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"Die Herren der Rohstoffe"

Der Hunger nach Rohstoffen wird immer größer. Vor allem stark wachsende Volkswirtschaften wie China und Indien streben nach den verschiedensten Bodenschätzen. Im Firmenporträt werden an diesem und den kommenden zwei Freitagen die weltgrößten Förderkonzerne vorgestellt. Heute: Der britisch-australischen Multi "Rio Tinto".

Von Marcus Erbe | 16.07.2010
    "For modern mining companies like Rio Tinto the greatest challenge of the 21st century will be to satisfy this enormous growth in world demand ... .”

    Ein Rohstoffversorger der zunehmenden Erdbevölkerung, Beschützer der Umwelt und eine solide Kapitalanlage für Investoren – so präsentiert sich der britisch-australische Konzern in einem PR-Video. Mit einem Nettogewinn von mehr als sechs Milliarden Dollar im vergangenen Jahr ist Rio Tinto eines der größten Bergwerksunternehmen der Welt. In diesem Jahr steht wieder Wachstum auf der Tagesordnung, versicherte Geschäftsführer Tom Albanese in der vergangenen Woche vor rund 500 Branchenvertretern in London:

    "Wir haben eine große Palette an Expansions- und Investitionsmöglichkeiten, für die Kapital benötigt wird. Bisher haben wir in diesem Jahr neue Investitionen in mehr Eisenerzförderung in Kanada und ein neues Nickelbergwerk in den USA angekündigt. Wir haben attraktive Eisenerzprojekte in Australien und Guinea und Kupfer in der Mongolei.”"

    Rio ist auf allen Kontinenten vertreten, aber 90 Prozent der Produktion befinden sich in Nordamerika, Australien und Europa. Gegründet wurde die Firma 1873 von britischen Investoren, die einen Bergwerkskomplex in Südspanien erworben hatten – daher der spanische Name. Heute ist Rio Tinto ein multinationaler Großkonzern, der jedoch verwurzelt blieb in der Tradition Großbritanniens, dem Mutterland der modernen Bergwerksindustrie. Und das Britische an Rio Tinto macht seine Stärke aus, sagt Chris Hinde, dessen Fachzeitschrift "The Mining Journal" seit 175 Jahren über die britische Bergwerksbranche berichtet:

    ""Rio bemüht sich, seine Sache ordentlich zu machen, aber die Firma wird natürlich an den Ansprüchen gemessen, die sie an sich selbst stellt. Rio ist im Grunde nur an großen Minen mit geringen Kosten interessiert. Also wie sich die Rohstoffpreise auch entwickeln mögen, das Unternehmen ist sicher.”"

    Den hohen Erwartungen, die Rio Tinto an sich stellt, wird das Unternehmen jedoch nicht immer gerecht. Im März waren ehemalige Mitarbeiter der Firma in China wegen Industriespionage zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das Rio-Management erklärte, sie hätten auf eigene Faust gehandelt und die Unternehmensführung habe nichts von den Bestechungsgeldern gewusst. Chris Hinde, der den Rücktritt von Rio-Geschäftsführern gefordert hatte, geriet in eine peinliche Situation, als er Tom Albanese vor einer Woche bei dessen Londoner Vortrag mit anschließendem Abendessen begegnete:

    ""Wir hatten ihn ja zum Rücktritt aufgefordert und so war es etwas unangenehm, als ich mich hinterher mit ihm unterhielt und sagte, er hätte abtreten sollen. Er hat sich ganz gut verteidigt, aber es bleibt dabei. Entweder das Management wusste von den Bestechungen, und dann gehört es ebenfalls ins Gefängnis, oder es hat einen totalen Zusammenbruch in der internen Firmenkommunikation gegeben – und zwar hinsichtlich ihres wichtigsten Produkts – Eisenerz – in ihrem wichtigsten Exportmarkt – China.”"

    Der Vorwurf der Bestechung und Industriespionage war nicht die einzige PR-Katastrophe, die Rio Tinto erlitten hat. Vor zwei Jahren – nach Berichten von massiver Wasserverschmutzung in der Nähe eines Rio Tinto-Bergwerks in Indonesien – verkaufte die norwegische Regierung ihr gesamtes Rio-Aktienpaket im Wert von mehr als 600 Millionen Euro. Die entsprechende Regierungserklärung hätte in ihrer Kritik nicht schärfer sein können:

    ""Das Finanzministerium hat beschlossen, die Firma Rio Tinto vom Rentenfonds der Regierung auszuschließen, um nicht Gefahr zu laufen, an schweren Umweltschäden mitbeteiligt zu sein. Es weist nichts darauf hin, dass das Unternehmen seine Praktiken in Zukunft ändern oder Maßnahmen ergreifen wird, um den Schaden an Natur und Umwelt zu verringern ... ”"

    Chris Hinde hält diese Reaktion für übertrieben. Aus seiner Sicht verursacht Rio Tinto nicht mehr Umweltschäden als andere Konzerne:

    ""Die entscheidende Frage ist, ob ein Bergwerksunternehmen überhaupt jemals Umweltgruppen und Rentenfonds zufriedenstellen kann, die auf nachhaltiger Produktion bestehen. Nachhaltigkeit kann die Branche schon ihrer Natur nach nicht bieten, denn die Bodenschätze werden aus dem Boden geholt, und dann sind sie weg und können nicht ersetzt werden."

    Rio-Tinto-Chef Albanese ist das Image seines Unternehmens jedoch wichtig. Während seiner Londoner Präsentation erklärte er, die Bergwerksindustrie müsse mehr für den Umweltschutz tun:

    ""Die Zeiten als es genügte, Dreck auszubuddeln und in eine Kiste zu schaufeln, liegen lange hinter uns. Unsere Branche braucht ein breites Spektrum an Fertigkeiten, um unser Geschäft zu fördern und zu gewährleisten, dass wir sicher, verantwortungsbewusst, ethisch und umweltschonend sind.”"

    Branchenbeobachter und Industrievertreter sind sich einig, dass die Nachfrage nach Rohstoffen vor allem in Ländern wie China oder Indien in den kommenden Jahren zunehmen wird. Die Förderung und der Handel mit Bodenschätzen werden weiter von Großkonzernen wie Rio Tinto kontrolliert werden, die immer häufiger versichern, dass sie umweltschonender, fairer und transparenter operieren wollen. Ob sie diesen, an sich selbst gestellten Erwartungen gerecht werden, wird jedoch letztlich weiterhin davon abhängen, ob die Regierungen der Länder, in denen sie operieren, willens und in der Lage sind, die bei ihnen geltenden Gesetze durchzusetzen.


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