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"Die havarierten Meiler bleiben weiterhin ein Pulverfass"

Richtig stabilisiert hat sich die Lage in den havarierten Atommeilern im japanischen Fukushima offenbar noch nicht. Heute früh traten aus dem Reaktorblock 3 erneut graue Rauchwolken aus, kurz darauf wurde eine weitere über Block 2 gesichtet.

Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Gespräch mit Monika Seynsche | 21.03.2011
    Vor allem bei den Blöcken 1 bis 4 bleibt die Lage kritisch.
    Vor allem bei den Blöcken 1 bis 4 bleibt die Lage kritisch. (picture alliance / dpa)
    Monika Seynsche: In der vergangenen Woche hieß es immer wieder, die nächsten 24 oder wahlweise 48 Stunden seien entscheidend für die Situation. Bislang ist es in Japan nicht zum GAU gekommen, aber so richtig stabilisiert hat sich die Lage in Fukushima auch nicht. Heute früh gab es nochmal Meldungen, dass es Rauchwolken gegeben hat - zuerst in Reaktorblock 3, später auch in Reaktorblock 2. Mitarbeiter wurden vorübergehend abgezogen. Mein Kollege Ralf Krauter verfolgt das Geschehen in Japan schon seit vielen Tagen. Herr Krauter, wie brenzlig ist die Lage denn jetzt noch?

    Ralf Krauter: Die havarierten Meiler bleiben weiterhin ein Pulverfass, muss man sagen. Japans Regierungssprecher Edano sagte heute Vormittag, für Entwarnung sei es zu früh. Man müsse nach wie vor mit Rückschlägen rechnen. Und wie um ihm Recht zu geben, quoll dann heute frühe einige Zeit lang grauer Rauch aus Reaktorblock 3. Fangen wir aber vielleicht erst mit den guten Nachrichten an: In den Reaktorblöcken 5 und 6 ist die Situation wieder komplett unter Kontrolle. Mit einem Dieselgenerator hat man es dort geschafft, die Erwärmung der Abklingbecken zu stoppen und die auch wieder zu kühlen. Mittlerweile hat man in beiden Meilern auch Netzstrom. Also im Reaktorstatusbericht, den man aus Japan zweimal am Tag abrufen kann, sind Meiler 5 und 6 inzwischen wieder komplett grün. Aber das war auch die leichteste Übung. Denn die waren zum Zeitpunkt des Unglücks ja gar nicht in Betrieb. Ziemlich rot sieht der Statusbericht dafür immer noch für die kritischen Blöcke 1 bis 4 aus. Die wurden ja durch Explosionen größtenteils weitgehend zerstört. Und da ist man immer noch weit davon entfernt, sagen zu können, alles ist wieder unter Kontrolle. Also die Gefahr eines GAUs, der großräumigen Freisetzung von radioaktiven Partikeln, ist immer noch nicht völlig gebannt, die schwebt immer noch wie so ein Damoklesschwert über Fukushima.

    Seynsche: Und was hat es jetzt mit diesen beiden neuen Rauchwolken auf sich?

    Krauter: Experten sagen, überraschend kommen die nicht. Die Kerne der Reaktoren eins bis drei haben einfach immer noch viel zu wenig Wasser, trotz fortgesetzter Meerwasserspülung. Und das gilt auch für die Abklingbecken im Dachgeschoss dieser Meiler. Da liegen ja alte Brennelemente, wohl teils auf dem Trocknen, obwohl man seit Tagen versucht, da irgendwie Kühlwasser reinzubekommen. Gestern wurden über 1000 Tonnen Meerwasser auf Block 3 gespritzt, 13 Stunden lang, heute wieder 6 Stunden lang. Vermutlich hat all das etwas Linderung gebracht. Das Problem gelöst hat es aber nicht. Da kokeln eben immer noch überhitzte Brennstäbe vor sich rum, die werden also fern aller Betriebsparameter, für die sie jemals konstruiert wurden, betrieben. Da ist es dann überhaupt nicht überraschen, dass immer mal wieder Dampf entweicht oder Gase frei werden. Und bei den heutigen Rauchwolken aus Reaktor 3 meldet die Gesellschaft für Reaktorsicherheit aus Deutschland immerhin, man habe keine erhöhte Radioaktivität gemessen, obwohl die Arbeiter ja prophylaktisch evakuiert wurden. Für das, was aus Meiler 2 ausgedünstet ist, gibt es noch keine Details. Man weiß noch nicht einmal, ob der Dampf aus dem Reaktorkern kam oder vom Abklingbecken. Beides wäre im Prinzip denkbar. Was auch möglich wäre: Man versucht ja gerade in dem Reaktor, auch die Elektrik wieder ans Laufen zu bekommen. Vielleicht ist da einfach auch nur eine Maschine durchgebrannt. Genaues weiß man noch nicht.

    Seynsche: Kommen wir mal auf diese Abklingbecken. Man hat ja in den letzten Tagen immer wieder verzweifelt versucht, die irgendwie zu kühlen. Aber ich frage mich, warum sind die überhaupt da oben positioniert, am Dachgeschoss. Das klingt doch widersinnig für irgendwelche Rettungsversuche.

    Krauter: Es gibt konstruktive Gründe dafür. Die sitzen bei diesen Siedewasserreaktoren etwas höher als bei anderen, weil der Druckbehälter mit dem Reaktorkern auf so einem riesigen Torus montiert ist, in dem Wasser und Dampf für die Kühlung und Regelung des Reaktordruckbehälters zirkuliert. Das Abklingbecken seinerseits muss wieder über dem Reaktordruckbehälter liegen. Denn nur so lassen sich die abgebrannten Brennstäbe dann mit einem Kran nach oben herausholen. So kam eben praktisch eines zum andern. Also die Bauweise dieser Reaktortypen bedingt diese Geometrie. Und dass das für eine stark erdbebengefährdete Region vielleicht nicht gerade das cleverste Design ist, liegt auf der Hand. Denn man hat eine sehr große Masse hoch oben im Gebäude, die dann wie ein Pendel zu schwingen beginnt. Und man hat eben im Ernstfall auch Probleme, an diesen Pool ranzukommen und da Wasser reinzubringen. Ein anderes Problem ist offenbar: Die Dichtung dieser Abklingbecken, da kommen pneumatische Dichtlippen zum Einsatz, die allmählich erschlaffen, wenn sie nicht ständig mit Strom versorgt werden. Nach dem Stromausfall gab es keinen Strom mehr. Und es könnte durchaus sein, dass das mitverantwortlich für das Leck im Abklingbecken von Reaktor 4 war, das man da beobachtet hat.

    Seynsche: Was gibt es denn jetzt überhaupt noch für Optionen für die Abklingbecken?

    Krauter: Kühlen, kühlen, kühlen. Das bleibt weiter die Devise. Wir werden also sicher weitere Wasserwerferaktionen sehen. Als Langfristoption wird derzeit offenbar noch das Einfüllen einer Betonmischung eruiert. Die könnte helfen, eben große Mengen radioaktiver Partikel zu binden, weil die dann nicht mehr freigesetzt werden können. Allerdings weiß man eben aus Tschernobyl: Wenn man mit dem Betongießen erstmal beginnt, steigt die Strahlenbelastung erstmal stark - zum einen weil Partikel aufgemischt und dadurch freigesetzt werden, zum anderen, weil es eben zu einem Wärmestau kommt, der dann erstmal zu einer verstärken Radioaktivität führen kann. Also ob das Betongießen eine Option sein könnte, wird gerade durchgerechnet. Es wäre, wenn überhaupt, aber wohl vor allem mittelfristig von Interesse.

    Seynsche: Seit einigen Tagen kommen ja auch Meldungen, dass es Strahlenbelastungen im Wasser, im Gemüse gibt. Wie besorgniserregend sind diese Meldungen?

    Krauter: Also im Umland gilt weiterhin: Die direkte Strahlendosis außerhalb der Sicherheitszone ist unbedenklich. Allerdings wurden, Sie sagten es ja schon, in Pflanzen und Gemüse radioaktive Partikel gemessen. Das ist nicht überraschend. Es wurden Partikel freigesetzt im Gefolge von Explosionen. Die reichern sich jetzt in Pflanzen an, aber auch im Oberflächenwasser. Und vor diesem Hintergrund ist eben zu sehen, dass das jetzt bei Spinat, Raps, bei Boden, Milch und Trinkwasser entdeckt wurde. Die Konsequenz ist klar: Man wird die Ernte im Umland der Reaktoren im großen Stil vernichten müssen, nicht nur dieses Jahres, sondern wahrscheinlich auch in vielen folgenden Jahren.

    Seynsche: Wie lange halten uns diese Reaktoren denn noch auf Trapp?

    Krauter: Das ist die Gretchenfrage. Die Verantwortlichen hoffen, dass die Situation in zwei bis drei Tagen, wenn alles gut läuft, wieder komplett unter Kontrolle sein könnte. Mittlerweile haben alle Reaktoren wieder Strom vom Netz. Und wenn vitale Kühlaggregate in den kommenden Tagen wieder anspringen - was man sehr hofft - dann wäre die große Unsicherheit vorbei. Dann wäre man mit einem blauen Auge vorbei gekommen. Man hätte die Situation endlich wieder unter Kontrolle. Die letzten Tage lehren aber, es gibt viele Unwägbarkeiten und wir müssen hoffen, dass alles glatt geht.

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