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Die jungfräuliche Königin

Am 7. September 1533 erblickte im königlichen Lustschloss zu Greenwich bei London ein Mädchen das Licht der Welt, das eine ganze Epoche prägen sollte: Elizabeth, Tochter von Anna Boleyn und Heinrich VIII. von England. Das Elisabethanische Zeitalter wird als das glorreiche Kapitel der englischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bezeichnet: Kunst, Literatur und Freibeuterei erblühten, England erlangte internationale Geltung.

Von Jens Brüning | 07.09.2008
    Der König war maßlos enttäuscht und kam nicht zur Taufe. Dabei war Elizabeth Tudor ein reizendes Kind mit rotblonden Haaren, braunen Augen und sehr weißer Haut. Heinrich VIII., König von England, hätte lieber einen Sohn gehabt. Für einen Thronfolger hatte er eine politische und religiöse Revolution inszeniert. Sobald die Unabhängigkeit von der katholischen Kirche gewonnen war, hatte Heinrich seine Ehe für ungültig erklären lassen, im Januar 1533 das kapriziöse Hoffräulein Anna Boleyn geheiratet und zur Königin gemacht. Gerade rechtzeitig, denn am 7. September schon kam Elizabeth zur Welt.

    Elizabeth entwickelte sich prächtig, fern vom Londoner Hof, seinen Intrigen und lebensgefährlichen Liebeshändeln. Heinrich war sechsmal verheiratet, und zwei seiner Frauen, auch Elizabeths Mutter, wurden hingerichtet, weil sie seine Gunst verloren hatten. Als der König starb, war Elizabeth 14 Jahre alt, gründlich ausgebildet in fremden Sprachen, Rhetorik und dem Bogenschießen; sie war eine ausgezeichnete Reiterin, musizierte meisterhaft auf dem Spinett und tanzte anmutig. Und sie war die Nummer drei der Thronfolge, die der Vater noch festgelegt hatte.

    " Sie ist eine sehr eitle Frau, aber auch sehr schlau. Offenbar bewundert sie ihren Vater und dessen Politik sehr, "

    schrieb der Botschafter des Spanischen Hofes in London an seinen König Philipp. Das war 1558, und Elizabeth wurde in diesem Jahr Königin von England. Ihr jüngerer Halbbruder Edward hatte die Nachfolge seines Vaters angetreten, war früh an Schwindsucht verstorben, und beider Halbschwester Maria starb nach nur fünf Jahren im Amt. Ihr Beiname "Bloody Mary" weist auf ihren Regierungsstil hin. Mit 25 Jahren stand Elizabeth am Beginn ihrer Regentschaft.

    Elizabeth handelte in kirchlichen Fragen undoktrinär und umgab sich mit loyalen Beratern. Sie erwies sich als kluge Politikerin, mied überflüssige kriegerische Auseinandersetzungen und überstand etliche Verschwörungen gegen ihre Herrschaft. Äußerst heikel war der Konflikt um Elizabeths Cousine Maria Stuart, die von ihrem schottischen Thron verjagt worden war und Zuflucht in England gefunden hatte. Hier zogen sie Rebellen, die Elizabeth stürzen wollten, auf ihre Seite. Als diese Verschwörung aufgedeckt wurde, forderten Ober- und Unterhaus des englischen Parlaments die Hinrichtung Maria Stuarts. Elizabeth zögerte lange, bis sie nachgab.

    " Was werden meine Feinde nicht alles sagen über eine jungfräuliche Königin, die sich nicht scheut, um der Sicherheit ihres Lebens willen Blut ihres eigenen Blutes zu vergießen! Ich mag mich deshalb wohl beklagen, weil jedermann nun glaubt, ich sei der Grausamkeit anheim gefallen, was weit entfernt ist von der Wahrheit. "

    Die erfolgreiche und attraktive Königin Elizabeth blieb Zeit ihres Lebens unverheiratet. Die Ehe- und Kinderlosigkeit war einerseits Anlass für Bemühungen der europäischen Fürstenhäuser um ihre Gunst, andererseits stete Sorge des englischen Parlaments, das die Thronfolge sichern wollte. Gegen Ende ihres Lebens war klar, dass nur Jakob VI., König von Schottland und Sohn von Maria Stuart, ihr nachfolgen konnte.

    " Obschon ich erhoben bin von Gott, darf ich letztendlich doch dies zum höchsten Ruhme meiner Krone zählen: Dass ich mit eurer Liebe regiert habe! "

    Die Zuneigung des Volkes hatte Elizabeth nicht nur gewonnen, weil England unter ihrer Regentschaft zur herrschenden Seemacht aufgestiegen war. Das Elisabethanische Zeitalter war geprägt von Musik und Theater. Der Londoner Hof war Anziehungspunkt für Dichter, Musiker und Gelehrte aus aller Welt. Die von Elizabeth aufgestellte Theatertruppe spielte auch auf Tourneen in der englischen Provinz, und William Shakespeare gehörte zu den meist gespielten Dramatikern der Zeit. Elizabeth starb im 70. Lebensjahr im März 1603. Postum prägten Schillers Schauspiel um den Konflikt mit Maria Stuart und Stefan Zweigs psychoanalytische Deutung der englischen Königin als einsame Frustrierte lange Jahre das Bild. Elizabeth war auch Hauptperson in Opern und Filmen. Die neueren Produktionen zeigen die Königin als selbstbewusste Frau, die mit meisterhaftem Geschick regierte.