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Die Karibik und der Klimawandel
Barbuda ist noch unbewohnbar

Auf Barbuda hat Hurrikan Irma kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Noch nie haben die Bewohner einen solchen Monstersturm erlebt. Fast zwei Monate danach ist die winzige Karibikinsel immer noch evakuiert. Ein Wiederaufbau wird den Klimawandel mitberücksichtigen müssen.

Von Anne-Katrin Mellmann | 11.11.2017
    Menschen bewohnen die Karibikinsel Barbuda seit der Verwüstung durch Hurrikan Irma noch nicht wieder
    Menschen bewohnen die Karibikinsel Barbuda seit der Verwüstung durch Hurrikan Irma noch nicht wieder (Deutschlandradio/ Anne-Katrin Mellmann)
    Ivy Joseph hat Herzklopfen, als sie von der Fähre klettert, die die beiden Schwesterinseln des kleinen Karibikstaates Antigua und Barbuda verbindet. Die alte Dame hat die Reste ihres Häuschens auf Barbuda seit sieben Wochen nicht gesehen. So lange schon ist die 1.700 Einwohner zählende Insel evakuiert. Zuerst machte Monstersturm Irma die Menschen obdachlos, und nicht einmal zwei Wochen danach drohte der zweite Hurrikan der höchsten Kategorie fünf Barbuda zu treffen. Deshalb die Flucht.
    Heute will Ivy Joseph aufräumen und am Abend mit der Fähre nach Antigua zurückkehren. Fassungslos betrachtet sie die Trümmerlandschaft, die einst Barbudas Zentrum war. Mittendrin: die Ruinen der Häuschen ihrer Kinder und ein Teil ihres eigenen.
    "Der Mangobaum ist auf die eine Seite meines Hauses gekracht, ich muss ihn wegräumen, damit ich das reparieren kann. Meerwasser war im Haus. Die Küste ist 200 Meter entfernt, es kam aber bis hierher."
    Hurrikan Irma zerstörte das Häuschen von Ivy Joseph auf der Karibikinsel Barbuda
    Hurrikan Irma zerstörte das Häuschen von Ivy Joseph auf der Karibikinsel Barbuda (Deutschlandradio/ Anne-Katrin Mellmann)
    Rückkehr der Vögel zeigt, wie schnell sich die Natur erholt
    Menschen bewohnen die winzige flache Insel mitten im Meer noch nicht wieder, Tiere schon: Tausende Fregattvögel nisten in den vom Sturm entlaubten Mangroven. Die Männchen plustern ihre Hälse knallrot auf um die Weibchen zu beeindrucken. Neben den strahlend weißen Stränden und dem schillernden türkisen Wasser sind sie die größte Attraktion Barbudas.
    Umweltschützer Kelly Burton ist erleichtert, die Vögel wiederzusehen, weil das zeigt, wie schnell sich die Natur von Hurrikan Irma erholt. Der hatte Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern pro Stunde. So etwas wurde auf Barbuda noch nie registriert, Burton hätte es nie erwartet:
    "Es ist erstaunlich, welche Zerstörung Irma an unseren Mangroven angerichtet hat. Mir ist schon vorher aufgefallen, dass die Sommer heißer geworden sind und wir einen trockeneren, kürzeren Winter haben. Beides begünstigt heftigere Stürme. Klimawandel, globale Erwärmung, Anstieg des Meeresspiegels - das alles sehe ich in Barbuda. Die steigende Meerestemperatur führt zur Korallenbleiche, die Korallen sterben. Ohne sie gibt es weniger Fische, das ganze Ökosystem bricht zusammen. Auch die stärkeren Stürme zerstören Korallen, das lässt die Küste erodieren und die großen Wellen werden nicht mehr aufgehalten."
    So liegt Barbuda immer schutzloser im Ozean. Es sei nicht die Frage ob, sondern wann es das nächste Mal einen Wirbelsturm dieser Stärke geben wird, meint Kelly. Die Menschen haben in dieser Hurrikan-Saison zwar alles verloren, wollen aber trotzdem zurück.
    "Es ist eine berechtigte Frage, ob Barbuda besser evakuiert bleiben sollte. Manche sagen: Bringt die Leute an sichere Orte. Aber wir sind hier aufgewachsen, das ist unsere Heimat. Eine Umsiedlung würde unser ganzes Leben ändern. Das ist doch keine Option. Die Alternative ist, hier bleiben und uns an die Veränderungen anpassen."
    Tausende Fregattvögel nisten in den von Hurrikan Irma entlaubten Mangroven auf der Barbuda
    Tausende Fregattvögel nisten in den von Hurrikan Irma entlaubten Mangroven auf der Barbuda (Deutschlandradio/ Anne-Katrin Mellmann)
    An den Klimawandel anpassen - aber wie?
    Die Menschen werden sich an den Klimawandel anpassen müssen, stabiler bauen, zäher werden. Aber niemand wird den überwiegend armen Fischerfamilien von Barbuda Hausdächer aus Beton spendieren, Bunker, die den Fluten standhalten. Hilfe von den Nationen, die am meisten CO2 ausstoßen, sei bislang nicht gekommen, klagt Premierminister Gaston Browne im ARD-Interview.
    "Klimawandel respektiert keine Grenzen. Er ist real. Wir in der Karibik können uns den Luxus nicht leisten, ihn zu leugnen. Wenn entwickelte Länder sich darauf zurückziehen, dass Klimawandel ein Schwindel sei und sie keine Pflicht hätten, die Klimaziele zu erfüllen, dann ist das eine sehr ignorante Position. Durch das Wüten von Irma auf Barbuda haben wir zum ersten Mal in unserer Geschichte Binnenflüchtlinge auf Antigua! Wir wissen, dass die Stürme stärker werden, wir wissen, dass der Mensch daran schuld ist. Die entwickelten Länder haben eine Verantwortung. Sie müssen anerkennen, dass der Klimawandel real ist und seine Folgen enorm sind. Sie müssen uns helfen, ein resilientes, ein widerstandsfähiges Barbuda zu schaffen."
    Ivy Joseph putzt gegen die Hoffnungslosigkeit an
    Resilienz ist das Schlagwort: Anpassen und aushalten, weil es unmöglich ist, sich gegen einen Fünfer-Hurrikan zu wappnen. Aber wie das gehen soll, weiß auf Barbuda noch niemand. Die 68-jährige Ivy Joseph putzt gegen die Hoffnungslosigkeit an:
    "Ich weiß nicht, wer mir helfen wird. Es heißt, die Regierung werde etwas für uns tun, damit wir durchhalten können. Ich weiß aber nicht, wann das gehen wird, aber ich bete, dass sie mir helfen werden."
    Sie hat beschlossen, die Abend-Fähre ziehen zu lassen und erst am folgenden Tag nach Antigua zurückzukehren. Und räumt weiter Trümmer beiseite ohne die Gewissheit, hier jemals wieder etwas aufbauen, hier jemals wieder leben zu können.