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Die junge Geigerin und der Gigant

Die junge Geigerin Janine Jansen hat mit Einspielungen der großen Violinkonzerte von Felix Mendelssohn, Max Bruch oder Peter Tschaikowsky bereits Beweise ihrer Kunst vorgelegt. Nun wagt sie sich an den Giganten Beethoven - mit großem Erfolg.

Moderation: Ludwig Rink | 11.10.2009
    "Queen of the Download" - diesen Titel heftete man der jungen niederländischen Geigerin Janine Jansen vor gut vier Jahren an. Damals hatte sie Vivaldis berühmte Vier-Jahreszeiten-Violinkonzerte in einer virtuosen Kleinstbesetzung aufgenommen, die sich ihre Altersgenossen dann begeistert aus dem Internet herunterluden.

    Heute ist dieses technische Verfahren auch älteren Menschen geläufig, und Janine Jansen hat inzwischen mit Einspielungen der großen Violinkonzerte von Felix Mendelssohn, Max Bruch oder Peter Tschaikowsky weitere Beweise ihrer Kunst vorgelegt, die keinen Zweifel daran lassen, dass wir es bei ihr mit einer der ganz großen Geigerinnen unserer Zeit zu tun haben. Und im Sommer zeigte sie zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen oder dem Schleswig-Holstein Musik Festival, dass sie sich mit Erfolg auch dem Giganten Beethoven zu nähern weiß. Dessen Violinkonzert, so sagt sie selbst, habe sie zunächst eingeschüchtert, vielleicht deshalb, weil man es allgemeiner Auffassung nach nur spielen könne, wenn man älter und erfahrener sei.

    Unterstützt von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem aus Estland stammenden Dirigenten Paavo Järvi legte Janine Jansen jetzt jede Scheu in Sachen Beethoven ab und bot ein weiteres interpretatorisches Meisterstück. Nach einem dieser Konzerte in Hamburg blieben Solistin, Orchester und Dirigent Anfang August noch drei Tage zusammen und produzierten Beethovens einziges Violinkonzert noch als CD, die in diesen Tagen auf den Markt kommt.

    1 Ludwig van Beethoven
    Konzert für Violine und Orchester D-dur, op. 61, 3. Satz
    Janine Jansen, Violine, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Leitung: Paavo Järvi, LC 00171 Decca, 478 1530


    Janine Jansen und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Spätestens seit diesem Sommer weiß jeder Feuilleton-Leser von dem sagenhaften Beethoven-Sinfonien-Zyklus, den dieses Orchester unter Leitung von Paavo Järvi in Salzburg oder beim Beethovenfest in Bonn auf die Beine gestellt hat. Der Überraschungscoup, den diese in Bremen beheimateten hoch engagierten Musiker da auf der Bühne und vorher schon auf CD mit diesem Standard-Repertoire gelandet haben, erinnert am ehesten noch an Ähnliches vor etwa 15 Jahren mit Nikolaus Harnoncourt: Beifallsstürme bei Publikum und Kritik.

    In relativ kleiner Besetzung gelangen maßstabsetzende Neuinterpretationen voller Natürlichkeit, ohne falsche Feierlichkeit, ohne hohles Pathos, ohne bedeutungsschweres Hohe-Kunst-Gehabe. Die geforderten schnellen Tempi werden hochvirtuos umgesetzt - keine Selbstverständlichkeit bei Beethoven. Und auch das Langsame atmet, hat seinen Puls und wird nicht zusätzlich noch zerdehnt. Nebenstimmen erhalten Bedeutung, werden keinem nebulösen Gesamtklang geopfert, Ecken und Kanten bleiben als solche erhalten, Präzision und Prägnanz stehen im Vordergrund.

    Dass Janine Jansen für ihre Violinkonzert-Einspielung auf dieses Orchester mit Paavo Järvi traf, erweist sich als purer Glücksfall. Auch sie spielt mit großem Enthusiasmus und Risikobereitschaft, reagiert auf Impulse hellwach, kann Melodiebögen so differenziert gestalten, dass sie geradezu zu sprechen anfangen, kann das Grimmige in Beethovens Tonsprache ebenso darstellen wie das Humorvolle, das Himmelhoch-Jauchzende ebenso wie das Melancholische, und gerade im Pianissimo gelingen ihr, wie hier im 2. Satz, Augenblicke großer Zartheit und Entrücktheit.

    2 Ludwig van Beethoven
    Konzert für Violine und Orchester D-dur, op. 61, 2. Satz
    Janine Jansen, Violine, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Leitung: Paavo Järvi, LC 00171 Decca, 478 1530



    Und auch für das zweite auf dieser CD zu hörende Violinkonzert von Benjamin Britten hat Janine Jansen sich mit dem London Symphony Orchester ein hierfür ideal geeignetes Ensemble aussuchen können. Auch hier wieder am Pult: Paavo Järvi.

    Über 30 Jahre nach Benjamin Brittens Tod hat sich die Sicht auf sein kompositorisches Werk deutlich verändert: Er ist zu einem wichtigen Klassiker der Moderne geworden. Das war nicht immer so. Ins Bild eines seriösen, allzeit mit sich ringenden Tonschöpfers passte schlecht, dass Britten vor allem zwischen 1930 und 1940 in kurzer Zeit eine Vielzahl von Stücken für Filme, Theateraufführungen und den Rundfunk produziert hatte.

    Hinzu kam, dass er sich selbst einmal bei einer Preisverleihung in bescheidenem Understatement als Schöpfer von "Gelegenheitsmusik" bezeichnet hatte, der fast jedes Stück für eine bestimmte Gelegenheit und meist auch für bestimmte Musiker geschrieben habe. Eine solche Äußerung führte zu Stirnrunzeln bei den Kritikern, die darin einen schlimmen Rückfall in fast schon höfische Zeiten sahen; was zählte, war das Einzigartige jedes einzelnen Kunstwerks, das immer wieder neue Ringen um die nur ihm angemessene Form, weitgehend frei von irdischen Zwängen und Vorgaben. Und auch die Avantgarde der 50er- und 60er-Jahre ließ neben ihrem in serieller Technik Hergestelltem kaum etwas anderes gelten. So erhielt Brittens Musik Beurteilungen wie "Mischung aus Eklektizismus, Vielseitigkeit, flüssiger Produktivität, technischem Glanze und Mangel an Tiefe". Eine solche Einschätzung löst angesichts seines wohl berühmtesten Werkes, des Kriegsrequiems, heute nur noch Kopfschütteln hervor; aber auch das Violinkonzert erreicht in äußerst dichter Sprache hohe emotionale Qualität.

    3 Benjamin Britten
    Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 15, 1. Satz
    Janine Jansen, Violine, London Symphony Orchestra, Leitung: Paavo Järvi, LC 00171 Decca, 478 1530


    Benjamin Brittens Violinkonzert entstand in den Jahren 1938/39 und scheint das latente Gefühl von Bedrohung und Unsicherheit dieser Jahre widerzuspiegeln. Trotz der Hoffnung gerade englischer Politiker, dass durch das Münchner Abkommen die Gefahr deutscher Aggressionen gebannt sei, hielten andere Zeitgenossen einen Krieg für unausweichlich. Britten war damals Mitte 20 und durch und durch pazifistisch eingestellt. Ein weiterer großer Krieg war für ihn eine schreckliche Vorstellung. Der "große faschistische Schattens der Nazis, die jeden Moment alles zugrunde richten konnten", brachte ihn schließlich dazu, im Mai 1939 mit seinem Lebens- und Kunstgefährten Peter Pears nach Amerika zu gehen.

    Hinzu kam die Erinnerung an den erst kurze Zeit zurückliegenden spanischen Bürgerkrieg, den Britten während einer Barcelonareise im Jahr 1936 aus nächster Nähe erlebte. Dort hatte er beim Weltmusikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik gemeinsam mit dem spanischen Geiger Antonio Brosa seine Suite für Violine und Klavier op. 6 aufgeführt. Brosa übernahm im März 1940 auch den Solopart bei der Uraufführung des Violinkonzertes in New York, und er war überzeugt davon, dass die im Laufe des Werkes häufig wiederkehrende rhythmische Figur der Pauke am Anfang des Konzertes spanischen Ursprungs sei und das gesamte Werk mithin eine künstlerische Reaktion Brittens auf den Bürgerkrieg darstelle.

    Diese Auslegung klingt umso überzeugender, je mehr man sich auf die über weite Stecken hinweg verhangene und angespannte Atmosphäre dieser Musik einlässt. Und selbst der Mittelsatz, mit Vivace überschrieben und durchaus mit Scherzo-Charakter, erweist sich bei genauerem Hören eher als ein einigermaßen grotesker Totentanz.

    4 Benjamin Britten
    Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 15, 2. Satz
    Janine Jansen, Violine, London Symphony Orchestra, Leitung: Paavo Järvi, LC 00171 Decca, 478 1530


    Auch hier beim Violinkonzert von Benjamin Britten überzeugt Janine Jansen mit stupender Technik, großem Temperament und höchster Musikalität. Besonders hervorzuheben ist, wie Solistin und Orchester die im Hintergrund immer vorhandene Angespanntheit dieser Musik vermitteln und mit welcher emotionalen Tiefe gerade auch die bedrohlichen Momente von Verzweiflung und Finsternis gestaltet werden.

    Wer Janine Jansen live mit Brittens Violinkonzert erleben möchte, kann das am 15., 16. und 17. Oktober in der Berliner Philharmonie. Das Beethoven-Konzert spielt sie das nächste Mal Mitte November an zwei Abenden in der Pariser Salle Pleyel, dort mit dem Orchestre de Paris und wieder unter Leitung von Paavo Järvi, der im Sommer nächsten Jahres dort als Nachfolger von Christoph Eschenbach die Chefdirigenten-Position übernimmt.

    5 Benjamin Britten
    Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 15, 3. Satz
    Janine Jansen, Violine, London Symphony Orchestra, Leitung: Paavo Järvi, LC 00171 Decca, 478 1530


    Die Neue Platte - heute hörten Sie Janine Jansen mit den Violinkonzerten von Beethoven und Benjamin Britten, die sie zusammen mit der Deutschen Kammerphilharmonie beziehungsweise mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen hat. Die CD erscheint in diesen Tagen bei Decca. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.