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Die Katastrophensucher

Statistik.- Ein Mitarbeiterkreis der Münchener Rückversicherung beschäftigt sich nahezu ausschließlich damit, Naturkatastrophen weltweit aufzuspüren und alles darüber in Erfahrung zu bringen: Was war der Auslöser? Wie viele Menschen kamen zu Schaden? Welche Gebäude und Güter? Über Jahrzehnte ist so eine umfangreiche Datenbank der Naturkatastrophen entstanden.

Von Volker Mrasek | 09.08.2010
    Tropische Wirbelstürme, Tornados, Dürren, Sturmfluten und Überschwemmungen – rund 28.000 Fälle solcher Extremereignisse finden sich im Archiv der Münchener Rückversicherung.

    "Die weltweit umfassendste Datenbank zu Naturkatastrophen und den Schäden, die sie ausgelöst haben."

    Der Meteorologe Peter Höppe. Er leitet den Bereich "Georisikoforschung" bei dem Münchener Unternehmen.

    "Das haben wir bis 1950, alle weltweiten großen Naturkatastrophen. Die weniger schadenträchtigen, da haben wir begonnen mit der Einrichtung der Datenbank in den 70er Jahren. Ab 1980 haben wir hier ein komplettes Bild."

    Höppes Arbeitsgruppe hat die Daten der letzten drei Jahrzehnte jetzt ausgewertet und legt so etwas wie ein Risiko-Ranking für alle Kontinente vor. Demnach leidet Asien am stärksten unter Schäden durch zunehmende Extremwetter-Ereignisse:

    "Diese Datenbank besagt über Asien, dass wir in den letzten drei Jahrzehnten die höchsten Anstiege bei den Anzahlen und in den Intensitäten der Naturkatastrophen gesehen haben. Eine Verdreifachung der Anzahl der schadenrelevanten Ereignisse von 1980 an, gefolgt von Nordamerika. Dann kommt Europa. Und dann erst mit großem Abstand Australien und Südamerika."

    Ziemlich genau ein Drittel aller Naturkatastrophen der letzten 30 Jahre spielte sich nach der Statistik auf dem bevölkerungsreichsten Kontinent der Erde ab. Noch viel höher ist der Anteil Asiens bei den Todesopfern durch Extremwetter-Ereignisse: Er liegt bei über 70 Prozent:

    "Das liegt halt vor allem daran, dass Asien von allen wetterbedingten Naturkatastrophen betroffen ist. In Europa fehlen zum Beispiel die Tropenstürme. Dort haben wir keine Hurrikane oder, wie in Asien, Taifune, die große Schäden verursachen. Asien ist also von diesen Tropenstürmen bedroht. Asien ist auch von lokalen Überschwemmungen durch den Monsun bedroht. Und Asien ist auch von Dürren bedroht in einigen Regionen. Das heißt, da kommt wirklich alles zusammen an Naturgefahren."

    Nach Höppes Statistik gab es in Asien im Jahr 1980 noch 75 Wetterextreme, die nennenswerte Schäden verursachten. Heute sind es weit über 200 pro Saison. Der Meteorologe geht davon aus, dass der Klimawandel seine Finger im Spiel hat:

    "Es gibt, und das muss man ganz klar sagen, keine einzige wetterbedingte Naturkatastrophe, die in den letzten Jahren passiert ist, die nicht auch ohne den Klimawandel denkbar und möglich wäre. Die Statistik allerdings verändert sich. Und das deutet natürlich schon darauf hin, dass hier der Klimawandel eine Rolle spielt. Zumal wir ja diese starken Anstiege bei Naturkatastrophen nur bei denjenigen sehen, die aus der Atmosphäre kommen, ..."

    Nicht aber bei Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis, wie Höppe sagt. Der Risikoexperte verweist auch auf andere Studien. Eine zeigt zum Beispiel für Indien, dass sich die Zahl von Tagen mit extremen Niederschlägen seit 1950 verdoppelt hat.

    Die Münchener Rückversicherung betreibt ihr Geschäft weltweit. Und immer stärker auch in Asien. Dass sie die Lage womöglich dramatisiert, um mehr Versicherungen zu verkaufen - diesen Vorwurf weist Peter Höppe zurück:

    "Wir legen sehr viel Wert darauf, dass wir transparent sind. Und tauschen uns auch aus mit anderen Datenbanken. Zum Beispiel einer Datenbank, die in Belgien, in Louvain an der Universität, beheimatet ist, die sich mehr auf die humanitären Effekte von Naturkatastrophen konzentriert. Und die sind sicher nicht verdächtig, dass sie irgendwelche Trends herstellen wollen, um ein Geschäft zu machen. Und die Trends, die diese Datenbank zeigt, sind nahezu identisch mit denen, die wir finden."

    Höppe versteht die Veröffentlichung seiner Zahlen auch als Weckruf für die Staaten Asiens. Sie müssten stärker auf die Entwicklung reagieren, den Hochwasser- und Küstenschutz verbessern und in Zukunft stabilere Häuser bauen.

    "Ein gefühlter Anstieg der Gefährdungssituation, der ist schon sehr weit verbreitet. Es ist natürlich immer besser, wenn man so 'was auch mit Zahlen belegen kann."