen über die Grünen. Sie kennen selbst persönlich ja viele Politiker, haben in den vergangenen Tagen und Wochen ja auch viele Gespräche dort geführt, auch umgekehrt natürlich die Union. War denn dieses aufeinander zu gehen, sich grundsätzlich da an einen Tisch zu setzen unter der Überschrift "Sondierungsgespräche", war das von beiden Seiten ernst gemeint?

    Müller-Vogg: Es war ehrlicher als vor acht Jahren. Damals gab es das ja schon mal, wo man versucht hat, ob man nicht eine Ampel machen kann. Sie erinnern sich: 2005, da war das Gespräch, glaube ich, zwischen Grünen und CDU/CSU nach zwei Stunden beendet und man war sich völlig einig, wir kommen nicht zusammen. Das war diesmal schon etwas anders, weil auch innerhalb der Grünen die Fraktion stärker geworden ist, die Schwarz-Grün möchte, und auch in der Union die Zahl derer, die für Schwarz-Grün sind, auch deutlich gewachsen ist. Nehmen wir mal den CDU-Bundesvorstand des Präsidiums, da gibt es vier stellvertretende Parteivorsitzende und drei sind eindeutig Anhänger von Schwarz-Grün, Frau Glöckner, Herr Strobl und Herr Laschet. Das war vor acht Jahren bei der Union noch nicht so und insofern hat sich da einiges bewegt, und zwar auf beiden Seiten.

    Müller: Also kann man schon sagen, wenn wir jetzt beispielsweise in die Niederlande schauen oder in die skandinavischen Länder, dort kann fast jeder mit jedem. Sind die Deutschen da päpstlicher als der Papst?

    Müller-Vogg: Na gut, prinzipiell kann ja bei uns auch jeder mit jedem, wenn wir jetzt mal die CDU und die Linkspartei außen vor lassen, also eine Koalition CDU-Linkspartei. Es gab ja Versuche in den Ländern mit Schwarz-Grün, auch mit Jamaika. Prinzipiell ist das möglich. Nur da wir Deutschen ja dazu neigen, gerne eine Sache um ihrer selbst willen zu betreiben, sind wir, wenn es um Kompromisse geht, glaube ich, nicht so flexibel wie andere. Andere Länder haben auch die Erfahrung, dass nicht Zweierkoalitionen eine seltene Ausnahme sind und Dreier oder Vierer- und Fünferkoalitionen die Regel. Wenn man das im politischen System etabliert hat, dass man Dreier- oder Viererkoalitionen bildet, dann sind alle Parteien von vornherein etwas kompromissbereiter.

    Müller: Dann wäre die Opposition gegebenenfalls ja noch kleiner, als sie jetzt schon ist.

    Müller-Vogg: Bei einer Viererkoalition?

    Müller: Ja, wie auch immer.

    Müller-Vogg: Ja, das ist klar. Aber die Koalition ist so groß und so klein, wie sie der Wähler gemacht hat. Ich meine, was gerne übersehen wird: in der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 war die Opposition noch kleiner. Das war ein Drei-Parteien-Parlament und da hatte die Große Koalition aus CDU und SPD zusammen 496 Sitze und die FDP hatte 49 Sitze, und die Demokratie hat das überstanden. Also das Argument, wenn die Opposition zu klein ist, ist die Demokratie gefährdet, das halte ich für ein bisschen sehr theoretisch. Das ist was fürs politische Oberseminar, aber nicht für die Realität.

    Müller: Aber so richtig gut finden Sie das auch nicht, dass dann nur noch gute 16 Prozent zusammenkommen?

    Müller-Vogg: Nein, gut ist es nicht. Aber auf der anderen Seite: Was sind die Prioritäten? Das Land braucht eine handlungsfähige Regierung und da ist dann unter den Umständen, wenn es nicht doch noch zu Schwarz-Grün kommt, was man ja nicht ausschließen kann, falls es mit Schwarz-Rot nicht klappt, Schwarz-Rot dann immer noch besser, als dass eine geschäftsführende Regierung ein Jahr im Amt bleibt und von Zufallsmehrheiten abhängt.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Publizist und frühere "FAZ"-Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg. Danke für das Gespräch.

    Müller-Vogg: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.