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Die Kirche der Antifreiheit

Schon mit dem Projekt "Republik Freies Wendland" beschäftigte sich das Junge Schauspiel Hannover mit der Anti-AKW-Bewegung rund um Gorleben. Im neuen Stück "Mythen der Freiheit" wird der heutige Freiheitsbegriff kritisch hinterfragt - in einer Scheune mitten im Wendland.

Von Alexander Kohlmann | 06.07.2012
    Auf den ersten Blick mutet es durchaus retrospektiv an, wenn das Junge Schauspiel Hannover für seine Uraufführung "Mythen der Freiheit" sein Publikum gleich busweise an den Ort der Bürgerbewegung von gestern transportiert.

    "Ja, das ist immer so ein bisschen die Frage, weil natürlich, wenn man ins Wendland fährt, und es sind nicht gerade Castortransporte, dann ist es natürlich eigentlich eine deutsche Flachlandschaft wie viele andere auch","

    sagt Regisseur und Leiter des Jungen Schauspiels Florian Fiedler, dem es ein persönliches Anliegen ist, dass seine vorwiegend jungen Zuschauer mit den Veteranen der Bürgerbewegung ins Gespräch kommen können.

    ""Was man hoffentlich mitbekommen wird, wenn man hier zur Premiere kommt, sind die Leute, die hierherkommen, wir haben ja auch mit der Bürgerinitiative Lüchow Dannenberg Kontakt und mit vielen anderen, die aktiv waren oder sind in der Bewegung, und natürlich, wenn man hierherkommt, wird man hoffentlich zwangsläufig mit denen in Kontakt treten an so einem Premierenabend und sich mit denen unterhalten."

    Nicht um den Widerstand gegen die Atommülltransporte und die jahrzehntelange Diskussion um das geplante Endlager Gorleben geht es Fiedler und seinen Schauspielern. Vielmehr wollen sie den Freiheitsbegriff von heute mit Mitteln des Theaters und der Musik kritisch hinterfragen. Ein Thema, das nicht zum ersten Mal auf dem Spielplan des Jungen Schauspiels Hannovers steht. Bereits 2010 sorgte die Produktion "Republik Freies Wendland" für heftigen Widerspruch. Dieses Projekt sei ein "Erlebniscamp, in dem scheinbar der Nachwuchs an Demonstranten gefördert werden soll", warf der CDU-Landtagsabgeordnete Dirk Toepffer damals Fiedler vor. Zu einer Zeit war das, als der Atomausstieg gerade revidiert und noch nicht zum parteiübergreifenden Konsens geworden war. Und Fiedler scheute die Auseinandersetzung nicht. Mit achtzig Jugendlichen ließ er zwei Wochen lang mitten in Hannover die "Republik Freies Wendland" als Hüttendorf mit Musik und Performances wiederauferstehen.

    Bereits während der Arbeit an "Republik Freies Wendland" hat Fiedler die Musiker der Gruppe "Rainer von Vielen" kennengelernt. Eine Allgäuer Bastard-Pop-Band, nennen sie sich selber. Gemeinsam mit ihnen und den Schauspielern will Fiedler heute Abend eine Art Messe der Antifreiheit auf die Bühne bringen.

    "Die Situation ist die einer Messe der Kirche der Antifreiheit, und wir versuchen mit Liedern und Geschichten und Situationen, die im besten Sinne Cross Over sind, die Leute zu bekehren zur Kirche der Antifreiheit, und an den Antifreist zu glauben und eben den Freiheitsbegriff abzuwerfen."

    Auch wenn Fiedler mit Texten wie diesen natürlich bewusst provozieren will, spürt man bei dieser und auch bei vielen anderen Produktionen immer die ernsthafte Haltung hinter der Stückauswahl. Vielleicht ist es gerade diese eindeutige Verortung, an der sich nicht nur Jugendliche abarbeiten können, die den künstlerischen Erfolg des Jungen Schauspiel ausmacht. Mit Uraufführungen wie der begeistert aufgenommenen Bühnenadaption von Christian Krachts "Faserland" überflügelt das Junge Schauspiel mittlerweile sogar viele Produktionen im Großen Haus. Und dass viele von den Themen, die Fiedler mit seinem Jungen Schauspiel bearbeitet, auch von persönlichen Erfahrungen geprägt sind, hat der Regisseur inzwischen selbst erkannt.

    ""Erst habe ich Demos selber organisiert und irgendwann kam ich mir selber albern vor auf einer Demo, und parallel dazu kam das Interesse für das Theater, wo ich mir gedacht habe, vielleicht ist das auch eine gute Möglichkeit über das Theater Leute erst mal selber dazu zu kriegen, Dinge erst einmal anders zu sehen, als für sie eine vorgefertigte Aktionsform wie es ja auch eine Demonstration ist, zu organisieren, bei der sie dann halt nur noch mittrotten müssen"."

    Also doch irgendwie ein Nachwuchscamp für angehende Demonstranten? Ob und wie der Funke überspringt, kann jeder heute Abend selbst beobachten, in einer Scheune in Salderatzen. Mitten im Wendland, wo der Mythos des Widerstandes auch im Jahr 2012 fortleben soll.