Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Die Klage der Geberländer

Die Starken helfen den Schwachen – nach diesem Solidarprinzip funktioniert der Länderfinanzausgleich. Nur die Zahl der Geberländer wird immer kleiner. Nach den vorläufigen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums zahlten im vergangenen Jahr nur noch vier Bundesländer ein – während die anderen zwölf kassierten.

Von Tonia Koch, Anke Petermann und Friederike Schulz | 23.01.2011
    Mit Abstand größter Zahlmeister war erneut Bayern mit 3,49 Milliarden Euro. Es folgten Hessen mit 1,74 Milliarden, Baden-Württemberg mit 1,69 Milliarden und Hamburg mit 62 Millionen Euro. Am meisten profitierte Berlin, das 2,88 Milliarden Euro erhielt.

    Die drei großen Geberländer möchten das nicht länger hinnehmen: Bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung morgen in Stuttgart wollen Bayern, Hessen und Baden-Württemberg zwei Professoren damit beauftragen, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. Dabei geht es den drei schwarz-gelben Landesregierungen nicht um die Tatsache, dass sie in den Ausgleichstopf einzahlen müssen. Sie kritisieren vielmehr, für was die Nehmerländer die Gelder der anderen ausgeben. In Berlin und nicht nur dort sind beispielsweise die Kindergärten beitragsfrei. Ein Luxus, den sich die reichen Bundesländer so nicht leisten.

    Gregor Mathey ist erleichtert: Er hat in Wiesbaden einen Kita-Platz für seine fast zweijährige Tochter ergattert. Allerdings muss er dafür zahlen - nur für das letzte Kindergartenjahr erhebt Hessen keine Gebühren mehr. Eltern auf der anderen Seite des Rheins, in der Nachbarstadt Mainz, haben es besser. In Rheinland-Pfalz ist der Kita-Besuch für Kinder ab zwei seit dem vergangenen Jahr gratis. Der Vater aus Wiesbaden ärgert sich.

    "Man schaut natürlich schon neidisch rüber, ärgert sich, dass man nicht auf der anderen Seite wohnt, aber gut - man kann da ja einfach nichts machen. Ich glaube schon, dass es ein richtiger Schritt wäre, wenn es kostenfrei wäre, weil es dann auch mehr in Richtung kinderfreundliches Deutschland gehen würde. So ist es ja noch mal ein großer Kostenblock von 300 bis 500 Euro, der für die Familien halt nochmal ein großer Block ist. Deswegen finde ich diese Politik von Rheinland-Pfalz schon sehr vernünftig."

    Dass ihre Bürger neidisch auf rheinland-pfälzische SPD-Politik blicken, erzürnt Christdemokraten und Liberale in Hessen. Ministerpräsident Kurt Beck finanziere mit den Geldern der Geberländer seine Wahlgeschenke, schimpft FDP-Fraktionschef Florian Rentsch.

    "Das ist nicht nur bei der Kinderbetreuung der Fall, wo Rheinland-Pfalz alles kostenlos macht, was wir uns in Hessen nicht leisten können, sondern auch in anderen Bereichen, und jemand, der immer nur vom Geld anderer lebt, der handelt nicht fair und nicht verantwortungsbewusst."

    "Aber Schmarotzertum - so weit würde ich nicht gehen. Es ist einfach eine Frage des Wettbewerbs, und wir glauben einfach, dass die Wettbewerbsbedingungen nicht mehr stimmen","

    ergänzt Thomas Schäfer, Finanzminister der CDU

    2010 zahlten die drei großen Geberländer zusammen mehr als 6,9 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich ein, im Jahr davor nur geringfügig weniger. Jörg Feuerhake, ein anderer Kindergarten-Vater.

    ""Also, es ist ja wohl irgendwo in der Verfassung festgeschrieben, dass wir gleichartige Lebensbedingungen wünschen, und das führt eben zu einem Länderfinanzausgleich. Da darf man sich eben nicht so haben."

    Prinzipiell wollen die drei Geberländer das im Grundgesetz verankerte Ausgleichssystem zugunsten gleichwertiger Lebensbedingungen überall in Deutschland auch nicht antasten. Ändern wollen sie nur die derzeitige politische Ausgestaltung. Denn, so heißt es in der Vorlage zur morgigen Kabinettsitzung:

    "Der Finanzausgleich ist leistungsfeindlich, ungerecht und erfüllt nicht seine Funktion als Hilfe zur Stärkung der Eigenständigkeit."

    Es müsse doch dabei bleiben, erläutert Hessens Finanzminister Schäfer

    "… dass der, der mehr leistet, der mehr einnimmt, am Ende auch zumindest in einem berechtigten Umfang auch mehr hat am Ende als der, der nur nimmt. Hessen ist das Land mit dem pro Kopf höchsten Wirtschaftseinkommen Deutschlands. Die Erwartungslage an ein Land wie Hessen ist natürlich, dass wir die Infrastrukturvoraussetzungen, was Straßenbau, Schienenwege und anderes angeht, schaffen und unterhalten, die notwendig sind, um dieses Wachstum, diese wirtschaftlichen Zahlen zu generieren. Auf der anderen Seite lässt uns das System nicht die Finanzmittel, um das zu realisieren. Das kann nicht zusammenpassen."

    Für ein Nehmerland gebe es kaum Anreize, beim Konsum zu sparen und durch Investitionen die Wirtschaftskraft zu erhöhen, da sind sich die potenziellen Kläger einig. Der Wiesbadener FDP-Fraktionschef Rentsch fügt an:

    "Das System, wie es derzeit ist, benachteiligt vor allem die wirtschaftsstarken Länder, und eines der Hauptprobleme ist, dass eben nicht klar ist, wie dieses Geld in anderen Ländern verwendet wird, sondern jedes Land mit diesem Geld machen kann, was es möchte, die Ursprungsidee aber eigentlich mal war, dass diese Länder wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen können, und da sind wir weit von entfernt, ein wirklich gerechtes System implementiert zu haben."

    Die aktuelle Version allerdings hatten zwei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 die christdemokratisch regierten Bundesländer mit dem damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel ausgehandelt. Mit am Verhandlungstisch saß damals für Hessen Ministerpräsident Roland Koch (CDU), erinnert sich Norbert Schmitt, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in Hessen.

    "Und sie haben sich damals feiern lassen für das Verhandlungsergebnis, für den damals neuen Länderfinanzausgleich, und heute beklagen sie sich und wollen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das ist natürlich schon ein wenig widersprüchlich."

    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte die Einigung gar als "Sternstunde des Föderalismus" bezeichnet. Doch die angebliche Sternstunde bescherte Länderfürsten, Kanzler und Bundestag im Sommer des Jahres 2001 wenig schmeichelhafte Schlagzeilen in der überregionalen Presse:

    "- Der Kanzler trickst, und der Bürger zahlt drauf
    - Schulterschluss mit den Ländern, Entmachtung des Bundestages, Missachtung des Verfassungsgerichts
    - Des Kaisers neuer Ausgleich"


    Finanzminister Thomas Schäfer leitete damals das Büro des hessischen Justizministers und erinnert sich:

    "Das damalige Urteil hat festgestellt, dass die damalige Regelung mit der Verfassung nicht übereinstimmt und hat der Politik aufgegeben, bevor man konkret über Ausgleichsbeträge redet, ein Maßstäbegesetz zu erlassen, was abstrakt festlegt, nach welchen Regeln der Länderfinanzausgleich funktionieren soll. Das ist bis heute nicht gelungen."

    "Die Chance für eine ökonomisch vernünftige Lösung wurde vertan",

    titelt 2001 die "Frankfurter Rundschau" und zitiert damit den Regensburger Professor Wolfgang Wiegand, Mitglied des Sachverständigenrates. Weiter hieß es.

    "Der Bund hat sich durch Vorlage eines Entwurfs des Maßstäbegesetzes noch bemüht, diese Vorgabe des Verfassungsgerichts zu erfüllen. Die Bundesländer hingegen hat immer und ausschließlich nur interessiert, was finanziell für sie herauskommt. So hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit Sicherheit nicht vorgestellt."

    Und auch die Süddeutsche Zeitung sparte nicht mit Kritik. Unter Berufung auf Expertenmeinungen nannte sie im Juli 2001 den ab 2005 geltenden neuen Länderfinanzausgleich: "Einen gewaltigen Etikettenschwindel zulasten der Bürger und Steuerzahler, zulasten der nachfolgenden Generationen".

    Wenn also die unionsgeführten Geberländer damals daran mitgewirkt haben, das ineffiziente System fortzuschreiben, warum wollen sie nun erneut dagegen klagen? Diese Frage hören verantwortliche Politiker aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg derzeit oft. Die Geber hätten sich immer einer Übermacht der Nehmer gegenübergesehen, versucht Finanzminister Schäfer zu erklären. Immerhin habe die Neuregelung von 2001 zur Folge gehabt

    "… dass das Land Hessen im Verhältnis zur vorherigen Regelung einen dreistelligen Millionenbetrag jedes Jahr erspart hat, das war schon ein Erfolg. Jetzt haben wir aber langjährige Erfahrung - das sind mehr als zehn Jahre nach der Entscheidung - dass die gefundenen Maßstäbe, die aus unserer Sicht nicht vernünftig angewandt worden sind, jedenfalls zu einer sehr viel intensiveren Ausgleichswirkung führen, als es das Bundesverfassungsgericht damals sicher im Blick hatte, deshalb haben wir große Hoffnungen, dass das Bundesverfassungsgericht diesmal in die Details einsteigt und sich die Einzelregelungen anschaut."

    Der Blick schweift ins Saarland, in das 2010 gut 88 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich flossen. Die Bänder laufen wieder bei Ford in Saarlouis. Bei den Autobauern und ihren Zulieferern wird nach Monaten der Kurzarbeit wieder in drei Schichten gearbeitet. Es werden auch wieder neue Mitarbeiter eingestellt und Zeitarbeitsverträge in dauerhafte Beschäftigung umgewandelt. Das freut die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes. Volker Giersch.

    "Das Saarland ist wirtschaftlich gesehen ein erfolgreiches Land. Es ist im vergangenen Jahrzehnt überdurchschnittlich gewachsen. Ein Drittel mehr als Deutschland im Ganzen. Aber wir haben Probleme mit der Steuerkraft."

    Dass die steuerlichen Einnahmen nicht sprudelten, hing lange Zeit an der wirtschaftlichen Struktur des Landes. Bis zur Jahrtausendwende wurden in der Stahlindustrie Überkapazitäten abgebaut und die Kohlegruben bis auf eine geschlossen. Gleichzeitig wurde die industrielle Beschäftigung rund um den Automobilsektor ausgeweitet. Doch diese positive Entwicklung weist einen kleinen Schönheitsfehler auf, so der IHK-Geschäftsführer.

    "Wir haben einen Nachteil auf der Steuerseite dadurch, das wird in der Industrie rund dreiviertel der Arbeitsplätze in Zweigbetrieben und Tochterunternehmen haben wie zum Beispiel Ford, ZF und Bosch, sie zählen mit zu den Perlen der Saarindustrie."

    Die Perlen jedoch versteuern ihre Gewinne woanders. Sie zahlen Körperschaftssteuer am Hauptsitz des Unternehmens. Aktuell erzielt das Saarland bei der Körperschaftssteuer deshalb weit unterdurchschnittliche Ergebnisse. Zum Teil hat es historische Gründe, dass so wenige namhafte Unternehmen ihren Sitz im Land haben. Zum anderen mangelt es - auch das zeigt diese Kennziffer - an Unternehmergeist. Hausaufgaben für die Landesregierung sagt Ashok Kaul, Wirtschaftsprofessor an der Universität des Saarlandes.

    "Einer der Schlüssel ist Existenzgründung und der zweite ist, für qualifizierte Zuwanderung zu sorgen, das heißt nicht unbedingt international, sondern das Saarland Deutschland weit vermarkten."

    Ausschlaggebend für das Steueraufkommen der Länder sind jedoch Lohn- und Einkommenssteuern. Aber auch da sieht es für das Saarland nicht gut aus, trotz der seit langen Jahren stabilen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings liegen die Arbeitslöhne im Saarland neun Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Darunter leidet das Steueraufkommen. Und der saarländische Finanzminister hat aus fiskalischer Sicht noch ein zweites Problem. Das sind die vielen französischen Arbeitskräfte, sagt Volker Giersch.

    "18.000 Pendler kommen Tag für Tag aus Lothringen herein, um in saarländischen Unternehmen zu arbeiten und noch einmal 8000 kommen aus Rheinland-Pfalz. Das sind Menschen, die bringen Wertschöpfung ins Bruttoinlandsprodukt ein, versteuern ihre Einkommen aber woanders, nämlich in Lothringen und der Pfalz. Das sind Steuereinnahmen, die dem saarländischen Fiskus fehlen."

    Das Finanzministerium rechnet etwas konservativer als die IHK. Es geht von Steuerausfällen von jährlich 33 Millionen Euro aus. Aber auch diese würden ausreichen, die Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich, die 2011 mit 90 Millionen veranschlagt sind, teilweise auszugleichen. Angesichts der in Rede stehenden Summe begleitet der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) die bevorstehende Klage der Geberländer gegen den Länderfinanzausgleich mit Unverständnis.

    "Wir haben, wenn ich alle Leistungen zusammennehme, eine Fremdfinanzierungsquote des saarländischen Haushaltes von unter fünf Prozent. Es gibt andere Länder, die zurzeit als finanzpolitisch vorbildhaft dargestellt werden, die haben Fremdfinanzierungsquoten von über 40 Prozent. Vor diesem Hintergrund haben wir als Saarländer überhaupt keinen Grund in Sack und Asche zu gehen, im Gegenteil."

    Sein Land habe sich angestrengt auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite, findet Müller. Die Gemeinschaft der Länder habe diese Anstrengungen auch honoriert. Denn dem Saarland sowie vier weiteren Bundesländern seien im Rahmen der Schuldenbremse Finanzhilfen gewährt worden, um ihre Haushalte ins Lot zu bringen. Dies sei unter den gestrengen Augen der Geberländer geschehen.

    "Das klare Ergebnis dieser Untersuchung war, dass auch im Vergleich zu denjenigen, die in der Finanzkraftreihenfolge nicht so gut dastehen wie Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, die Konsolidierungsländer sich in der Summe keine überdurchschnittlichen Standards leisten."

    Im eigenen Interesse wolle die parteiübergreifend arbeitende Haushaltsstrukturkommission jedoch jene Bereiche, in denen die Ausgaben über dem Schnitt lägen, genauer unter die Lupe nehmen. Ein Beispiel sei die Justiz. Ein Bundesland müsse jedoch seine eigenen politischen Schwerpunkte setzen dürfen, ergänzt der Ministerpräsident. Beispiel: die Studiengebühren. Die wurden unter dem CDU-Politiker nach kurzer Zeit wieder abgeschafft. Die Grünen wären sonst nicht in die Jamaika-Koalition mit CDU und FDP eingetreten.

    "Natürlich muss es möglich sein, die einen sagen, wir machen mehr im Bereich der Lernmittelfreiheit, die anderen sagen, wir fördern mehr Ganztagsschulen, und Dritte sagen, wir machen mehr im Bereich der Kindergartenbeiträge."

    Mit den Regeln des Länderfinanzausgleiches hat diese Prioritätensetzung nichts zu tun, denn er fragt nicht danach, wer kann sich was oder wie viel leisten, sondern er fragt danach: wie viel ein Land einnimmt und wie viel es davon behalten darf. Der Finanzausgleich sei dafür da, die unterschiedliche Steuerkraft der Bundesländer auszugleichen und nicht, die Ausgabenpolitik der einzelnen Länder zu zensieren. Sich dieser Problematik über die Ausgabenseite zu nähern, sei daher unredlich, findet Professor Kaul.

    "Dass die Geberländer sagen, es darf nicht sein, dass die ärmeren Länder hinterher nicht mehr pro Kopf zur Verfügung haben, o.k. Aber auf der Ausgabenseite, da haben die Länder nicht mitzureden. Das hat den Wähler natürlich zu interessieren, aber nicht den Ministerpräsidenten eines anderen Bundeslandes."

    Es war einmal: In Nordrhein-Westfalen florierte die Wirtschaft. Die Kohle- und Stahlbarone in Essen und Duisburg lieferten die Energie und das Metall für den Aufschwung der Nachkriegszeit. Die Steuereinnahmen sprudelten, im Ruhrgebiet herrschte quasi Vollbeschäftigung – und das bevölkerungsreichste Bundesland gehörte beim Länderfinanzausgleich wie selbstverständlich zu den Gebern. Noch 1995 zahlte NRW 1,7 Milliarden Euro ein – seit 2003 jedoch mit abnehmender Tendenz. Im vergangenen Jahr dann der Seitenwechsel: Nordrhein-Westfalen wurde zum Empfängerland und bekam 358 Millionen Euro aus dem Ausgleichstopf.

    Der Symbolcharakter ist nicht zu unterschätzen. Und so streiten sich die Finanzexperten der Parteien mit Hingabe über die Frage, wer die Schuld daran trägt. Christian Weisbrich, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, hat die Antwort schnell parat: Seit gut einem halben Jahr ist in Düsseldorf eine rot-grüne Minderheitsregierung am Ruder.

    "Wir hätten die Studiengebühren nicht abgeschafft. Das macht 250, 280 Millionen Euro pro Jahr aus. Wir hätten kein beitragsfreies Kindergartenjahr eingeführt unter diesen Voraussetzungen, dass wir noch keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. Das sind dann noch mal fürs erste halbe Jahr 130 Millionen, also insgesamt über 400 Millionen. Und diese 400 Millionen fehlen Jahr für Jahr mit steigender Tendenz und müssen dann im Prinzip durch die Geberländer ausgeglichen werden, die selbst den Gürtel enger schnallen und sich solche Sperenzchen nicht leisten können."

    CDU und FDP lassen kein gutes Haar an der Ausgabenpolitik ihrer Nachfolgeregierung. Sie klagten vor dem Landesverfassungsgericht in Münster gegen den rot-grünen Nachtragshaushalt, der 2010 eine Rekordneuverschuldung in Höhe von 8,4 Milliarden Euro ausweist. Ein erster Etappensieg ist bereits erreicht: Im Eilverfahren stoppten die Richter die Kreditaufnahme der Regierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Ihre Beteuerung, die Rekordschulden gingen allein auf die Misswirtschaft von Schwarz-Gelb zurück, half nichts. Bis März wird das Gericht entscheiden. Neue rot-grüne Projekte seien im Nachtragshaushalt noch gar nicht verbucht, erklärt Martin Börschel, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion dazu. Und eine Einmischung aus München, Stuttgart oder Wiesbaden in die Haushaltspolitik von NRW verbitte man sich sowieso:

    "Der Länderfinanzausgleich ist ja kein Instrument, um die Hoheit eines Landes, wie und wo es politische Schwerpunkte setzen will, außer Kraft zu setzen, sondern im Rahmen des Geldes, das man zur Verfügung hat, kann jedes Land das selbst entscheiden. Das wollte und das darf der Länderfinanzausgleich nicht verhindern. Andererseits ist der Länderfinanzausgleich eine Solidarleistung, die dazu dienen soll, die Lebensverhältnisse anzugleichen, und ich glaube, wenn Nordrhein-Westfalen beispielsweise soziale Gerechtigkeit schaffen will und in das Zukunftsthema Bildung investieren will, sollte sich Bayern eher eine Scheibe davon abschneiden als es zu beklagen."

    Martin Börschel greift in seine Aktentasche und zieht ein Dokument hervor: eine lange Tabelle, auf der alle Transferleistungen des Länderfinanzausgleichs seit Anfang der 50er-Jahre aufgelistet sind: Börschel zeigt auf die Spalte für Bayern: bis 1986 durchweg rote Zahlen, also Nehmerland.

    "Jedes Bundesland kann mal in die Situation kommen, und gerade Bayern hat ja über viele Jahre und Jahrzehnte vom Länderfinanzausgleich profitiert, zahlt jetzt ein seit geraumer Zeit, aber alles kann anders werden, und deswegen fehlt mir eigentlich in der Sache das Verständnis dafür."

    Das ist aufseiten der gebenden Südländer nicht anders. In Stuttgart werden Bayern, Hessen und Baden-Württemberg morgen einen Zeitplan beschließen. Sie werden dem Bund und den Nehmerländern wohl noch eine Chance geben, die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht abzuwenden und fordern zu Verhandlungen über eine Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs auf. Doch es ist eher unwahrscheinlich, dass es zu solchen Gesprächen kommt. Das Saarland und Rheinland-Pfalz drohen sogar schon mit einer Gegenklage. Die Zeichen stehen also auf Konfrontation.