Donnerstag, 28. März 2024

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Die Illustratorin Rotraut Susanne Berner
Über Wimmelbücher, Tolle Hefte und den Tod im Kinderbuch

Über 100 Titel umfasst ihr Werk, etwa 800 Cover hat sie gestaltet, das Dorf Wimmlingen erfunden und den Kaninchen-Jungen Karlchen. Und sie ist Herausgeberin der "Tollen Hefte" in der Edition Büchergilde. Eines komme in ihren Werken immer wieder zum Vorschein, sagte Rotraut Susanne Berner im Dlf: ihre Liebe zur Natur.

Rotraut Susanne Berner im Gespräch mit Ute Wegmann | 08.09.2018
    Die Münchner Künstlerin Rotraut Susanne Berner
    Die Illustratorin Rotraut Susanne Berner (Manu Theobald)
    Ute Wegmann: "In der Welt passt alles zusammen und nirgends ist eine Lücke!", so heißt es in Jürg Schubigers "Mutter, Vater, ich und sie", ein Blick auf die Welt, erzählt aus Kinderperspektive. Diesen Satz könnte man ebenso auf die Bilder Rotraut Susanne Berners übertragen, die Schubigers Erzählung 1997 einzigartig illustrierte.
    Bereits 1995 illustrierte die Künstlerin Schubigers "Als die Welt noch jung war". Kurze Geschichten, Alltägliches, Fantastisches über Tiere, Kinder, einen vegetarischen Engel, ein Mädchen, das seinen blauen Falken sucht. Es schien, als hätten vor allem die Schweizer Rotraut Susanne Berner entdeckt: Es folgte ein Bilderbuch mit Hanna Johansen "Der Füsch", ein besonderer Wunsch eines kleinen Mädchens. Und Berner erfindet einen Füsch, fischähnliches Wesen mit einem großäugigen Kindergesicht. Dann das Bilderbuch mit dem Schweizer Kabarettisten und Schriftsteller Franz Hohler, der Titel "Wenn ich mir etwas wünschen könnte".
    Und nun sind wir schon im Jahr 1999 angekommen: "Dunkel war’s, der Mond schien helle", eine Gedichten-, Rätsel-, Märchen- und Weisheitensammlung, ein Hausbuch für die ganze Familie, reich bebildert, mit Preisen überhäuft. Würden wir jetzt so weitermachen, alle Bücher aufzuzählen - es sind weit über 100 Titel, dazu die etwa 800 Cover, die Rotraut Susanne Berner gestaltet hat, wäre die Sendezeit vorbei.
    Aber Rotraut Susanne Berner sitzt mir gegenüber hier im Studio und wir wollen uns unterhalten über ihr Leben als Illustratorin, ihre Vorlieben, ihre Inspirationsquellen, ihre Geschichten.
    Rotraut Susanne Berner, einer der Anlässe, warum wir uns heute treffen, ist ihr 70. Geburtstag, zudem wir ganz herzlich gratulieren. Haben Sie ihn ignoriert oder gefeiert?
    Rotraut Susanne Berner: Danke für die Glückwünsche. Beides. Ich hab versucht, ihn zu ignorieren, ging aber nicht. Ich habe gefeiert. Und es ist ja das ganz Jahr schon eine Ausstellung nach der anderen. Und ich hab ein schönes Buch dazu geschenkt bekommen. Ich bin ganz glücklich.
    Ausstellungen und Preise
    Wegmann: Drei Ausstellungen finden dieses Jahr zu Ihren Ehren statt: Stuben & Tiger, Katzenbilder in der Internationalen Jugendbibliothek in München. Sammel & Surium, Bilder und Bücher aus 40 Jahren im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover, bis 4. November. Und Die Tollen Hefte in der Burg Wissem in Troisdorf, bis 18. November.
    Bilder und Bücher aus 40 Jahren - gehen wir noch mal zurück zu den Anfängen. Geboren 1948 in Stuttgart, Grafik-Design Studium in München, seit 1977 freie Grafikerin, seit 2003 freie Illustratorin. Im Jahr 1984 erhalten Sie zum ersten Mal den Deutschen Jugendliteraturpreis (DJLP) für die Bilder zu "Sonntagskind" von Gudrun Mebs. Es folgen Preise, Nominierungen, Einzelausstellungen, Workshops, die Bebilderung von fremden Texten, die Erfindung von eigenen Geschichten, weitere Preise: 2006 - den Sonderpreis Illustration des DJLP. Und dann 2016 den sogenannten Nobelpreis der Kinder- und Jugendliteratur, die Hans Christian-Andersen-Medaille und im gleichen Jahr den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach.
    Die Hans-Christian-Andersen-Medaille ist eine hochangesehene internationale Auszeichnung. Überwog damals bei der Bekanntgabe Freude oder Überraschung?
    Berner: Also, dieser Preis hat eine besondere Geschichte. Ich war schon ein paar Mal nominiert, hab den Preis nicht bekommen und war fast ein bisschen genervt über eine erneute Nominierung. Ich dachte auch, die Luft ist raus, zumal Jutta Bauer den Preis kurz vorher bekommen hatte. Aber ich hatte Gerüchte gehört, deshalb war ich nicht so überrascht. Der Preis hat ja in der Kinderbuchszene einen großen Namen, aber fragt man mal andere Leute, kennt ihn keiner. Und das erstaunt mich, dass die Öffentlichkeitsarbeit für einen solchen sogenannten Nobelpreis nicht wirkt, sodass die Menschen etwas damit verbinden würden. So gesehen war der Preis sehr schön für mich, aber ehrlich gesagt, relativ wirkungsfrei.
    Wegmann: Vielleicht liegt es daran, dass damit kein Geldbetrag verbunden ist, wie bei dem Astrid-Lindgren-Preis, da bekommt man eine stattliche Summe (Redaktionelle Anmerkung: Fünf Millionen schwedische Kronen, d.h. 545.000 Euro).
    Berner: Allerdings, ja!
    Bei Hans-Christian-Andersen darf man aber in einen weit entfernten schönen Teil der Welt reisen. Diesmal war es Neuseeland. Aber Sie haben es nicht gemacht.
    Berner: Nein, das war mir zu aufwendig, um eine Urkunde oder eine Medaille entgegen zu nehmen, das lohnt keine 30 Stunden. Ich habe ein Video gezeichnet und geschickt!
    Die Berner-Welt
    Wegmann: Im Katalogtext zur Sammel & Surium-Ausstellung spricht Axel Scheffler, Freund und Kollege, von einer "Berner-Welt". Er findet in Ihren Bildern etwas vom 1950er/1960er Jahre-Landleben, vielleicht die Schwabenlandzeit. Sie, Rotraut Susanne Berner, erlebten eine Nachkriegskindheit, in Stuttgart und Umgebung. Inwieweit wirkt die eigene Kindheit hinein in Ihre Bilderwelten?
    Berner: Sehr und besonders stark. Das sehe ich heute mehr als damals, als ich angefangen habe. Heute habe ich einen Rückblick auch durch die Ausstellung, ein Anlass, mal alles anzuschauen, und da sehe ich natürlich überdeutlich die 1950er- und 1960er-Jahre. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Meine Liebe zur Flora ist überdeutlich bis heute geblieben. Und es ist auch die Verbindung mit der Natur, die meine Bilder heute noch alle zeigen.
    Wegmann: Ihr Markenzeichen ist die klare Kontur aller Figuren und Gegenstände und die schwarze Umrandung. Sie arbeiten mit Gouache, Pastellkreiden und Buntstiften. Wie sah Ihre erste Begegnung mit bildender Kunst aus? Wer hat Sie begeistert und war vielleicht Quell und Ansporn?
    Berner: Also ich erinnere mich an einige Dinge, die ich gesehen habe, das prägt natürlich. Man muss sich ja vorstellen, das war in einer Welt, in der Bilder nicht vorkamen. Es gab sie in der Kirche, im Museum, sonst gab es weder Fernsehen noch viele Bücher. Ich hatte zwar Bücher, aber die waren sparsam, meist schwarz-weiß illustriert. Eindringlich sind mir die Bilder von Walter Trier in Erinnerung, der den ganzen Kästner illustrierte, dessen Arbeit mir sehr gut gefällt, und er ist auch eines meiner großen Vorbilder. Dann kann ich noch Wilhelm Busch nennen. Mein Vater, der ein großer Gegner von Comics und Trivialliteratur war, lebte in dem Irrglauben, dass Busch was für Kinder sei und hat mich diesen Büchern überlassen. Und einerseits waren die Geschichten verstörend, aber auch wunderbar und toll.
    "Je spröder desto besser"
    Wegmann: Ich habe schon zu Beginn einige Bilderbücher und die Schubiger Erzählungen benannt, die Sie illustriert haben. Dazu gehören auch die Erzählungen Bart Moeyaerts. Eins meiner erklärten Lieblingsbücher erschien 2003 von Sharon Creech: "Der beste Hund der Welt". Das berührende Tagebuch eines Jungen, der realisiert, dass er über selbst verfasste Gedichte seine Gefühle zum Ausdruck bringen und den Tod seines Hundes verwinden kann. Großartige Vignetten. Sehr reduziert, oft ist das Bild-Element stark angeschnitten. Nur mit einer Farbe, mit Gelb gearbeitet. Wie müssen Texte von Kinderbuchautoren sein, dass Sie Lust auf die Illustration haben?
    Berner: Also bei diesem Buch war es mir sofort klar, dass das meins ist. Das ist ein sehr schöner Text. Es hat mir auch so gut gefallen, dass man am Anfang gar nicht versteht, worum es geht, sodass ich das in den Bildern auch nicht verraten wollte und den Hund erst auftauchen ließ, als er schon tot war. Und am Anfang wollte ich ihn ahnungsweise auftauchen lassen, das hat mich zu der starken Reduktion gebracht. Und es gibt einen Trick der Autorin, sie konfrontiert die lesenden Kinder mit amerikanischer Lyrik in einer Form, die nichts Pädagogisches oder Übergriffiges hat. So eine spielerische Methode, um mit der großartigen Dichtung in Berührung zu kommen. Ansonsten gilt bei mir generell: Je spröder desto besser. Also da kann ich mich mehr zuhause fühlen und ausbreiten. Umgekehrt gesagt: Was ich nicht mag ist, wenn es so überbordend beschreibend wird.
    Jahreszeiten-Wimmelbücher
    Jahreszeiten-Wimmelbücher (Gerstenberg Verlag)
    Wimmlingen
    Wegmann: Winter-Frühling-Sommer-Herbst-Nacht. Manfred, Oskar, Silvia, Hugo, Petra. Hund Elke, Katze Monika, Esel Benjamin. Wimmlingen. Fünf Bücher. Es begann im Jahr 2003, weltweit drei Millionen Exemplare sind verkauft in über 20 Länder. Die Bernerschen Wimmelbücher mit 80 Wimmlingern, so viele Leute, Typen, Tiere, Aktionen.
    Für die, die Wimmlingen nicht kennen: Was ist der Unterschied zu den Wimmelbüchern Ali Mitgutschs, mit denen wir, vielmehr unsere Kinder groß geworden sind?
    Berner: Es verbindet sie eine Fülle von Gegenständen, Menschen und Sachen auf einer Doppelseite in einem großen Format. Und dann hört es aber sofort auf mit jeder Parallelität. Auf den Mitgutschen Bildern kann man wie bei Brueghel oder Bosch sehr viele Sachen sehen, die auch in sich Geschichten erzählen. Aber bei mir kommt der Zeitfaktor hinzu, also man blättert um und es geht weiter. Es geht aber nicht nur im Buch weiter, sondern über alle fünf Bücher. Es ist eigentlich ein Roman, mit vielen Protagonisten, die sich kennenlernen, etwas erleben. Die Jahreszeiten ändern sich, die Tageszeiten ändern sich.
    Wegmann: Wie entstand die Idee? Das ist ja eine ungeheure Arbeit.
    Berner: Ja, das wusste ich zum Glück am Anfang nicht, sonst hätte ich es mir vielleicht überlegt. Der damalige Verleger von Gerstenberg, Edmund Jacoby, hat mir das aufgeschwatzt. Er hat sich das gewünscht, aber da war noch von einem Buch die Rede. Und ich hab gedacht: Wenn, dann muss man was ganz Anderes machen. Ich sehe mich noch im Sommer 2003, der noch heißer war als der diesjährige, und ich zeichne das Winterbuch, zeichne Schneeflöckchen und draußen sind es 40 Grad. Diese Arbeit hat mich fertig gemacht.
    Wegmann: Wenn man so ein ganzes Dorf bewegt, ist das wie Göttin spielen?
    Berner: Man kann natürlich alles bestimmen, so wie ein Romanautor auch: Man kann die Figuren auf der Bananenschale ausrutschen lassen, man kann Nonnen mit Luftballons durchs Bild schicken. Das ist auch lustvoll und der schöne Teil der Arbeit.
    Wegmann: Sie haben doch wahrscheinlich mit vielen Begleitzetteln und Post-Its gearbeitet, oder?
    Berner: Am Anfang beim Winterbuch, da ist es kalt draußen, das ist noch dünn besiedelt. Nach dem Frühling musste ich anfangen mir Listen zuzulegen und auch kleine Psychogramme. Ich habe bei jedem Buch mit einem Drehbuch angefangen, wie beim Film, wo drinsteht, was passiert, was mich nicht daran gehindert hat, weitere Sachen hinzuzufügen, die mir über den Weg liefen.
    Wegmann: Es gab im Rahmen des Lizenzverkaufs einen kleinen Eklat: Der erste interessierte amerikanische Verleger forderte, dass alle Art von Nacktheit (es ging konkret um den kleinen Penis einer Skulptur im Bild) wegretouchiert werden muss. Sie weigerten sich! Hätten auf den großen amerikanischen Markt verzichtet?
    Berner: Hab ich ja schlussendlich nicht, denn ein anderer amerikanischer Verlag hat dann dankenswerterweise die Bücher gemacht, vielmehr aus allen eins. Das ist keine große Heldentat. Das weise ich entschieden von mir. Ich habe damals auf das Gesuch des Verlegers hin nur gelacht, weil ich das so absurd fand, habe dann angeboten schwarze Balken darüber zu setzen. Das wollte er natürlich nicht. Aber das ist Zensur für mich und kommt nicht in Frage. Da gab es gar kein Zögern.
    Die Tollen Hefte
    Wegmann: Im Jahr 1998 haben Sie geheiratet, den Erfinder und Herausgeber der Tollen Hefte, Armin Abmeier, mit dem Sie bereits zwanzig Jahre zusammen waren. Er war ein Comic-Fan durch und durch, akzeptierte Trash neben hoher Kunst und schuf mit den Tollen Heften, in denen sich auf jeweils 32 Seiten Illustratoren zu einem Text ausleben konnten, ein einzigartiges Panorama der deutschen Illustrationsszene der letzten Jahrzehnte. Von Wolf Erlbruch über Axel Scheffler und Nadia Budde über Yvonne Kuschel, Thomas M. Müller, Ole Könnecke, Sie selbst. Man findet herausragende schmale Hefte, in denen die Künstler zwar stilistisch gleich erkennbar, dennoch eine völlig andere Facette ihrer künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zeigen können. Sie bebilderten Charles Bukowski und A.L. Kennedy, Ingrid Bachér und gerade erschienen Gedichte von Michael Hammerschmid.
    Was haben Sie von Armin Abmeier, mit dem Sie eng zusammengearbeitet haben, gelernt?
    Berner: Oh, ich hab viel gelernt. Ich hab ihm alles gezeigt, was ich gemacht habe, und er war mein erster und strengster Kritiker. Er hatte ein gutes Gespür. Er hat mir die ganze Comicwelt gezeigt, die mir völlig verschlossen war, das war schon in den 1970er-Jahren. Ich habe so George Herriman (Red: 1880-1944), einen der Götter der Comiczeichner zum ersten Mal gesehen, was mich total entzückt hat. Die Comicwelt und auch bestimmte Kunstwelten hab ich durch ihn kennengelernt. Ich glaube, er ist in gewisser Weise ein Kind geblieben. Er hat die Sachen in sich aufgesogen, hat sie nicht bewertet, sie gingen durch seinen persönlichen Filter, er hat auch viele Dinge nicht gemocht, aber dieses High and Low, was Sie eben benannten, das war für ihn kein Kriterium, egal ob es Kinderzeichnungen waren oder hohe Kunst, das war für ihn kein Unterschied.
    Ein gutes Bild, was ist das?
    Wegmann: Muss ein Bild um ein gutes Bild zu sein, immer eine zweite Ebene zum Text eröffnen? Muss ich zwangsläufig etwas anderes sehen, als ich lese?
    Berner: Nö, das finde ich überhaupt nicht. Es gibt so viele Zugänge zum Text. Einer davon ist, dass man was ganz Neues erfinden kann, einer ist, dass man dem Text direkt folgt. Und wenn die Bilder gut sind, spielt das keine Rolle. Ich halte auch nichts davon, ein Gesetz daraus zu machen, dass man entgegengesetzt zum Text zeichnet. Wenn es keinen Sinn macht, ist es Quatsch. Ich glaube, es gibt gar keine Regeln. Und ich selbst sehe in meinen Büchern, wie oft sich das ändert. Es hängt davon ab, wie einem ein Text entgegenkommt, ob man was Neues ausprobiert. Oft sind kleine Vignetten sehr schön, die gar nicht viel machen.
    Wegmann: Jetzt haben Sie durch die Ausstellung ja viele Bilder wiedergesehen, die vielleicht auch lange in der Schublade lagen. Haben Sie selber wiederkehrende Motive entdeckt?
    Berner: Ja, und es sind auch Dinge, die ich bekämpfe, weil die mir ständig unterkommen. Also Katzen, die durchs Bild laufen. Ich überprüfe das schon, aber wenn man Dekor zeichnet, ist man schnell geneigt, hier einen Apfel, dort eine Blumenvase hinzustellen, da geht es einem vielleicht wie einem Innenarchitekten. Es ist ein großer Reiz, sich da zu fordern, und was anderes zu machen.
    Wegmann: Ich habe zum Beispiel mehrfach eine Sonne bei Ihnen entdeckt, die die Zunge herausstreckt.
    Berner: Ja, die kommt mehrfach vor. Die personifizierte Sonne ist auch ein Sinnbild der Kinderzeichnung. Mein Vater sagte immer: "Lass das mal weg, die Sonne hat kein Gesicht." Ich finde das aber schön. Ich glaube, ich habe mal ein Gedicht von Eichendorff illustriert, wo die Sonne den Nebel wegleckt. Und das stimmt ja. Das ist naturwissenschaftlich total richtig. Insofern würde ich das immer verteidigen.
    Wegmann: Die von Ihnen kuratierte Ausstellung Die Tollen Hefte - im Jahr 2016 während der Internationalen Kinderbuchmesse in Bologna erstmalig präsentiert - zeigt Armin Abmeiers Spaß an der Illustration und seine Offenheit für alle Formen. Eben diese Ausstellung, die seine Arbeit in ihrer Gänze würdigt, ist nun in der Burg Wissem in Troisdorf zu sehen. Ein Muss für alle Illustratoren und Illustrationsliebhaber.
    Zum Glück der Szene haben Sie nach Armins Tod im Jahr 2012 die Herausgeberschaft der Tollen Heft übernommen. Das nächste Heft, No. 50, bebildert Thomas M. Müller. Eine Indianergeschichte von Bret Harte.
    Berner: Der war mir völlig unbekannt. Es ist das passiert, was oft passiert, dass die Künstler selber mit einem Text kommen. Und die Diversität der Reihe hängt damit zusammen, dass jeder seine eigene Idee hat. Bret Harte war mal sehr berühmt, Zeitgenosse von Mark Twain, und er hat in Amerika Fortsetzungsgeschichten geschrieben, und das hier ist eine Satire. Nach Cooper, dem Lederstrumpf-Erfinder. Und obwohl alles das nicht heutig ist, hat es doch zu diesem Amerika von heute ein paar verblüffende Parallelen. Ohne die Pointe zu verraten, es geht u.a. um Fake-News, die zu fatalen Ergebnissen führen. Und wer könnte das besser illustrieren als Thomas M. Müller, der Satire wunderbar illustrieren kann. Es würde mir kein anderer einfallen.
    Was ich noch ergänzen möchte, zu vorhin. Wir haben nicht nur deutsche Illustratoren, sondern zum Beispiel auch die Franzosen Blexbolex oder Serge Bloch und gerade stehe ich im Kontakt mit dem Niederländer Jost Swarte. Das war immer auch wichtig, auch bei den Autoren, über die Grenzen hinaus zu denken. Und ich glaube auch, dass sich die Reihe dadurch selber anregt, auch für die Künstler, die noch kommen.
    Die dunklen Augenblicke des Lebens
    Wegmann: Der Tod im Kinderbuch, der Tod im Bilderbuch. Im Jahr 2011 erschien von Schubiger mit Ihren Bildern "Als der Tod zu uns kam". Ein schwieriges Thema, weniger als früher, aber immer wieder umstritten, ab wann kann man Kinder mit dem Tod konfrontieren.
    In der Jurybegründung des HCAA heißt es: "She doesn’t fear showing life’s dark moments." In der scheinbar heilen und auch heiteren Welt Rotraut Susanne Berners hat der Tod neben Krankheit und Schmerz seinen Platz.
    Wie ist Ihr Verhältnis zum Thema Tod?
    Berner: Ich persönlich habe ein trauriges Verhältnis zum Tod, weil mein Mann vor sechs Jahren gestorben ist. Aber natürlich begleitet uns das alle. Als Jürg Schubiger damals mit dem Buch zu mir kam, hat mir besonders gut gefallen, dass es kein Buch zum Thema Trauer ist, sondern es wird die philosophische Frage, eigentlich paradoxe Frage gestellt: Was wäre, wenn es den Tod nicht gäbe. Es erinnert mich an ein anderes Buch, das ich gemacht habe: "Bibs" von Hans Magnus Enzensberger, wo die Frage gestellt wird: Was wäre, wenn es nichts gäbe. Und solche philosophischen Fragen kann man mit Kindern ja sehr gut erörtern, wahrscheinlich besser als mit Erwachsenen, weil sie keine Scheu haben, Fragen zu stellen, die auch absurd sind.
    Und bei dem Buch fand ich interessant, zu welchem Ergebnis Jürg Schubiger kommt: Zwangsläufig kommt er zu dem Ergebnis, dass die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben würde, wenn es den Tod nicht gäbe. Das schildert er anhand einer Geschichte sehr deutlich, aber ich glaube, das hat es dem Buch auch nicht leicht gemacht. Ich denke, die Bücher, in denen es darum geht, wie begrabe ich meinen Hamster oder wo ist meine Oma jetzt, die haben es leichter, und bei Schubiger muss man Gesprächsbereitschaft haben.
    Wegmann: Dazu kommt in Schubigers Geschichte, dass es ein kleiner Junge ist, der stirbt.
    Berner: Ja, auch das.
    Das Alte Testament als Geschichtenfundus
    Wegmann: Spielt Religion eine Rolle in Ihrem Leben?
    Berner: Sicher, weil ich sehr religiös erzogen wurde. Ich hab mich davon schon sehr früh ganz verabschiedet, aber es ist ja damit nicht ausradiert. Die ersten 12 oder 14 Jahre meines Lebens bin ich mit und in der Kirche aufgewachsen. Was mich immer noch interessiert, ist das Alte Testament als Literatur und enormer Geschichtenfundus, und ich finde es ein interessantes Feld, weil unsere ganze Geschichte davon beeinflusst wird und auch die Kunstgeschichte, die ohne diesen Hintergrund gar nicht vorstellbar wäre.
    Wegmann: Können Sie sich vorstellen, die Bibel zu illustrieren?
    Berner: Das war mein Plan, aber das habe ich erst mal ad acta gelegt, das ist ein so großes Unternehmen. Das Heft 46, das ja bei den Tollen Heften nicht erschienen ist, das handelt von der Genesis und ist ein Projekt, das auf dem Tisch liegt, und ich hoffe, dass ich das noch nachhole.
    Literaturtipps:

    Edmund Jacoby (Hrsg.) und Rotraut Susanne Berner (Illustration): "Dunkel war’s, der Mond schien helle. Verse, Reime und Gedichte"
    (Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1999)

    Rotraut Susanne Berner: "Karlchen-Geschichten"
    Hanser Verlag, München 2003

    Rotraut Susanne Berner: "Winter-Wimmelbuch". "Frühlings-Wimmelbuch". "Sommer-Wimmelbuch". "Herbst-Wimmelbuch". "Nacht-Wimmelbuch"
    Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2003-2008

    Sharon Creech und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Der beste Hund der Welt"
    aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel
    Fischer Schatzinsel, Frankfurt/M. 2003

    Hans Magnus Enzensberger und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Der Zahlenteufel"
    (Hanser Verlag, München 1997)

    Franz Hohler und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Wenn ich mir was wünschen könnte"
    Hanser Verlag, München 2000

    Hanna Johansen und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Der Füsch"
    Hanser Verlag, München 1995

    A.L. Kennedy und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Das Wörterbuch der Familie Mausbock"
    Die Tollen Hefte (21). Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M. 2004

    Gudrun Mebs und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Sonntagskind"
    Verlag Sauerländer, Aarau 1983

    Bart Moeyaert und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Mut für drei"
    aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
    Hanser Verlag, München 2008

    Jürg Schubiger und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Als die Welt noch jung war"
    Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 1995

    Jürg Schubiger und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Mutter, Vater, ich und sie"
    Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 1997

    Jürg Schubiger und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Als der Tod zu uns kam"!!
    Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2011

    Toon Tellegen und Rotraut Susanne Berner (Ill.): "Josefs Vater"
    aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
    Hanser Verlag, München 1994