Dienstag, 16. April 2024

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Die Jusos und die GroKo
"Mir fehlt dieses Rot pur"

Der Vorsitzende der Jusos in Nordrhein-Westfalen, Frederick Cordes, hat sich gegen eine Große Koalition ausgesprochen. Die SPD habe jetzt noch die Möglichkeit, diesem Schrecken ein Ende zu bereiten, sagte Cordes im Dlf. Für eine Minderheitsregierung der Union könne das Sondierungspapier aber eine gute Grundlage sein.

Frederick Cordes im Gespräch mit Sarah Zerback | 16.01.2018
    Frederick Cordes, Juso-Landesvorsitzender in NRW, bei einer Rede.
    Frederick Cordes, Juso-Landesvorsitzender in NRW (imago stock&people)
    Sarah Zerback: Bei der SPD, da ist Basis Boss, und da kracht es gerade gewaltig. Anders bei der Union, wo alles bereits durchgewunken ist, gibt es zahlreiche GroKo-Skeptiker in der SPD, die deshalb auf dem Parteitag am Sonntag auch dagegen stimmen wollen. Um sie jetzt noch umzustimmen, tingelt Martin Schulz gerade durchs Land, und angefangen hat er in NRW, dem größten Landesverband, auf den gerade alle schauen - nicht nur, weil er die meisten Delegierten stellt, sondern auch, weil er als besonders kritisch gilt. Am Telefon, da ist jetzt der Juso-Vorsitzende in NRW, Frederick Cordes. Guten Morgen, Herr Cordes.
    Frederick Cordes: Schönen guten Morgen.
    Zerback: Sie waren jetzt anders als unser Korrespondent gestern hinter diesen verschlossenen Türen ja mit dabei. Herr Cordes, was haben Sie denn gegen Martin Schulz?
    Cordes: Ich muss ganz am Anfang sagen, dass ich gestern Abend nicht dabei war, denn ich gehöre genau zum anderen Teil, der heute Abend erst mit Martin Schulz in die Debatte geht.
    Zerback: Dann frage ich trotzdem: Was haben Sie gegen Martin Schulz? Weil Ihren Unmut, den haben Sie ja schon vorab kundgetan.
    Cordes: Genau. Ich habe eigentlich persönlich nichts gegen Martin Schulz. Ich glaube einfach nur, dass er bei den Themen hätte bleiben sollen wie am Anfang des Wahlkampfes. Und ich bin jetzt ein bisschen enttäuscht, weil das ja nach der Wahl genau anders klang. Nach der Wahl haben wir ganz klar gesagt: Wir haben das historisch schlechteste Ergebnis eingefahren bei der Bundestagswahl, wir sind nicht bereit, in eine Große Koalition zu gehen, wir sind nicht bereit, der AfD die Oppositionsführerschaft zu überlassen. Und nach viel hin und her stehen wir jetzt plötzlich da und haben ein Sondierungsergebnis, was mich inhaltlich auch nicht überzeugt. Und das ist eine inhaltliche Auseinandersetzung.
    Zerback: Aber Ihnen ist schon klar, wenn die GroKo noch gestoppt wird, dass dann der Parteichef wohl auch seinen Hut nehmen muss.
    Cordes: Ja, das sagen immer viele, aber das ist gar nicht unsere Forderung als Jusos.
    "Wir reden nichts mutwillig schlecht"
    Zerback: Aber die Konsequenz.
    Cordes: Das könnte sein, muss aber nicht, glaube ich. Ich glaube, wir leben in Zeiten, wo man auch als Vorsitzender mal eine andere Meinung vertreten kann. Ich glaube, man hat sich da in eine Sache selbstverschuldet hineinmanövriert, wo wir gar nicht hätten sein müssen. Wenn Martin Schulz zum Beispiel nach den Ergebnissen hingegangen wäre und gesagt hätte, das sind jetzt die Ergebnisse, ich bespreche das mit meiner Partei, ob das reicht oder nicht, ich glaube, dann wäre man nicht soweit, dass man sagen muss...
    Zerback: Das macht er ja. Die Ergebnisse werden ja nicht einfach nur durchgewunken. Nirgendwo ist es ja so basisdemokratisch wie bei den Sozialdemokraten. Da wird Ihnen jetzt im Gegenzug vorgeworfen, Ihnen als Jusos, dass Sie das Ergebnis, das die SPD, zumindest die Spitze als ein gutes verkaufen will, mutwillig schlechtreden. Das sind jetzt nicht meine Worte, sondern die von Andrea Nahles. Warum machen Sie das?
    Cordes: Wir reden nichts mutwillig schlecht. Wir haben unsere Kritik auch genau nach der Bundestagswahl schon geäußert. Wir waren als Jusos immer gegen eine Große Koalition, weil wir genau sehen, dass das einfach im Geiste des "Weiter so" ist. Dieses Papier ist nichts anderes. Es bietet nicht den großen Wurf, wofür wir Wahlkampf gemacht haben, für den großen Politikwechsel.
    "Die SPD-Spitze hat gut verhandelt"
    Zerback: Da würde ich gerne einhaken, Herr Cordes. Was hätte denn die SPD-Spitze dann verhandeln müssen, damit Sie gesagt hätten. Ok, gut, damit können wir jetzt in die Große Koalition gehen?
    Cordes: Ich glaube, die SPD-Spitze hat gut verhandelt. Ich glaube nur, mit der CSU und CDU ist es nicht möglich, irgendwie diesen Politikwechsel hinzubekommen. Das sieht man daran, dass man anders als bei der letzten Großen Koalition, wie ja auch gerade gesagt worden ist, diese große Medaille, diesen Pokal nicht mehr hat.
    Zerback: Also stand Ihr Entschluss schon vorher fest, auch wenn die SPD da ihr komplettes Parteiprogramm eins zu eins durchbekommen hätte?
    Cordes: Na ja, dann hätten wir wahrscheinlich noch mal überlegt. Aber dieses Vertrauen hat uns gefehlt, dass man das mit der CDU/CSU durchsetzen kann. Darum waren wir am Anfang sehr, sehr kritisch zu einer Großen Koalition, und das Ergebnis bestärkt uns jetzt eigentlich deshalb.
    Zerback: Jetzt haben wir ja einige Zitate und Wortspiele gerade in der Luft, unter anderem von Ihrem NRW-SPD-Chef, von Michael Groschek, der jetzt sagt, lieber gut regieren als nicht regieren. Sind Sie da persönlich jetzt näher beim FDP-Parteichef, der sagt, es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren?
    Cordes: Na ja, ich will mich jetzt nicht mit Herrn Lindner zusammensetzen oder auf eine gleiche Ebene machen.
    Zerback: Aber mit CSU und CDU auch nicht. Dann bleiben ja nicht mehr so viele.
    Minderheitsregierung als Alternative
    Cordes: So ist es. Aber mir fehlt dieses Rot pur und ich glaube, es gibt Alternativen zwischen GroKo und Jamaika, und die müssen mehr ausgelotet werden.
    Zerback: Welche wären das?
    Cordes: Das wäre zum Beispiel eine Minderheitsregierung und ich glaube auch, dass dieses Papier eine gute Grundlage dafür sein könnte, wenn man sich den Europateil anguckt. Wie gesagt, alles ist ja auch nicht schlecht darin. Aber da sind wir dann auch nicht in der Verantwortung. Wir würden dann die staatstragende Verantwortung übernehmen und ich glaube, dafür ist die Partei auch bereit, so eine Minderheitsregierung zu tolerieren.
    Zerback: Aber die Kanzlerin zum Beispiel nicht. Mit der ist das nicht zu machen.
    Cordes: Genau. Aber dann liegt der schwarze Peter bei ihr und nicht bei uns, oder?
    Zerback: Und das ist nur ein reines schwarze Peter Spiel? Geht es nicht auch darum, politische Verantwortung zu übernehmen und jetzt nach mittlerweile schon über vier Monaten mal dafür zu sorgen, dass Deutschland wieder eine Bundesregierung bekommt?
    Cordes: Klar! Aber ich glaube, wir übernehmen ja Verantwortung. Wenn man uns nichts vorwerfen kann, dann ist es, dass wir uns nicht intensiv gerade in der Partei darüber unterhalten.
    "Nicht nur in Regierungsverantwortung rutschen für Dienstwagen und Co."
    Zerback: Aus der Partei kommen wiederum auch andere Stimmen, unter anderem - ich zitiere sie noch mal - Andrea Nahles, Fraktionschefin. Die sagt, eine Minderheitsregierung ist nicht die Alternative, sondern dann kommt es zu Neuwahlen, wenn das jetzt mit der GroKo nicht klappt. Und dann? Mit welchen Themen wollen Sie dann Wahlkampf machen?
    Cordes: Genau mit diesen Themen, die uns jetzt fehlen in diesem Papier. Sei es eine BürgerInnenversicherung, sei es eine richtige Umverteilung, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Eindämmung der Schere zwischen Arm und Reich, sei es irgendwie im Bereich der Migration, dass man nicht irgendwie mit einer Obergrenze ins Wahlprogramm geht, und so weiter.
    Zerback: Und nachdem das jetzt nicht ausverhandelt werden konnte, warum sollen die Bürgerinnen und Bürger denn dann glauben, dass das beim nächsten Mal klappt?
    Cordes: Weil sie uns vertrauen können. Weil sie uns dann abkaufen, hoffe ich, das erste Mal wieder, dass wir auch für diese Inhalte stehen und nicht einfach nur irgendwie in Regierungsverantwortung rutschen für einen Dienstwagen und Co.
    Zerback: Jetzt müssen Sie mir noch einmal erklären, was denn für die Partei so schlecht daran wäre, in eine neue Große Koalition einzutreten. Das hat ja nicht nur inhaltliche Gründe; das wird ja auch immer mal wieder mit der viel besprochenen Erneuerung der SPD begründet.
    Cordes: Ja. Ich glaube, die Erneuerung steht aber auf einem anderen Blatt. Ich glaube, eine Erneuerung der Partei ist in der Opposition viel leichter als in einer Großen Koalition, weil man da erst mal keine Überschneidungen hat von Parteiführung und Regierung. Dann passiert das natürlich einfacher.
    Zerback: Aber auch weniger Gestaltungsspielraum.
    Cordes: Auch erst mal weniger Gestaltungsspielraum. Aber die Frage ist, was ist der Machtanspruch von der SPD, und wir sind angetreten, um eigentlich den nächsten Bundeskanzler der Bundesrepublik zu stellen, so wie ich Martin Schulz verstanden habe im Wahlkampf.
    "Würde mir wünschen, dass GroKo noch kippt"
    Zerback: Ja, gut. Aber da haben die Wähler ja jetzt nun deutlich anders entschieden. Kann die SPD denn da kein Multitasking? Kann die sich nicht erneuern und gleichzeitig regieren?
    Cordes: Ich glaube, das ist wirklich was, was uns viele Bürgerinnen und Bürger und Wählerinnen und Wähler einfach nicht mehr abkaufen. Das sieht man ja auch in der letzten Großen Koalition. Wir standen im Zeichen eines Wahlkampfes, wo man uns einfach nicht mehr unsere Politik abgekauft hat. Jetzt kommen wir genau wieder in dieselben Mechanismen herein, wenn man die Ergebnisse der Sondierung sieht und plötzlich eine Kampagne aus dem Willy-Brandt-Haus aus Berlin kommt, wo suggeriert wird, dass das die besten Ergebnissen seien und wir eigentlich nie was anderes gewollt hätten. Martin Schulz hat es ja mit den hervorragenden Ergebnissen beschrieben, und das ist es ja nun mal nicht. Und wenn man an dieser Kommunikation nichts ändert, dann wird uns auch niemand mehr glauben, dass wir für eine andere Politik stehen.
    Zerback: Herr Cordes, noch mal ganz kurz zum Schluss, jetzt wo Sie heute Abend ja dabei sind. Was ist denn Ihre Prognose? Kippt die GroKo noch am Veto der SPD in NRW?
    Cordes: Ich würde es mir wünschen, weil ich glaube, jetzt ist die letzte Möglichkeit, dass wir diesem Schrecken ein Ende bereiten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.