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Die Heiligenfigur
Teresa von Ávila wird 500

Am 28. März feiern die Spanier den 500. Geburtstag von Teresa von Ávila. Und sie debattieren über diese Figur. Ist sie eher Autorin, Mystikerin, Reformerin oder Heilige? Fragen, die der Journalist und Schriftsteller Paul Ingendaay im Gespräch mit der Forscherin Rebeca Sanmartín von der Universität Complutense von Madrid erläutern will.

Die Forscherin Rebeca Sanmartín im Gespräch mit Paul Ingendaay | 15.03.2015
    Ordensgründerin Teresa von Avila (1515-1582)
    Ordensgründerin Teresa von Avila (1515-1582) (imago / Michael Westermann)
    Paul Ingendaay: Eine ungewöhnliche Heilige feiert ihren 500. Geburtstag: Teresa von Ávila. Und wie immer, wenn es sich um ein weit entferntes Leben handelt, das nicht nur viele Biografien, sondern auch Anekdoten, Klatsch und Heiligenlegenden über sich ergehen lassen musste, darf die Nachwelt sich ihre eigene Teresa konstruieren: eine Mystikerin voller Rätsel. Eine Bestsellerautorin, die mit Werken wie "Die innere Burg", "Das Buch meines Lebens" oder "Weg der Vollkommenheit" immer noch die Leser in ihren Bann schlägt - und nicht nur die frommen.
    Dass es aber auch um Heiligenverwaltungspolitik geht, zeigt die Verstimmung in Ávila, dem Geburtsort Teresas. Dort beklagte sich der Klerus, er sei bei den offiziellen Gedenkjahrfeierlichkeiten des spanischen Kulturministeriums zu wenig beachtet worden. Und nun kommen wir und wollen Teresa von Ávila nicht nur als religiöse Ikone, sondern auch literarisch betrachten. Was mögen ganz normale Leser in ihren Texten finden? Was ist an diesem reichlich dokumentierten Leben noch zu erforschen?
    "In Spanien kennt sie wirklich jeder"
    Zu diesem Zweck habe ich mich mit der Philologin Rebeca Sanmartín getroffen. Sie ist Professorin für alte spanische Literatur an der Universität Complutense in Madrid und forscht schon seit einigen Jahren über die Heilige. Wenden wir uns zunächst dem Leben der Mystikerin zu. Was, Frau Sanmartín, ist das Bild der Teresa von Ávila? Wissen die Spanier über sie so viel wie über Miguel de Cervantes oder andere Autoren des Goldenen Zeitalters?
    Rebeca Sanmartín: In Spanien kennt sie wirklich jeder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, der des Spanischen mächtig ist, nicht Teresa von Ávila kennen würde - oder Teresa von Jesús, wie sie bei uns genannt wird. Es ist interessant, dass sie in Deutschland offenbar einen anderen Namen trägt als in Spanien: Wir sagen praktisch immer Teresa von Jesús.
    Ihr Bild hat natürlich einen gewissen Wandel durchgemacht. In den Schulbüchern der Franco-Zeit zum Beispiel widmete man ihr - ebenso wie Isabella der Katholischen - besonders viel Platz, vermutlich, um sie als weibliches Tugendideal hinzustellen. Doch selbst heute, in Zeiten eines laizistischen Menschenbildes, bleibt Teresa von Ávila in Spanien eine anerkannte und berühmte Frau. Für die Katholiken ist sie das selbstverständlich als Heilige. Doch auch Nichtgläubige befassen sich mit ihr, denn in den Schulbüchern stehen ihre Texte als Beispiele für die Literatur des Goldenen Zeitalters und werden im Unterricht durchgenommen. Im 16. Jahrhundert sind Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz die beiden herausragenden Vertreter der spanischen Mystik. Daraus folgt: Ja, man kennt sie, ihre Namen bleiben lebendig. Und jetzt, aus Anlass des 500. Geburtstags, werden wir im Radio, im Fernsehen und in den Zeitungen mit dem Teresa-Thema bombardiert.
    Ingendaay: Wenn man es historisch betrachtet: Welche dieser Figuren ist die wichtigste? Die Heilige, die Klostergründerin? Die Schriftstellerin? Die Mystikerin? Die Kämpferin für die Anerkennung der Frauen in der katholischen Welt vor 500 Jahren? Welche ist die wichtigste für einen modernen Menschen von heute?
    Sanmartín: Ich würde besonders die Schriftstellerin und Mystikerin hervorheben. Und in zweiter Linie auch die Klostergründerin und die Erneuerin eines religiösen Ordens. Das Thema des Heiligen hat für mich eher relative Bedeutung. In der damaligen Zeit wurden Frauen, die als Visionärinnen galten, in zwei Klassen eingeteilt: hier die "Heiligen", dort die "Heterodoxen", die außerhalb des katholischen Dogmas standen. In dieser Gefahr schwebte auch Teresa von Ávila. Für die Gläubigen ist sie selbstverständlich als Heilige eine der bedeutenden Figuren. Außerdem wurde ihr als erster Frau überhaupt der Titel einer Kirchenlehrerin zuerkannt.
    In Universitätskreisen dagegen nimmt man sie vor allem als Mystikerin wahr, weil sie das mystische Schrifttum um wesentliche Züge bereichert hat, sowie als Schriftstellerin. Als Autorin ist sie überragend. Sie zur Feministin zu erklären bedarf einer Erläuterung, sonst wird es problematisch. Ganz sicher hat die heilige Teresa ihr Schreiben und ihre Positionen immer verteidigt, auch als Frau, und sie war sich der Stellung der Frauen sehr bewusst. Doch zugleich war sie in hohem Maß eine Frau der Kirche. Als ihr Beichtvater ihr auftrug, ihren Kommentar zum Hohen Lied zu verbrennen, gehorchte sie und tat es. Wenn wir heute davon wissen, dann aufgrund von Abschriften, die früher angefertigt wurden. Aber sie empfand sich bis zu ihrem Tod als "Tochter der Kirche".
    Ingendaay: Jetzt gibt es einen Konflikt im Leben der Heiligen, den man so zusammenfassen könnte: Kampf zwischen dem Spirituellen auf der einen Seite, dem Instinkt - und dem Gebildeten, dem Bücherschreiben, dem Lesen auf der anderen Seite. Dem Wissen, das durch Bücher vermittelt wird. In der Mitte stand die heilige Teresa und hatte diesen Kampf auszufechten. Was kann man dazu sagen?
    Sanmartín: Ohne Frage gab es seit Ende des 15., vor allem aber im 16. Jahrhundert ein gewisses Misstrauen der Amtskirche gegenüber verschiedenen Gruppen, Sekten und einzelnen Pesonen, die den christlichen Glauben auf sehr persönliche Weise leben wollen. Diese Menschen sprechen von Verschmelzung, von der Einheit mit Gott und von Iluminismo, also Erleuchtung. Diese Begriffe lassen in den Augen der offiziellen Kirchenhierarchie auf zu viel Unabhängigkeit schließen. Besonders Frauen, die nicht dieselbe Ausbildung wie gelehrte Männer genossen hatten, standen im Verdacht, gefährliche Dinge zu sagen.
    Santa Teresa zum Beispiel erlebte mit, wie man Magdalena de la Cruz als falsche Mystikerin entlarvte. Magdalena hatte behauptet, ihr trete Blut aus der Seite, während sie sich in Wahrheit nur rote Farbe auf die Haut geschmiert hatte, oder dass sie keine Nahrung zu sich nehme, während sie heimlich aß. Das also wurde enthüllt, und Magdalena wurde bestraft. Und so gab es damals einige Gruppen wie die Illuminaten und später die Molinisten - Abweichler, wenn man so will, von der reinen Lehre der Amtskirche, die sich ihrerseits von diesen Glaubensvarianten, die ihre Autorität in Frage stellten, bedroht fühlte.
    Die Aufsicht über Frauen ist kein rein spanisches Phänomen, man kann sie in ganz Europa beobachten. Seit dem Mittelalter gibt es die "Visionärinnen", ein Begriff, der weitgehend synonym mit Mystikerin zu gebrauchen ist. Sie wurden von der katholischen Kirche nicht nur mit Argwohn betrachtet, sondern im Einzelfall auch verbrannt wie die Französin Marguerite Porete. Im Fall Teresas gilt, dass sie zwar einerseits die misstrauische Beobachtung durch die Kirche ertragen muss, andererseits jedoch die Kontrolle anerkennt. Das heißt: Sie schreibt, was sie zu schreiben hat, und unterwirft sich danach dem Urteil der Theologen, die ihre Texte begutachten. Nicht nur für sie, auch für andere Visionärinnen gilt, dass ihre eigenen Beichtväter sie zum Schreiben ermuntert haben. Denn die Beichtväter hatten den Eindruck, dass diese Frauen etwas zu sagen hatten. Man sollte also keine schematische Konfrontation zwischen gebildeten Theologen auf der einen und Mystikerinnen auf der anderen Seite errichten. Nein, manche Männer ermutigten die Frauen, ihre Erfahrungen in Worte zu fassen. Auch deswegen lesen wir heute das Werk von Teresa von Ávila.
    Ingendaay: Gehen wir jetzt zum Literarischen, dem Werk, das von dieser großen Heiligen bleibt. Es wird ja heute immer noch gelesen, es sind Bestseller - nicht das Gesamtwerk, das von den Theologen und Literaturwissenschaftlern studiert wird, aber doch einige Bücher wie "Die innere Burg" oder "Das Buch meines Lebens". Ihr Leben selbst ist außerdem Gegenstand des Studiums, weil es ein exemplarisches Leben zu sein scheint. Wenn Sie Texte der Heiligen zu empfehlen hätten, was wären die literarischen Züge? Weswegen müssen wir das lesen, was bewegt uns daran noch heute?
    "Die Sprache der Affekte, eine Art Fließen"
    Sanmartín: Ein wesentlicher Zug ist, dass Teresa immer von ihrer eigenen Erfahrung ausgeht. Auf Bildung kann sie ja nicht zurückgreifen. Sie war so wenig gebildet wie die allermeisten Frauen ihrer Zeit. Vielleicht lässt sie sich eben deshalb von ihrem Instinkt leiten. Und auch von der Leidenschaft - beides Merkmale, die in den Erbauungstexten der Zeit, die sich ständig mit gelehrten Anspielungen und Zitaten der Kirchenautoritäten absichern, einfach nicht zu finden sind. Teresa hat aber nichts anderes, sie kann nur direkt sein. Es ist wie ein erfrischender Quell. Man hat auch von ihrer "verliebten Prosa" gesprochen, und es sind auffallende Züge: die Schönheit des Stils, ihre Intensität, der Gebrauch von Verniedlichungen, die Sprache der Affekte, eine Art Fließen, die ihr erlaubt, sich auch einmal zu irren und später, wenn sie das bessere Bild gefunden hat, zu ihrem Thema zurückzukehren, denn sie kann auch in Kreisen denken. Sie findet sehr viele Ausdrücke für Genuss und Freude, überhaupt für die Erfahrung des Positiven.
    Ingendaay: Das ist interessant, denn das scheint die Texte mit dem Leben der heutigen Leser und Leserinnen zu verbinden: dass ein Schreiben direkt aus der Erfahrung kommt und den Prozess des Denkes und Fühlens selbst abbildet. Es scheint ein Anziehungspunkt in diesem Werk zu sein und auch die Nichtgläubigen anzuziehen.
    Sanmartín: Ich glaube, dass die Sprache der heiligen Teresa auch heute noch viele Leser erreichen kann. Vielleicht nicht im originalen Spanisch, in dem die Werke geschrieben wurden, denn das ist nicht ganz leicht und erfordert doch einige Übung. Man müsste sie also modernisieren. Außerdem wirkt ihr Stil manchmal etwas ungeordnet, mit Unterbrechungen und Abschweifungen, fast wie mündliche Rede. Gerade das übrigens gefällt mir daran, der Mangel an Ordnung! Hinter uns liegt ja die Romantik mit ihrem rhetorischen Überschwang, ihrer spontanen Rede bis zum Stammeln, dem Sinn für Improvisation und Selbstkorrektur. All das macht Teresa für mich zu einer der großen Schriftstellerinnen der Renaissance.
    Und dann ist da das Thema Leidenschaft und die unverkennbare Nähe zur Psychoanalyse. Moderne Forscher haben in ihren Beschreibungen die Nähe von spiritueller und sexueller Extase gesehen. Keine ganz ungefährliche Assoziation, doch andererseits nicht völlig von der Hand zu weisen, denn um göttliche Liebe zu beschreiben, benutzt Teresa unverkennbar das Vokabular der irdischen Liebe. Die Autorin selbst verteidigte ihren Gebrauch dieser Bilder, als sie ihren Kommentar zum Hohen Lied der Liebe schrieb. Wie auch immer: Ich bin davon überzeugt, dass die Sprachkunst der Teresa von Ávila jeden erreichen kann, der sich ihr mit einem Minimum an Interesse und Begeisterungsfähigkeit nähert.
    Ingendaay: Man spricht davon, dass im Werk von Santa Teresa eine List, ein Finte zu entdecken ist. Dass sie Strategien anwendet. Dass sie sich einfach, manchmal einfältig und sogar ungebildet gibt, was sie ja auch ursprünglich war, um mit ihren Gedanken nicht als ganz so gefährlich angesehen zu werden. Damit es nicht gegen das Dogma verstieß und die Inquisition nicht misstrauisch wurde. Interessant ist die Frage: Was war daran Taktik, was war natürlich? Hat sie gewusst, dass sie die Einfältige spielen musste, um mit ihren Büchern durchzukommen?
    Sanmartín: Jeder Mensch der damaligen Zeit, der nicht Priester, Theologe oder eine hohe Kirchenautorität war, musste beim Sprechen und Schreiben über religiöse Gegenstände extrem aufpassen. Die Kirche schaute mit scharfen Augen auf die Worte und erst recht auf die Taten. Jeden Augenblick lief man Gefahr, angezeigt zu werden. Jederzeit konnte jemand Fragen stellen oder die Klöster kontrollieren: Frauen wurden überwacht. Man redete, man übte Kritik, auch im Dorf, und das sprach sich herum. Teresa von Ávila ist das zum Beispiel im Kloster von San José widerfahren, einer ihren Gründungen. Oft reichte jemandes Missgunst, damit es zur Anzeige kam. Die Inquisition war allgegenwärtig. Aus all diesen Gründen setzt Teresa ein Stilmittel ein, das wir captatio benevolentiae nennen: Sie zeigt sich in ihrem Schreiben voller Demut, um den Leser geneigt zu stimmen, benutzt diese Strategie aber auch, um die Schriftgelehrten ruhigzustellen. Ihr lag daran zu zeigen, dass sie sich ihres Frauseins ständig bewusst war, und damit auch der eigenen Kühnheit, über solche - den Männern vorbehaltenen - Themen zu schreiben.
    In ihrem Innern aber empfand sie gewiss einen tiefen Widerspruch. Einerseits kennt man die Vorstellung, Gott wähle gerade die Schwachen aus, um sich ihrer als Medium zu bedienen und sich durch sie mitzuteilen. Man spricht von "heiliger Ahnungslosigkeit": Nicht ich spreche, sondern Gott spricht durch mich - ich bin nichts weiter als das Werkzeug Gottes. Darum also bemüht Teresa von Ávila sich immer. Sie versucht klarzumachen, dass sie nichts bewusst tue und allenfalls Gott durch sie spreche. Doch zur selben Zeit klagt Teresa über ihr Frausein und die Benachteiligung, die ihr daraus erwächst. Die Grenzen spürt sie jeden Tag. Von heutiger Perspektive aus zu beurteilen, wie viel von ihrer Demut Taktik war, ist unmöglich. Wer sie als Heilige verehrt, wird geneigt sein zu sagen, Teresa sei wirklich so klein und bescheiden gewesen, wie sie in ihren Schriften erscheint, denn Heilige sind nun einmal so. Für mich ist es nicht ganz so einfach. Nur wissen kann ich es nicht. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt, um diese Frage zu entscheiden!
    Ingendaay: Ein besondes interesantes Thema ist, dass die heilige Teresa als "Hysterikerin" bezeichnet wurde. Das macht sie für uns zu einer modernen Frau. Ist das Vorwurf? Ist das ein Zustand, in dem sich jemand befindet? Und was heißt das für die Texte, die jemand schreibt, was heißt es für den Glaubensausdruck?
    Sanmartín: Ende des 19. Jahrhunderts kommt die Vorstellung von der Visionärin und Mystikerin als Hysterikerin auf - einfach, weil man Hysterie Frauen zuschrieb. In diesem Zusammenhang wurde die heilige Teresa aufgrund des Verhaltens, das von ihr überliefert ist, als Hysterikerin eingestuft. Darin liegt für mich ein bemerkenswerter Mangel an Verständnis, der mit einem Blick von oben herab zu tun hat. Nicht einem Blick der Bewunderung, wie ich und viele andere ihn auf Santa Teresa richten, sondern mit Herablassung und Sexismus. Sicherlich stimmt es, dass Teresa und andere Mystikerinnen Verhaltensweisen zeigten, die wir als bizarr und sonderbar bezeichnen könnten. Darunter ist auch die santa anorexia oder extremes Fasten, dem sie sich unterwarfen. Oder die Askese, die manchmal auch die Selbstkasteiung einschloss. Aber das gehört dazu: Teresa betont die Bedeutung des Körpers in der Mystik, die Freude am Körper wie auch die Freude am Geist. Solche Verhaltensweisen also widersprachen den damaligen Normen, und wann immer eine Frau sich von der Norm entfernte - leider trifft diese Art Ausgrenzung Frauen viel häufiger als Männer -, war man schnell mit einem Wort dafür zu Hand: Die Frauen waren "verrückt". Und im 19. und 20. Jahrhundert eben "hysterisch".
    Aber worauf stützen wir uns, um so etwas zu sagen? Es gibt medizinische Untersuchungen zu Teresa, und es heißt etwa, sie sei an Gebärmutterkrebs gestorben. Und sie habe an Brucellose gelitten, weil sie Ziegenmilch getrunken hatte. Außerdem führte sie ein sehr aktives Leben und reiste unermüdlich durch Spanien. Ich glaube nicht, dass sie Drogen brauchte, um in Trance zu geraten, aber selbst das wurde behauptet. Nein, Teresa von Ávila hatte - wie Johannes vom Kreuz, mit dem sie befreundet war - transzendente Erlebnisse, und ob man sie mit den Augen des Glaubens betrachtet oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Ihre inneren Erlebnisse jedenfalls brachten sie dazu, so zu schreiben, wie sie schrieb. Und die Gesellschaft, in der sie lebte, verstärkte diesen Drang nach innen. Sie als Hysterikerin zu bezeichnen erscheint mir sexistisch, das ärgert mich. Nachdem man das früher öfter gehört hat, sind heutige Mediziner und Philologen allerdings vorsichtiger mit dem Wort geworden.
    Ingendaay: Die naheliegende Frage lautet: Eine Philologin, die vor allem das Werk studiert und weniger die Heiligenlegende, die Levitationen und extatischen Erfahrungen - wie kommt diese Philologin dazu, sich für die Heilige zu interessieren?
    "Ich habe mich immer als Freundin von Teresa von Ávila empfunden"
    Sanmartín: Da muss ich ein Missverständnis ausräumen. Teresa von Ávila hat mich schon fasziniert, als ich ein kleines Mädchen war! Zuerst natürlich durch ihre Bücher. Schon mit zehn Jahren habe ich die Gedichte des Goldenen Zeitalters gelesen und war tief beeindruckt. Aber auch ihr Leben weckte mein Interesse. Bei meiner Großmutter entdeckte ich Bücher über Katharina von Siena, Teresa von Ávila und andere Heilige. Ich stellte mir sogar vor, Nonne zu werden und ins Kloster zu gehen! Später, nach dem Literaturstudium, beschäftigte ich mich zunächst mit dem 19. Jahrhundert und dann mit der Kunst zu sterben im 15. Jahrhundert. Aber die spanische und die europäische Mystik trug ich wohl in mir, sie hat mich angezogen, solange ich denken kann. Ich habe mich immer als Freundin von Teresa von Ávila empfunden.
    Ingendaay: Das ist das Schöne daran: Es gibt verschiedene Antriebe, das Werk zu lesen. Auch die religiöse, die legendäre und mystische Seite spielen eine Rolle. Wie betrachtet denn die akademische Welt mit moderner, auch feministischer Theorie dieses Werk? Wer ist diese Autorin für die Universität in Spanien? Was sind die vorherrschenden Theorien? Und was ist Ihre eigene Sichtweise?
    Sanmartín: Später, als Erwachsene, hat mich an Teresa vor allem das Schreiben interessiert, die literarischen Mittel ihrer Prosa. Das hat sich inzwischen ein wenig verschoben, weil ich mich zurzeit mit der Theatralisierung beschäftige: der "Performance" der Trance. Wenn die Frauen jener Zeit in diese Zustände verfielen, hatten sie ein Publikum, das sie beobachtete und ihnen zuhörte. Teresa führte nun keinen "Dialog mit Gott", wie er der heiligen Katharina von Siena oder in Spanien María Santodomingo und Juana de la Cruz zugeschrieben wird. Aber die Trancen Teresas fanden doch öfter vor Publikum statt - manchmal vor ihren Mitschwestern, andere Male in den Räumen von Adeligen oder im Haus von Menschen, die sie eingeladen hatten. Und die Zuschauer beobachteten, was geschah: die Haltung ihrer Hände, die Veränderungen in ihrem Gesicht, die Starre der Gliedmaßen, die Laute, die sie ausstieß und so fort.
    Es gab bestimmte Kriterien, die ein ekstatischer Zustand zu erfüllen hatte, um als echte Trance zu gelten. Der Mensch, der die mystische Ekstase erlebte, war seiner Umgebung gegenüber unempfänglich. Teresa schreibt auch davon. Sie sagt, nicht jeder könne diesen Zustand erreichen, aber man müsse sich darum bemühen. Davon handelt ihr Werk "Die innere Burg": von den Wegen, die man zurücklegen müsse, um die vollständige Vereinigung mit Gott zu erreichen. Die Trancen von Teresa waren sicherlich weniger spektakulär als die mancher Heiliger im Mittelalter, die angeblich Levitationen erreichten oder sich in der Luft drehten. Teresa ist hier besonders vorsichtig: Sie bittet ihre Mitschwestern, sie festzuhalten, damit dergleichen nicht passieren kann. Sie will kein Aufsehen erregen, wobei ihr als Ordensfrau der Gegenreformation sicherlich auch klar ist, wie gefährlich solches Aufsehen für sie werden könnte. Dennoch lässt sich das, was dort geschah, als echte Aufführung oder Performance bezeichnen.
    Ingendaay: Wenn ein Geistlicher hörte, dass die Taten der heiligen Teresa als Performance bezeichnet werden, wie würde er das aufnehmen? Er könnte es ja mit seinem eigenen Blick auf die Heilige nicht vereinbaren.
    Sanmartín: Ich spreche von Theatralisierung oder Performance in dem Augenblick, da es ein Publikum gibt, das begreift, dass hier etwas Ungewöhnliches aufgeführt wird, das bestimmten Regeln gehorcht. Es entsteht eine andere Wirklichkeit. Erika Fischer-Lichte hat darüber ja Grundlegendes geschrieben. Das Publikum der damaligen Zeit sah bestimmte Gesten sowie Veränderungen im Gesicht und am Körper der in Trance befindlichen Person, und es schloss aus diesen Zeichen auf "göttliche Gegenwart". Es konnte auch zu Bewusstlosigkeit und vielem mehr kommen. Mit dem Regelwerk, welches das Publikum kannte, musste es die jeweils aufgeführten inneren Zustände der Frauen entziffern und deuten.
    Ingendaay: Wir wissen, was in diesem und dem vergangenen Jahr veranstaltet wurde, um den 500. Geburtstag der Heiligen zu begehen. In Ávila gab es feierliche Messen, und eine große Menschenmenge kam in ihrem Geburtsort zusammen. Eine staatliche Gesellschaft ist gegründet worden, um Ausstellungen und Musikaufführungen zu veranstalten. Wie begeht denn die akademiche Welt diesen 500. Geburtstag? Was sind die zwei, drei wichtigsten Thesen über Teresa von Ávila?
    "Feministische Annäherungen haben ihre Berechtigung"
    Sanmartín: Eine der vorherrschenden modernen Theorien ist der Feminismus. Zu dem ich gleich sagen will, dass er in meinen Augen ein Risiko birgt. Denn der Feminismus spricht gern von der "Essenz" der Frau, einem Schreiben "vom Körper her", vom Instinktiven und Vorrationalen und was es sonst noch so gibt. Ich halte es da eher mit Michel Foucault und nenne das Frausein eine gesellschaftliche Konstruktion. Der Feminismus bedient kurioserweise ein altes sexistisches Vorurteil über die spanischen Mystiker Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz, das da lautet: Johannes vom Kreuz habe rationaler geschrieben als Teresa, weil er ein Mann war und sie eine Frau. Also: Feministische Annäherungen haben ihre Berechtigung, zumal Teresa ihre Frauenrolle explizit thematisiert. Doch sie bergen auch Gefahren.
    Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass viele Forscher sich heute für Kultur als Aufführung interessieren. Die "Visionärinnen" erregen dabei besonderes Interesse. Und auf diesem Feld arbeite auch ich: Theatralisierung. Mary E. Giles hat unter diesem Aspekt Visionärinnen wie Juana de la Cruz und María de Santodomingo untersucht. Es ist ein Thema, das uns in Europa schon längere Zeit beschäftigt.
    Ingendaay: 500 Jahre nach ihrer Geburt wirkt ihr Werk weiter, geprägt von einem einzigartigen Charakter, dessen Widersprüchlichkeit ein deutscher Kommentator so beschrieb: "stur wie ein Ochse, dickfellig wie ein Elefant und schlau wie ein Fuchs, Opfer der Inquisition und Lehrerin der Kirche, schuldbewusst und aufmüpfig ... " Ja, alles zugleich. Wir sollten noch nachreichen, dass sie mit wirklichem Namen Teresa de Cepeda y Ahumada hieß, ein Name, den sich kaum ein Mensch merken kann. Deswegen einfach: Teresa von Ávila. Und dieses Jahr ist ihr Jahr.