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Die Jesuiten
Freigeistig, gebildet und streng hierarchisch

Klöster und Orden sind beliebt. Gerade kirchenferne Menschen finden dort Stille und Zeit für sich selbst. Auch Papst Franziskus ist ein Ordensmann, nämlich Jesuit. Die legen Wert auf eine akademische Ausbildung, wollen Einfluss nehmen - und sie ecken deshalb an.

Von Burkhard Schäfers | 10.08.2015
    Der katholische Ordensstifter der Jesuiten, Ignatius von Loyola auf einem reproduzierten Ölgemälde. Er wurde 1491 geboren und verstarb am 31.07.1556 in Rom.
    Der katholische Ordensstifter der Jesuiten, Ignatius von Loyola auf einem reproduzierten Ölgemälde. Er wurde 1491 geboren und verstarb am 31.07.1556 in Rom. (Imago / Michael Westermann)
    Es beginnt schon bei der Ordensgründung im 16. Jahrhundert: Ignatius von Loyola, ein Adeliger aus dem Baskenland, wendet sich mit einigen Gefährten direkt an den Papst. Der soll sie dorthin schicken, wo er es für sinnvoll hält - als Elitetruppe, die den christlichen Glauben verbreitet. Auf eine Ordenstracht verzichten die Jesuiten, auch das sorgt für Aufsehen. Im Establishment der katholischen Kirche eckt Ordensgründer Ignatius an, sagt der Jesuit Patrick Zoll:
    "Er ist schon innerkirchlich ein Mann, der provoziert. Ein Mann mit Ecken und Kanten, der mit einer langen Ordenstradition gebrochen hat. Auf einmal Ordensmänner, die kein Habit mehr tragen, die kein Chorgebet mehr beten. Und mit dem Anspruch, Elite zu sein - das hat provoziert. Er ist ein kantiger, ein ungemütlicher, ein teilweise auch verstörender Heiliger."
    Freigeist mit Zopf
    Ignatius schreibt seinen Ordensleuten ein langes Studium vor: Theologie, Philosophie, wenn möglich weitere Fächer. Und so ist Bildung bis heute ein Schwerpunkt der Jesuiten: Sie haben Schulen, Universitäten, leiten Akademien und wissenschaftliche Einrichtungen. Ihr Engagement geht weit über die katholische Theologie hinaus: In Fragen von Medizin und Ethik, Kultur, im wirtschaftlichen Diskurs oder in der Debatte mit dem Islam. Patrick Zoll lehrt Sozialethik an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München.
    "Die Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen, anderen Religionen, die Vermittlung von Orientierung in einem pluralen Kontext, wo man nicht mehr von einer einheitlichen, konfessionellen Kultur ausgehen kann. Dass da Philosophie - aber auch andere Wissenschaften - ein gutes Instrument sind. Dass Menschen lernen, ihre Vernunft in einem kritischen Sinne zu gebrauchen. Und vielleicht auch merken, dass Glaube und Vernunft kein Widerspruch sein muss."
    Patrick Zoll trägt längere Haare, zusammen gebunden zu einem Zopf. So offen und freigeistig die Jesuiten daherkommen, so widersprüchlich wirkt auf viele die straffe Hierarchie des Ordens. Gehorsam gilt als hohes Gut. Ordensobere werden nicht gewählt, sondern ernannt. In einer Gesellschaft, die Freiheit und Autonomie über fast alles stellt, klingt das wie aus der Zeit gefallen.
    "Ich glaub das ist ein modernes Vorurteil, dass Bindung an etwas immer ein Widerspruch sei zur Freiheit. Wenn man sagt: Meine Freiheit besteht darin, zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen zu können, dann aber auch eine zu wählen, einen Lebensweg konsequent zu gehen - ich glaube, dass das Menschen Sinn gibt, sie frei macht. Hingegen wenn ich keine Kriterien hab und ständig überlegen muss, mache ich jetzt dies oder das - ich glaube nicht, dass das ein Ausdruck von Freiheit ist."
    Gefragte Experten
    Wie andere Ordensleute versprechen die Jesuiten neben dem Gehorsam ein eheloses und bescheidenes Leben. Ideale, die heute vielen befremdlich erscheinen, sagt Professor Gert Pickel, der an der Universität Leipzig Religionssoziologie lehrt.
    "In den 50er-Jahren war Gehorsam einer der wichtigsten Erziehungswerte überhaupt. Mittlerweile ist er einer der am wenigsten genannten Erziehungswerte. Jetzt ist es Individualität, Selbstentfaltung des Einzelnen. Und das korrespondiert nicht mehr so ganz mit dem Angebot, das Orden auch mit Armut, mit Rückzug anbieten. Das ist für viele junge Menschen eben nicht so attraktiv."
    Die Jesuiten leben weniger zurückgezogen - nicht in Klöstern, sondern in Kommunitäten, einer Art Wohngemeinschaften. Ihr Auftrag ist der Dialog zwischen Kirche und Welt. Sie versuchen, verschiedene Disziplinen zusammen zu bringen: Philosophie und Naturwissenschaft etwa oder Religion und Politik.
    "Das führt sie sehr stark in die Welt hinein. Bis an die Universitäten, hinein in Diskurse, die gegenwartsbezogen sind. Und diese Diskurse geben ihnen die Möglichkeit zu partizipieren, in die Welt zu wirken. Aber das bedeutet, dass sie wesentlich stärker diesen Diskursen auch ausgeliefert sind. Zum Beispiel die Bedeutung, die Wirksamkeit von Religion auch thematisieren. Das ist natürlich eine gewisse Anfechtung, mit der man umzugehen hat."
    Contra-kulturelles Programm
    Trotzdem sind die Jesuiten gefragte Experten. Sie bieten Seminare für Manager internationaler Konzerne an, etwa zu moderner Führungskultur oder zum ethischen Wirtschaften. Und sie beraten Spitzenpolitiker ebenso wie große Verbände. Ordensleute gelten als besonders unabhängig, sagt Religionssoziologe Pickel - gerade im Vergleich zu sonstigen Beratungsunternehmen.
    "Diese Unabhängigkeit kann sehr hilfreich sein. Weil es Positionen ermöglicht, die vielleicht auch mal konträrer sind. Und die Unabhängigkeit des Ordens ihnen die Chance gibt, als Berater auch mal Unangenehmes zu sagen, was ja nicht jeder Berater tut. Durch den Rückzugsort des Ordens hat man eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber Mechanismen in einer Gesellschaft, die wir in der Ökonomisierung, aber auch in diesem Bereich wiederfinden."
    Wie Jesuit Patrick Zoll: Als Sozialethiker versucht er, in politischen Debatten gewisse Gegenakzente zu setzen.
    "Wir sehen es an der Griechenlandkrise, wir sehen es am Scheitern der EU, eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen zu organisieren. Dass man sagt: Das Gemeingut ist mehr als ein Aushandeln von individuellen Präferenzen und Interessen. Und dass das etwas ist, was fehlt in vielen politischen Diskursen - dass es eine Politik des Gemeinguts braucht."
    Die Jesuiten wollen aber nicht nur mit Worten in die Gesellschaft hineinwirken. Allein schon der Lebensentwurf widerspreche der kulturell vorherrschenden Norm, was erstrebenswert sei. Als Ordensmann Verzicht zu versprechen, sei eine Lebensform, die andere zum Nachdenken bringen könne, sagt der 37-Jährige.
    "Nehmen wir das Stichwort Sexualität: Es muss ja eine Provokation sein, ein Leben zu leben und zu sagen, jegliche Befriedigung sexueller Bedürfnisse und Wünsche ist nicht gleichzusetzen mit einem erfüllten und glücklichen Leben. Ich glaube, das ist zeugnishaft in einer Kultur, die ja durchaus hypersexualisiert ist, als Sinnangebot und in gewisser Weise als ein contra-kulturelles Programm."
    Wie andere Ordensleute werden auch die Jesuiten in Mitteleuropa immer weniger und immer älter: Der Altersdurchschnitt in Deutschland liegt bei 65 Jahren, insgesamt leben hierzulande gut 350 Jesuiten. Orden könnten heute nicht mehr die ganze Gesellschaft prägen, sagt Patrick Zoll. Aber sie könnten kleine kreative Inseln sein - wo sich Glaube anders erfahren lässt als in den oft überalterten Kirchengemeinden. Wenn es die Jesuiten nicht mehr gäbe, was würde den Menschen fehlen?
    "Ich glaube, wenn die Jesuiten verschwinden, wäre das nicht dramatisch. Aber ich glaube schon, dadurch, dass wir einen Schwerpunkt legen auf Bildung, auf Kultur, dass wir doch eine immer noch wichtige Funktion haben in einer Kultur Brückenbauer zu sein zwischen verschiedenen religiösen Ansichten - christlicher, nichtchristlicher Art, aber halt auch atheistischer und agnostischer Art - dass sie einen interessanten Gesprächspartner verlieren könnten."
    Weltweit gibt es knapp 17.000 Jesuiten. Dass der Orden mittelfristig aus dem Leben der katholischen Kirche verschwindet, ist unwahrscheinlich. Zwar drängten die Vorgänger von Papst Franziskus die Jesuiten eher an den Rand und bevorzugten andere religiöse Bewegungen. Der amtierende Papst aber ist selbst Jesuit.