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Die Insel der Freiheit

Das Sziget Festival in Budapest gehört zu den größten Musikfestivals Europas. Der rechtspopulistischen Regierung unter Viktor Orbán ist die Veranstaltung verhasst, die liberale Haltung gerade Minderheiten gegenüber passt nicht zu ihrem Großprojekt "sauberes Ungarn".

Von Florian Fricke | 10.08.2013
    Die Gruppe Fanfara Transilvania aus Rumänien gestern Nacht im Romazelt auf dem Sziget Festival. Die zehn Musiker geben alles, das Publikum auch. Auch wenn das Romazelt im Vergleich zu anderen Zelten des Festivals winzig ist und auf dem riesigen Gelände erst einmal gefunden werden muss - es ist und bleibt ein fester Bestandteil von Sziget, auch im Ungarn unter der Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán. Das sieht auch Tamas Kadar so, der Leiter des Festivals:

    "Heute ist es kein großes Thema mehr. Damals, wenn wir das aufgemacht hatten, dann ja. Und wenn Politiker das nach und nach wieder vorbringen, dann können wir nichts tun."

    Denn es ist bereits Wahlkampf in Ungarn. Nächstes Jahr will die regierende Fidesz-Partei ihren fulminanten Wahlsieg von 2010 wiederholen. Viktor Orbans Projekt eines völkisch geprägten Ungarn, wo Werte wie Familie und Vaterland die Debatten bestimmen, ist auf strammen Kurs. Auch die Hauptstadt Budapest bekommt Orban immer mehr unter seine Kontrolle. Der Staat übernahm Schulden in Höhe von 350 Millionen Euro, hat sich aber im selben Zug ein gehöriges Mitspracherecht in allen Kommunen gesichert. Wenn sich nun ein Bürgermeister mit der Regierung anlegt, kann es dem Stadthaushalt schnell schlecht ergehen.

    Plötzlich fordert die Stadt fünf Millionen Euro Miete
    Das Sziget Festival ist den Tugendwächtern von Fidesz und vor allem der rechtsradikalen Jobbik-Partei ein Dorn im Auge. Schon vor zwei Jahren hatte Fidesz-Bürgermeister Tarlos den Druck auf das Festival massiv erhöht, indem er plötzlich fünf Millionen Euro Miete für das städtische Gelände verlangte und zum Beispiel die Abgaben für Müllentsorgung drastisch anhob. Das Festival stand kurz vor dem Aus, wie Leiter Tamas Kadar zugibt:

    "Es wurde so errechnet, als ob man eine Hotdog-Bude in der Innenstadt aufstellt, und zahlt pro Quadratmeter so und so viel, und das wurde mit den 76 Hektar hier aufgerechnet. Wir fangen an natürlich Gespräche zu führen, und es wurde im einigermaßen normalen Bereich gehalten werden, aber wir zahlen jetzt eine Miete."

    Von 500.000 Euro, was bei einem Gesamtetat von circa zehn Millionen Euro ein gewaltiger Posten ist. Das diesjährige Festivalmotto, Island of Freedom, könnte man so auch als Trotzreaktion des Festivals interpretieren, zumal die ungarische Version Republik Sziget heißt. Dazu muss man wissen, dass Orban die offizielle Bezeichnung "Republik Ungarn" in "Ungarn" geändert hat. Die Festivalleitung weist aber jede politische Interpretation weit von sich. Tamas Kadar:

    "Wir hatten auch gehört, dass viele da was reinlesen. Wir wollten einfach zeigen, dass Sziget völlig anders ist. Nicht nur in Ungarn, sondern alles um uns. Wenn man über die Brücke kommt und auf Sziget hineinkommt, dann ist das eine völlig andere Welt."

    Kadar: Wir möchten keine Politik machen
    Eskapismus also als politische Antwort? Nein. Vielmehr verhält sich die Festivalleitung so, wie sie sich vielleicht auch unter dem Kommunismus verhalten hätte. Aussagen lassen sich vielseitig interpretieren, so bleibt man schwer angreifbar. Tamas Kadar:

    "Wir möchten überhaupt keine Politik machen. Wir haben unsere Werte. Und wenn unsere Werte jetzt nicht so nah an der Politik liegen, da können wir nichts für tun. Wir bleiben bei unseren Werten: Vielfältigkeit, Akzeptanz, Freiheit - das sind unsere Werte, und wir werden immer so sein."

    Auch die schwul-lesbische Community kann sich mit einem eigenen Zelt auf dem Festival darstellen. Als Rechtsradikale vor zwei Jahren versuchten, den Eingang des Festivals zu blockieren, war auch schnell die Polizei dar und schmiss sie raus. Der eigentliche Kampf geht immer um die Lautstärke. Mit den Bürgermeistern der drei angrenzenden Bezirke muss sich das Festival gutstellen. Nächstes Jahr finden auch Kommunalwahlen statt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Budapest dann wieder links regiert wird. Eine Aussicht, die Tamas Kadar gar nicht so geheuer ist. Das Sziget Festival könnte dann als politischer Spielball zwischen Staat und Stadt zerfleddert werden. Tamas Kadar:

    "Die ersten Jahre und die letzten Jahre von der Regierung sind immer gespannt für uns. Also wir sehen da immer ein Problem. Unerwünscht sind wir nicht, erwünscht auch nicht. Irgendwas in der Mitte."


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