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Die Katastrophe von Duisburg

19 Menschen kamen am Samstagabend bei der Loveparade in Duisburg ums Leben. Eine Chronik der Ereignisse, Augenzeugenberichte, erste Reaktionen und Erklärungsversuche.

Von Sara Schwedmann, Bernd Dicks, Peter Kapern und Barbara Schmidt-Mattern | 25.07.2010
    Ein authentisches Dokument der Massenpanik, die am Samstagabend in Duisburg 19 Menschen das Leben gekostet hat. Eine junge Frau, die den Albtraum schildert, den sie gerade erlebt hat – überlebt hat. Und das, was der stellvertretende Polizeidirektor von Duisburg, Detlef von Schmeling, heute dazu zu sagen hatte.

    Erste Frau:
    "...stehen da oben und die machen gar nichts!"

    Zweite Frau:
    "Wir rufen: Helft uns doch, verdammt noch mal, helft uns doch! Und die stehen einfach nur da! Und wir liegen da halb auf dem Boden, neben uns kacken die Leute ab, werden totgetrampelt. Und wenn du noch gerade so raus kommst, wenn du gerade die Treppe geschafft hast, dann sagt die Bullerei noch zu dir, geh weiter, geh schneller, geh schneller! Und jetzt ist kein Schwein da, der dir hilft, kein Schwein! Neben dir sterben die Leute und keiner ist da, der dir hilft und das aufarbeitet mit dir, kein Schwein, Mann!"

    Detlef von Schmeling:
    "Eine Massenpanik ist ein wertender Ausdruck über den Umfang des Geschehens. Mein persönlicher Eindruck bestätigt eine Massenpanik nicht. Die Polizei hat jedenfalls regelnd den ganzen Tag über eingegriffen und hat ihr Möglichstes getan."

    Nur dreimal fiel die Loveparade aus - zuletzt wegen Sicherheitsbedenken
    Loveparade – weniger als eine Million Menschen waren es nie, die zu dieser größten Tanzveranstaltung der Welt kamen. Seit 1989 fand sie jährlich in Berlin statt, dann, als die Hauptstädter wegen des hohen Pegels von Harnsäure um ihren Tiergarten fürchteten, sprang das Ruhrgebiet ein. Laut, friedlich und unbeleckt von den Unbilden der Welt, so sollte die Loveparade sein. Mit dem Fokus ganz auf harte Rhythmen versuchte sie, ein neues Lebensgefühl nach dem Ende des Kalten Krieges zu vermitteln. Party, das war der Kern dieses Lebensgefühls. Friede, Freude, Eierkuchen – so lautete folgerichtig der Slogan der ersten Loveparade von 1989.

    Dreimal nur in den 21 Jahren seither fiel die Loveparade aus. Das letzte Mal im vergangenen Jahr, da sollten die dröhnenden Floats, die Lastwagen mit ihren Lautsprecheranlagen, durch Bochum rollen. Doch der damalige Polizeipräsident der Stadt, Thomas Wenner, zog die Reißleine. Wegen massiver Sicherheitsbedenken stoppte er den Umzug, noch bevor der gestartet war. Für mehr als eine Million Menschen sei in der Innenstadt von Bochum, insbesondere im Bahnhof, kein Platz, so seine Begründung.

    Heute kündigte er an, gegen den Oberbürgermeister von Duisburg und dessen Mitarbeiter Strafanzeige zu stellen. Weil dort, in Duisburg, die Sicherheit der Spaßgesellschaft geopfert worden sei. Die Strafanzeige wird von sich reden machen. Gestern Abend kurz vor sechs war es, als die ersten Eilmeldungen über eine Massenpanik bei der Loveparade die Runde machten. Das Drama hatte seinen Lauf genommen.

    Eine Chronologie des Unglücks
    Samstag, 24. Juli 2010, 14:01 Uhr: Die Loveparade auf dem Gelände des Duisburger Güterbahnhofes startet. 16 Wagen, sogenannte Floats, ziehen mit wummernden Bässen ihre Runden.

    Aus den Lautsprecher: "Three, two, one, zero!"

    Loveparade-Teilnehmer:
    "Es ist einfach nur die Atmosphäre, einfach alles rein hier!"
    "Große Party, alle sind zufrieden, gibt keinen Stress!"

    1,4 Millionen Menschen tanzen und feiern ausgelassen bei 24 Grad, blauem Himmel und Sonnenschein.

    17:34 Uhr: Die Polizei meldet, das Veranstaltungsgelände ist wegen Überfüllung geschlossen.
    Über Lautsprecher bitten die Polizisten alle Teilnehmer vor dem Gelände, zurück in Richtung Hauptbahnhof zu gehen. Währenddessen wird das Gedränge in einem Tunnel, dem Ein- und Ausgang – etwa 20 Meter breit und gut 200 Meter lang – immer größer. Tausende Menschen wollen gleichzeitig das Gelände betreten und es verlassen. Es kommt zu einer Massenpanik. 15 Menschen sterben, nach ersten Angaben werden 80 zum Teil schwer verletzt.

    Augenzeugen:
    "Wir haben uns alle so gedrängt und gequetscht, dass kaum einer Luft mehr bekommen hat! Das Event ist hemmungslos überfüllt."

    "Die sind also über die Leute drüber weggestiegen, um auf diese Treppe zu kommen, um aus dieser Masse rauszukommen."

    "Diese ganzen Leute, wenn du da gesehen hast, wie die die Mauer hochgeklettert sind, einige runtergestürzt ... Dass mal so was in Deutschland, sag ich mal, passiert ... Das ist unglaublich."

    Feuerwehren und Rettungsdienste starten einen gigantischen Einsatz. Die am Partygelände vorbeiführende Autobahn 59 wird zum Anlaufpunkt für Rettungsfahrzeuge und Hubschrauber.

    18:00 Uhr: Die Loveparade geht ohne Unterbrechung weiter, um die Panik nicht zu vergrößern und die Rettungsmaßnahmen nicht zu behindern.

    18:20: Die Nachricht über das Unglück verbreitet sich langsam unter den Besuchern auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs, immer mehr Menschen verlassen die Loveparade.

    19:45: Fragen nach der Ursache des Unglücks werden lauter, die Kriminalpolizei ermittelt. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland zeigt sich überzeugt, dass die Veranstaltung gut organisiert gewesen sei:
    "Wenn Sie jetzt hören, was wohl die Ursachen sind, dann lag es nicht am Sicherheitskonzept, was nicht gegriffen hat, sondern wahrscheinlich an individuellen Schwächen."

    20:25: Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft drückt im WDR2-Interview ihre Bestürzung aus:
    "Ich war total betroffen. So viele jugendliche Menschen, die heute unterwegs sind ... Ich fühle erst mal mit den Angehörigen und mit denen, die auch dabei waren und sicherlich das fürchterliche Geschehen erst mal gar nicht verarbeitet bekommen."

    Kurz vor 21:00 Uhr: Die Veranstalter melden sich zu Wort. Björn Köllen von der Lopavent GmbH:
    "Im Namen des Love-Parade-Teams spreche ich hier und im Namen des Love-Parade-Teams erkläre ich auch unsere tiefe Betroffenheit. Wir kennen die Loveparade als friedliche Veranstaltung. Das ist wirklich ein tragisches Ereignis, was das gesamte Team wirklich sehr trifft. Unser Mitgefühl geht natürlich an die Familien, an die Angehörigen, an die Opfer."

    23:00: Die Musik auf dem alten Güterbahnhof in Duisburg verstummt.
    Mann über Lautsprecher:
    "Die Loveparade ist zu Ende. Es war ein schöner Tag mit euch und wir bedanken uns. Auf Wiedersehen."

    23:20: Eilmeldung. Die Zahl der Toten erhöht sich auf 18.

    Sonntagmorgen, 3:30 Uhr: Eine weitere Person stirbt im Krankenhaus, die Zahl der Toten nach der Massenpanik 2010 in Duisburg steigt auf 19. 342 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

    Hannelore Kraft, SPD-Vorsitzende und -Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen
    Ministerpräsidentin Hannelore Kraft machte sich noch am Samstagabend ein Bild der Lage in Duisburg. (Deutschlandradio - Bettina Fürst-Fastré)
    Stimmen von Loveparade-Teilnehmern
    Es waren dramatische Minuten, in denen die 19 Menschen zu Tode kamen, zu Tode getrampelt und gequetscht. Bernd Dicks hat mit Besuchern der Loveparade gesprochen, unmittelbar gestern, nach der Panik, und heute, am Tag danach:

    "Die Leute sind aggressiv geworden, die haben geschubst mal in die Richtung, mal in die, und dann ..."

    "Tausend Leute sind umgekippt ..."

    "Irgendwann haben wir nur noch weitergegeben immer, dass nach hinten hin durch, dass sie also die andere Richtung gehen sollen, damit es irgendwie sich lockert. Es war total schlimm!"

    "Neben dir sterben die Leute und keiner ist da, der dir hilft und das aufarbeitet mit dir, kein Schwein, Mann!"

    "Ich hab drei Bewusstlosen geholfen, und da saßen überall Leute auf dem Boden, alle halb tot und bewusstlos, konnte auch nicht mehr helfen."

    "Bin aus Koblenz und wir waren mit Freunden hier und wir waren unten in der Massenpanik. Die Leute sind neben uns gestorben. Ich hab es glücklicherweise hoch geschafft und hab dann, weil ich Rettungssanitäter bin, versucht zu helfen. Ja, es sind Leute gestorben."

    "Das ist die mieseste und beschissenste Loveparade seit Langem. So man steht im Tunnel, es ist total eingekesselt, der Untergrund ist scheiße, die Loveparade ist dieses Jahr echt mal fürn Arsch."

    "Ich weiß nicht, nachdem mein Vater mich angerufen hat, mir gesagt hat, er macht sich Sorgen, bleiben wir halt erst mal hier, warten bis die Massen weg sind und gucken, wie wir dann irgendwie den Heimweg antreten. Aber ist halt schon scheiße, es war genug Platz da, Autobahn war gesperrt, man hätte die Auffahrten aufmachen können, dass die Leute hierhin strömen können, aber so ... Es hätte nicht sein müssen ganz einfach, alle durch so einen blöden Tunnel schieben müssen ..."

    "Als wir noch weiter hinten standen, da wurden schon die Ersten quasi über Kopf da rausgezogen, die haben nichts mehr mitgekriegt, die waren einfach nur noch bewusstlos und die haben nur noch zugesehen, dass sie die da rausgekriegt haben. Ja, und dann hat man nur noch gesehen, dass da irgendwelche verarztet wurden oder irgendwelche Leichen halt zugedeckt wurden."

    "Wir waren genau am Ausgang, als die Frau hier, glaube ich, rausgetragen wurde."

    "Wir haben auch noch gesehen, wie bei der Frau kein Puls mehr gespürt wurde. Da waren wir nebendran."

    "Ja, wir wollten alle an der Treppe hoch, weil wir raus aus der Menge wollten, Passanten, also die Männer, die starken, die haben uns an den Händen hochgezogen, die Frauen zuerst und dann die Männer, die zusammengeklappt sind. Und dann sind die Polizisten gekommen und haben die Passanten da weggezogen und angeschrien, mit ihren Schlagstöcken bedroht und haben dann in die Menge geschrien, wenn wir uns jetzt nicht alle nach hinten verziehen, dann würden die ihre Waffen entsichern und auf uns schießen."

    Festivalbesucher versuchen von dem überfüllten Gelände unten wegzugelangen.
    Szenen des Unglücks: Festivalbesucher versuchen von dem überfüllten Gelände wegzugelangen. (AP)
    Immer wieder tötet Massenpanik bei Massenveranstaltungen Menschen
    Brüssel, Heysel-Stadion, Mai 1985: 39 Tote.
    Roskilde Dänemark, Juni 2000: ein Konzert von Pearl Jam: 9 Tote.
    Mekka, die Hadsch im Januar 2006: mehr als 360 Tote.

    Und so weiter und so weiter. Immer wieder tötet Massenpanik bei Massenveranstaltungen Menschen. Baulich kann man solchen Katastrophen vorbeugen. Große Verkehrsflächen, keine Nadelöhre, nur Einbahnwege. Und trotzdem bleibt da etwas Unkalkulierbares: der Mensch.

    "Es kann sein, dass, wenn man in Todesangst ist, eben das Vernunftsystem ausgesetzt"
    Was geschieht, wenn ein Mensch in Panik gerät? Der Psychologe Borwin Bandelow beschreibt das so:

    Bandelow: Wir haben im Gehirn ein Vernunftsystem und ein Angstsystem. Dieses Angstsystem ist sehr primitiv, aber es kann eben auch überhand nehmen, weil es ja über, unser Überleben sichern soll. Und es kann durchaus sein, dass in so einer Situation, wenn man in Todesangst ist, eben das Vernunftsystem ausgesetzt wird und zugunsten des relativ primitiven Angstsystems. Und da geht es nur ums Überleben. Die Menschen machen dann nicht unbedingt das, was gut für sie ist oder gut für andere ist, sondern sie möchten dann alle in eine Richtung rennen, weil alle dahin laufen, oder man hat auch überlegt, ob es beim Menschen so was Ähnliches gibt wie einen Herdentrieb, also wie bei Rinderherden, die dann so eine Stampede machen. Und es ist schon so, dass die Menschen trotzdem nicht unbedingt vernünftige Dinge machen, wenn sie in eine solche Todesangst geraten.

    Peter Kapern: Man könnte sich ja möglicherweise davor schützen, in diesen Angstzustand zu geraten, der Angst die Kontrolle über die eigene Person zu überlassen, wenn man eine solche Entwicklung, eine solche Massenpanik kommen sehen könnte, wenn man Teil einer solchen Menge ist. Geht das oder kommt so ein Zustand überraschend?

    Bandelow: Also, mit Vernunft das vorher zu planen, was dann passieren könnte, und einem Menschen irgendwelche Ratschläge mitzugeben, hat wahrscheinlich gar keinen Sinn. Denn es gibt ja auch Menschen, die ich zum Beispiel behandle, mit Panikattacken, die bekommen ja auch in Menschenmengen immer Angstzustände. Obwohl man das oft mit ihnen besprochen hat, kriegen sie das immer wieder, am Anfang der Behandlung immer noch. Also, es reicht nicht einfach aus, so was durch Reden oder Vernunft oder durch, dass man sich versucht zusammenzunehmen, oder versucht, sich selbst ruhig zu machen. Das funktioniert nicht, der Mensch ist so nicht gestrickt.

    Kapern: Das heißt, es gibt kein Mittel gegen das Verfallen in Panik?

    Bandelow: Ja, die Menschen an sich selber können sich kaum davor schützen. Es waren ja jetzt auch nicht fanatisierte Pilger oder aufgestachelte Fußballfans, sondern friedliebende Menschen, die zusammen Musik hören wollten. Ich denke nicht, dass es damit irgendwas zu tun hat, sondern Verantwortung liegt hauptsächlich bei Organisatoren von solchen Veranstaltungen, die dafür sorgen müssen, dass immer genügend Freiraum ist, damit nicht so eine Nadelöhrsituation entsteht.

    Kapern: Nun gerät ja nicht jeder gleichermaßen schnell in Panik. Es kann ja sein, dass die einen bereits Angst- und Panikzustände haben in einer solchen Menge, andere noch längst nicht. Könnten die etwas zutun, um die Entwicklung noch aufzuhalten?

    Bandelow: Ja, das ist immer so, auch, ich denke, dass es auch bei diesem Vorfall so war, dass es viele Menschen gab, die – oder die meisten Menschen –, die besonnen waren und manche eben doch in unverhältnismäßig große Panik geraten sind. Und die Besonnenen sollten tatsächlich darauf achten, dass sie eben beruhigend auf andere Menschen einreden und auch sich langsam bewegen, nicht schnell bewegen, nicht drängeln, nicht schubsen. Und jeder Mensch sollte da in so einer Situation versuchen, Zivilcourage zu zeigen. Das Problem ist natürlich, wenn man vor so einer Entscheidung steht: Drängele ich mich da jetzt auch noch rein, ich könnte dann tot sein, oder bleib ich hier stehen, dann könnte ich aber genau so gut tot sein, weil ich hier nicht wieder rauskomme. Also so eine Entscheidung in so einem kurzen Moment zu treffen, ist sehr, sehr schwierig. Nachher ist jeder schlauer, aber das Problem ist tatsächlich, dass die Menschen in dieser Situation, dann manchmal eben auch die, die sonst besonnen sind, auch nicht vernünftig reagieren.

    Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt Unterlagen
    Seit heute früh nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Beim Veranstalter der Loveparade und bei den beteiligten Behörden der Stadt Duisburg hat sie heute alle Unterlagen beschlagnahmt. Die Ermittler wollen herausfinden, ob es Verantwortliche für den Tod von 19 und die Verletzung von 342 weiteren Menschen gibt.

    Diese Untersuchungen hemmten die Vertreter der Stadt und der Organisatoren der Tanzparty heute ganz enorm, als die vor die Presse traten. Sie werden das gleich hören. Mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen verweigerten sie heute Antworten auf viele der gestellten Fragen.
    Gleichzeitig machten Gerüchte die Runde, schon vor der Loveparade hätten Feuerwehrleute und Polizisten davor gewarnt, eine Million Menschen durch einen Tunnel und über eine einzige Rampe laufen zu lassen auf dem Weg zum Festivalgelände.

    Eine denkwürdige Pressekonferenz am Sonntagmittag

    Es war ein Bild der versammelten Hilflosigkeit, das sich den zahlreich erschienenen Journalisten in Duisburg heute Mittag bot. Eine für die Befragten quälend lange Stunde lang bohrten die Pressevertreter nach oder sie versuchten es zumindest. Das Hauptinteresse richtete sich auf mögliche Schwächen im Sicherheitskonzept, das Polizei, Stadt und Veranstalter im Vorfeld aufgestellt hatten.

    Doch klare Antworten – Fehlanzeige. Ihm würden doch diese Fragen genau so unter den Nägeln brennen, so betonte Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland gleich mehrfach. Sein erster Gedanke gelte in dieser Stunde den Angehörigen der Opfer:

    "Die Trauer vermag ich nicht in Worte zu kleiden. Dieses Unglück ist so entsetzlich, dass man es nicht fassen kann."

    Mit Blick auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft könne er jetzt keine detaillierten Angaben liefern, so der Oberbürgermeister weiter. Ein Satz, der in der fortlaufenden Pressekonferenz gleich dutzendfach zu hören war.

    Sauerland:
    "Ich bitte um Verständnis, dass ich auch zum Schutze meiner Mitarbeiter zum Ereignis hier nicht mehr sagen kann."

    Die informationshungrige Öffentlichkeit erfährt nur wenige konkrete Fakten, weder die genaue Zahl der Teilnehmer, noch die so wichtigen Details zu den Sicherheitsvorkehrungen. Eines steht immerhin fest: Nach 21 Jahren ist mit dem Unglück von Duisburg jetzt Schluss mit der Loveparade. Mancher im Pressesaal deutet dies heute Mittag als Schuldeingeständnis. Doch der Veranstalter Rainer Schaller will nichts falsch gemacht haben:

    "Und es gibt ein Sicherheitskonzept, das im Vorfeld weit mit der Polizei und mit der Stadt Duisburg und mit uns aufgestellt wurde und das eigentlich hier keine Bedenken gesehen hat."

    Dabei sind es gerade die Sicherheitsvorkehrungen, die jetzt im Zentrum der staatsanwaltlichen Ermittlungen stehen und die zahllose Augenzeugen massiv kritisieren. Tausende Menschen hätten sich in dem Tunnel, der zum eigentlichen Veranstaltungsort führte, gestaut. Wie es dazu kommen konnte, beantwortet Duisburgs stellvertretender Polizeipräsident Detlef von Schmeling eher ausweichend:

    "Die Frage, wer jetzt genau oder was genau – nicht wer –, sondern was genau dazu geführt hat, dass es zu einem Stau augenscheinlich an der Rampe gekommen ist, das ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren. Es ist nicht so, dass wir darüber heute keine Auskunft geben wollen, sondern nicht können."

    Viele junge Frauen und Männer seien regelrecht überrannt worden, hatten Teilnehmer zuvor berichtet. Einige der Besucher, die später starben, seien an der Tunnelwand oder an den Absperrungen rundum hochgeklettert und dabei abgestürzt. Polizeipräsident von Schmeling überrascht die Anwesenden auf der Pressekonferenz hingegen mit folgender Einschätzung:

    "Eine Massenpanik ist ein wertender Ausdruck über den Umfang des Geschehens. Mein persönlicher Eindruck bestätigt eine Massenpanik nicht."

    Es ist eine dieser zahlreichen Stellungnahmen, die manchem Reporter den Kragen platzen lassen und die andererseits einen Vertreter der Loveparade-Veranstaltung in die Defensive zwingen.
    Reporter:

    "Und hier sind jetzt 19 Menschen gestorben und sie eiern da rum! Das kann nicht sein!"

    Loveparade-Veranstalter:
    "Also, wir eiern nicht rum, weil die ..."

    Reporter:
    "... doch! ..."

    Loveparade-Veranstalter:
    "... Staatsanwaltschaft ermittelt. Und wenn etwas analysiert werden muss, müssen wir auch auf diese Antworten warten, um Ihnen eine konkrete und auch fundierte Antwort geben zu können."

    Zwei Strafanzeigen seien inzwischen bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Von wem, dazu macht die Polizei auf der Pressekonferenz keine Angaben. Die Deutsche Polizeigewerkschaft will hingegen Tacheles reden. Gemeinsam mit der Feuerwehr habe man im Vorfeld Bedenken geäußert.

    Offene Worte kommen auch von Verhaltensforschern, die teils in die Planung des Massenspektakels mit einbezogen waren. Sie räumen jetzt ein, dass man im Vorfeld deutlicher vor den Gefahren hätte warnen müssen. Zudem sei das Sicherheitskonzept keineswegs von 1,4 Millionen, sondern von maximal 500.000 Menschen ausgegangen. Rampe und Tunnel, die auf den alten Güterbahnhof führten, hätten besser gesichert werden müssen. Solch deutliche Worte waren von den Offiziellen auf der Pressekonferenz heute nicht zu hören. Trotz vieler Worte gab es dort kaum Antworten.

    <u>Zum Loveparade-Unglück auf dradio.de: </u>

    "Sicherheit muss immer Vorrang haben"
    Bayerischer Innenminister fordert Überprüfung aller Großveranstaltungen


    "Wir haben da keine belastenden Hinweise"
    Vorsitzender der Polizeigewerkschaft NRW über Sicherheitswarnungen vor der Loveparade


    Deutliche Sicherheitslücken bei Loveparade -
    "SPIEGEL ONLINE": Warnungen im Vorfeld wurden ignoriert

    Massenpanik auf der Loveparade -
    Technofest in Duisburg forderte mindestens 19 Tote
    Nach der Massenpanik in Duisburg: Suche nach den Verantwortlichen
    Nach der Massenpanik in Duisburg: Trauer und Suche nach den Verantwortlichen. (AP)