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Die hysterische Republik

Kopftücher, Kampfhunde oder Komasaufen - neue Angstthemen werden von den Medien immer schneller aufgegriffen. Durch das Internet beschleunigt sich das Nachrichtengeschehen. Auf den achten Berliner Mediengesprächen diskutierten Journalisten und Politiker wie der SPD-Vorsitzende Kurt Beck über die Veränderungen im aktuellen Nachrichtengeschehen.

Von Dieter Wulf | 01.12.2007
    Dauernd und offenbar immer öfter werden von den Medien irgendwelche Themen durch das digitale Dorf getrieben. Meist von fast allen gleichzeitig, nur um dann erstaunlich schnell wieder in Vergessenheit zu geraten. Um dies zu diskutieren, hatten der Medienbeauftragte der evangelischen Kirche und das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik am Mittwoch in Berlin zur Tagung "die hysterische Republik" geladen. Als Einstieg präsentierten Journalistenschüler aus Potsdam eine Collage zu Kopftüchern, Kampfhunden, Vogelgrippe, Klimawandel oder Komasaufen.

    Leben wir mittlerweile in einer medial hysterischen Republik? Hysterie, erklärte der Psychoanalytiker Professor Jürgen Körner von der Freien Universität Berlin, das bedeute sehr viel Tamtam aber wenig Substanz. Und genau diese Aufregung nehme in den Medien mit fatalen Folgen kontinuierlich zu, so Professor Körner.

    "Was wir sehen ist dass nicht die Gesellschaft hysterisch wird sondern sie wird eher stumpf. Das heißt die Nachricht, die vor 20 Jahren die Menschen aufgeregt hat, die regen heute keinen mehr auf. Diese Schwelle steigt von Generation zu Generation an. Das ist so und da können sie sich natürlich auch nicht ausklinken, sondern müssen dann da auch mitmachen."

    Schnell kam man dann auf Eva Hermann und andere Aufregerthemen der letzten Zeit. Klar würden Fehler gemacht, meinte der Chefredakteur beim RBB Inforadio Andreas Wertz, aber ein grundsätzliches Problem sei das nicht.

    "Ich meine in den Medien arbeiten Menschen und Menschen machen Fehler, also wird es wieder Fehler geben. Fehlbar sind wir alle."

    Dass die Medien immer schneller werden, darin sah auch Mathias Müller von Blumencron von Spiegel Online eigentlich kein Problem. Aufgeregtheit in den Medien habe es doch schon immer gegeben.

    "Schnelligkeit ist Ehrensache. Wir haben Journalistengenerationen gelernt, es ist dann nicht so schlecht, der erste zu sein. Es ist dann noch besser, der erste und der einzige zu sein. Es ist schon nicht schlecht, ich glaube, in einer Viertelstunde mit was auch immer fertig zu sein und es geschafft zu haben. Das schafft eine Glückshormonausschüttung und ist deswegen ein wichtiger Faktor für das Daseinsgefühl von Journalisten zumindest von Journalisten die im aktuellen Betrieb arbeiten."

    Für Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung hat die Qualität im deutschen Journalismus jedoch in den letzten Jahrzehnten sehr deutlich nachgelassen.

    "Früher in Bonn bekamst du wirklich den Vorwurf, du hättest was aus dem Zusammenhang gerissen, und jetzt gibt es eine Menge Leute, die kennen gar keine Zusammenhänge mehr."

    Und auch Kurt Beck, der SPD Vorsitzende und Leiter der Rundfunkkommission der Länder, der am Ende der Tagung eine Rede hielt, hatte ein entsprechendes Beispiel parat.

    "Die einer jungen Dame, die mit mir ein Interview, ein Hörfunkinterview geführt hat und als sie fertig war fragte, wer sind Sie denn eigentlich."

    Auch er betonte in seiner Rede, dass gerade in der Zeit der medialen Beschleunigung journalistische Kompetenzen immer wichtiger werden.

    "Es wird zu wenig gut ausgebildet. Die Leute stehen unter einem massiven Druck, zum großen Teil eben keine Zeit zum Recherchieren zu haben und möglichst grelle oder schrille Bilder oder Nachrichten zu bringen."

    Am Ende des Tages traf jedoch vermutlich Hans Leyendecker mit seiner skeptischen Sicht am ehesten die Realität.

    "Die Wahrheit ist ja, dass all die hehren Begriffe die wir haben, die werden ständig in den Sonntagsreden verbreitet. Nur in welcher Redaktion wird es tatsächlich umgesetzt. Das sind doch die wenigsten."

    Wie die tägliche Realität tatsächlich aussieht, konnte man an der Berichterstattung über die Tagung selber am besten beobachten. Kurt Beck hielt seine Rede von 17 bis 18 Uhr 30. Die Inforadios der ARD hatten schon für 18 Uhr ein Ein-Minuten-Stück mit O-Tönen des SPD-Vorsitzenden eingeplant. Um 19 Uhr musste ein Zweieinhalb-Minuten-Beitrag mit abschließender Bewertung der gesamten Tagung inklusive der Beck Rede vorliegen. Besser hätte man die Beschleunigung in den Medien nicht deutlich machen können.