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Die Klimadoktoren

Was haben Ingenieure nicht alles schon hingekriegt: atemberaubende Wolkenkratzer, Raumstationen im All, ganze Plattensammlungen auf einem Handy. Einige Experten überlegen sogar, ob sie nicht auch noch Größeres in Angriff nehmen sollten. Das Weltklima zum Beispiel.

Von Jan Lublinski | 08.11.2009
    Dass ein Planet zum Arzt geht, ist eine kuriose Vorstellung. Dazu müsste der Planet, in diesem Fall die Erde, krank werden können und also in irgendeinem Sinne lebendig sein. Und es müsste vor allem ein geeigneter Arzt da sein. Ein Arzt, der in Planetenheilkunde ausgebildet ist.

    Die Klimadoktoren - wie sich die Wissenschaft für Notoperationen wappnet

    Eine Sendung zum Thema Geoengineering, auch Climate-Engineering genannt. Dem Versuch, das Klima der Erde mit neuartigen, großtechnischen Maßnahmen abzukühlen. Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Manfred Treber, Klimaschützer:

    "Ich wehr mich so vehement dagegen, weil wir jetzt den großen Durchbruch in Kopenhagen brauchen. Und jetzt nicht ablenken lassen, durch irgendwelche Märchen, die dann doch nicht eintreten."

    Steve Rayner, Innovationsforscher:

    "Es geht um zusätzliche Technologien, die wir erforschen sollten. Sie könnten uns dabei helfen, ein sehr ernstes Problem zu lösen: die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen bis zur Mitte des Jahrhunderts."

    Markus Antonietti, Chemiker:

    "Es klingt fast zu schön. Aber im Prinzip ist das Verfahren geeignet, das gesamte Klimaproblem, das gesamte CO2-Problem zu lösen, allerdings natürlich nur in mittelfristiger Perspektive."

    Martin Visbeck, Ozeanograph:

    "
    Dieses Thema auszuklammern aus unserer Forschungsagenda, ist wahrscheinlich genau so heikel wie es aufzunehmen."

    ...und James Lovelock, der 90-jährige Naturforscher und Autor mehrerer Bücher zur Gaia-Theorie.

    Bevor ich auf die Praxis der Erdheilkunde näher eingehe, muss ich Gaia vorstellen, die Patientin, um die der Arzt sich zu kümmern haben wird. Ich beschreibe Gaia als das Steuerungssystem der Erde – ein selbstregulierendes System, dem Thermostaten eines Bügeleisens oder Backofens nicht unähnlich. Gaia wurde sichtbar aufgrund unseres neuen Betrachterstandpunktes im Weltraum.

    Die Temperatur der Erdatmosphäre darf nicht um mehr als zwei Grad über das vorindustrielle Niveau ansteigen, sonst drohen der Menschheit große Probleme: Dürren, Überschwemmungen, Stürme. So steht es in den Fachmagazinen und Broschüren, die Manfred Treber in seinem kleinen Bonner Büro sortiert. Er ist Klimaexperte bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und bereitet sich auf die Welt-Klimakonferenz in Kopenhagen vor.

    "Die Gefahr ist weiterhin da, die wächst. Die wissenschaftlichen Fortschritte jedes Jahr sind immer in der Richtung, dass man sagen kann, die Klimaänderung hat noch schlimmere Folgen als im Jahr vorher gedacht."

    Was also, wenn die Befürchtungen der Wissenschaftler Realität werden? Was, wenn die Temperatur der Erde um weit mehr als zwei Grad ansteigt und ganze Kontinente zu Katastrophenzonen werden? Müsste man dann nicht jede denkbare Maßnahme in Betracht ziehen? Die neue US-Regierung wolle Klimakuren wissenschaftlich untersuchen lassen, erklärte Anfang des Jahres John Holden, der wissenschaftliche Berater von Präsident Obama.

    Notoperation für Gaia, Konzept Nr. 1: Partikel in der Atmosphäre.

    Flugzeuge versprühen feinste Schwefelteilchen in zehn bis 50 Kilometern Höhe. Sie dämpfen das Sonnenlicht ab, wie nach dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 auf den Philippinen. Der Vorschlag stammt von dem Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen. Probleme und Nebenwirkungen: Beschleunigte Zerstörung der Ozonschicht, unabsehbare Risiken für die Atmosphäre der Erde.

    "Paul Crutzen hat wirklich verstanden, worum es beim Klima-Problem geht. Wie groß die Herausforderung ist. Und dann dachte er, wenn es wirklich noch viel schlimmer kommt, dann müssten die Menschen noch etwas in petto haben, in der Hinterhand haben, dass sie noch mehr machen können. Und dann hat er dazu aufgerufen, dass man doch ein bisschen Forschung zu Geoengineering machen sollte."

    Notoperation für Gaia, Konzept Nr. 2: Künstliche Bäume und CO2-Speicherung unter Tage.

    Mit bürstenartigen Geräten wird Kohlendioxid aus der Luft aufgenommen. Es lagert sich an ein spezielles Harz an, bis es später wieder herausgewaschen und in geologischen Schichten unter Tage gepumpt und dort gespeichert wird. Probleme und Nebenwirkungen: Die künstlichen Bäume befinden sich noch ganz am Anfang ihrer Erforschung. Die CO2-Speicherung unter Tage ist eine aufwändige Maßnahme, die unter Fachleuten zunehmend umstritten ist.

    Viele Geoengineering-Ideen scheinen eher in Science-Fiction Romane zu passen, doch sie werden von einer wachsenden Zahl von Politikern, Wissenschaftlern und Ingenieuren ernst genommen. Natürlich geht es dabei um das hehre Bestreben, die Welt zu retten. Aber oft stecken auch andere Motive dahinter: Wissenschaftler erhoffen sich Forschungsgelder. Technikgläubige hegen die Illusion, dass sich alle Probleme am besten mit neuen technischen Hilfsmitteln lösen lassen. Treber:

    "Man hat eine Regelung: man versucht, die Klimaänderung zu begrenzen. Und die ist aufwändig und die ist teuer und die erfordert einen anderen Lebensstil auf die Dauer von Menschen. Das ist unbequem. Und deshalb ist es oft ein politischer Reflex, den Fokus auf etwas zu lenken, was bequemer ist: Dass man einfach so weitermachen kann wie bisher. Und dass irgendwelche technischen Lösungen erlauben, dass man sich nicht ändern muss."

    Steve Rayner:

    "Interessanterweise wurden die Argumente gegen das Geoengineering früher auch schon gegen die Adaptation, also die Anpassung an den Klimawandel, ins Feld geführt. Mit dem Ergebnis, dass wir etwa 15 Jahre verloren haben. So haben wir es versäumt, Millionen Menschen in Entwicklungsländern vor Naturkatastrophen zu schützen. Wir hätten früher anfangen müssen, etwas zu tun."

    Steve Rayner ist Innovationsforscher an der Universität Oxford und spricht auf Kongressen gern und ausführlich über das Thema Geoengineering. Er bezeichnet sich selbst als "undisziplinierten" Wissenschaftler, weil er zwischen Disziplinen unterwegs ist. Er publiziert Risikoanalysen und ökonomische Studien, ist in einer Vielzahl von forschungspolitischen Gremien aktiv und hasst Denkverbote.

    "Im Moment sind viele Wissenschaftler noch vorsichtiger als ich. Sie sehen Geoengineering als das letzte Mittel an, das erst zum Einsatz kommt, wenn sonst nichts mehr geht. Ich aber sehe keinen Grund, warum wir diese Technologie nicht jetzt schon zu den Waffen hinzufügen sollten, mit denen wir den Klimawandel bekämpfen."

    Bis vor kurzem war die Diskussion in Sachen Geoengineering noch vergleichsweise übersichtlich: Es waren nur wenige, meist amerikanische oder britische Visionäre und Außenseiter, die das Thema propagierten. Im Jahr 2009 aber wurde es plötzlich auch in Deutschland öffentlich diskutiert.

    Notoperation für Gaia, Konzept Nr. 3.

    Eisendüngung der Ozeane. Schiffe kippen an geeigneten Stellen Eisenspäne ins Meer. Mit dem Spurenelement Eisen werden die Algen in die Lage versetzt, zu wachsen und mehr CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen. Wenn die Algen sterben, sinken sie in die Tiefe und nehmen das CO2 mit. Probleme und Nebenwirkungen: Die Mehrzahl der Forscher ist überzeugt davon, dass diese Methode nicht wirklich funktioniert und eine Gefahr für die Meere darstellt.

    Es war ein Experiment des deutschen Forschungsschiffes Polarstern, das weltweit für Schlagzeilen sorgte. Die Wissenschaftler an Bord schickten sich an, sechs Tonnen Eisensulfat in den südlichen Atlantik zu kippen. Aus Sicht einiger Umweltverbände verstieß dieses Projekt gegen die kurz zuvor vereinbarte internationale Biodiversitätskonvention. Sie organisierten massive Proteste.
    Martin Visbeck, Ozeanograph am Forschungszentrum IFM Geomar in Kiel.

    "Was ich in Ordnung finde, das ist eine ordentliche Agenda. Es hat aber dann zu einem politischen Problem geführt in Deutschland. Und da gab es eine Diskussion, die von Meinungen und nicht von Einsichten geprägt war."

    Umweltminister Gabriel versuchte seine Kollegin, Forschungsministerin Schavan, dazu zu bewegen, das Experiment zu stoppen. Diese aber holte zwei Gutachten ein, die nachwiesen, dass es sich bei diesem Experiment um unbedenkliche Grundlagenforschung handelte, und ließ die Forscher gewähren. Projektleiter des Eisendüngungsexperiments war Victor Smetacek vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung.

    "Ich geh davon aus, dass ich grüner bin als alle anderen. Ich mach mir Sorgen um die Mangrovenwälder. Wir werden ja die Mangrovenwälder verlieren. Wir brauchen ja nur noch 1,2 m Meeresspiegelanstieg, dann sind die weg. Und dahinter sind die Städte. Und Korallenriffe. Das wenigste, was man tun kann ist jetzt hier den CO2-Gehalt zu verringern."

    Victor Smetacek ist ein faszinierender Redner, jemand, der sich und andere begeistern kann. Seine Fachkollegen und ehemalige Doktoranden bescheinigen dem Professor, dass er zu den kreativsten Köpfen in der Meeresforschung zählt. Er arbeitet heute aber meist allein in seinem Büro am Alfred Wegener Institut und verfolgt Visionen, die von seinen Kollegen nicht immer geteilt werden: Über die Eisendüngung will er nicht nur dem Klima, sondern auch den Meeresbewohnern wieder auf die Sprünge helfen.

    "Es ist ja nun mal so, dass wir Menschen die Ökosysteme so stark verändert haben – schon aufgrund der Fischerei. Wir haben alle Großfische aus dem Meer rausgeholt. Wenn wir jetzt wieder Restauration betreiben wollen, wenn wir den ursprünglichen Zustand wiederherstellen wollen. Wenn wir also Raum geben wollen, dass diese Großtiere sich wieder aufbauen, dann müssen wir wieder anfangen, sie aufzupäppeln. Dafür ist die Eisendüngung ideal."

    Smetacek holte indische Wissenschaftler an Bord, die sich an der Finanzierung der Forschungsfahrt beteiligten. Und auch seine deutschen Kollegen unterstützten das Polarstern-Projekt, weil sie die Messungen für sinnvolle Grundlagenforschung hielten. Rein wissenschaftlich gesehen war das Projekt am Ende tatsächlich ein Erfolg: Mit den Messdaten konnten die Meeresforscher die globalen Kohlenstoffkreisläufe der Erde ein Stück weit besser verstehen. In Sachen Geoengineering hingegen war der Versuch ein Flop. Martin Visbeck:

    "Dieses Experiment hat gezeigt, dass vermutlich die Eisendüngung, zumindest da, wo man es diesmal probiert hat, keine Wirkung hat."

    Es bildeten sich zwar Algenblüten, die CO2 aus der Atmosphäre aufnahmen, doch statt komplett auf den Meeresboden zu sinken, wurden die Algen von winzigen Ruderfußkrebsen gefressen. Das CO2 blieb somit an der Wasseroberfläche. So jedenfalls lässt sich das Klima nicht retten. Die Polarstern-Fahrt hat aber auch noch etwas anderes gezeigt: Wie massiv der öffentliche Druck plötzlich werden kann, wie schnell Politiker den Forderungen von Lobbygruppen Folge leisten, wie groß die Eigendynamik des Forschungsbetriebes ist. Und: Wie schnell die Diskussion um das Geoengineering eskalieren kann.

    Wir befinden uns noch in einem Zustand tiefsten Unwissens. Unsere Wissenschaft reicht kaum aus für die Lösung unserer Umweltprobleme. Analytische wissenschaftliche Verfahren helfen uns bei der Diagnose heutiger Krankheiten von Gaia. Heilmittel zu verschreiben, übersteigt aber bei weitem unsere Fertigkeiten und ist überdies gefährlich, weil wir die Dinge durch Ignoranz auch verschlimmern könnten.

    Notoperation für Gaia, Konzept Nr. 4: Sonnensegel im Weltall.

    Mit Hilfe von Raketen- und Satellitentechnik wird im Orbit ein gigantischer Sonnenschirm aufgespannt, der aus vielen kleinen Plastikscheiben besteht und etwa die Fläche einer Stadt hat. Diese Segel schwächen die Wirkung der Sonne auf die Erde ab. Probleme und Nebenwirkungen: Das Konzept ist technisch aufwändig und extrem teuer.

    Seit den 60er Jahren kursieren die verschiedensten, teils sehr skurrilen Ideen. Aber erst im vergangenen Jahr ist eine umfassende Studie erschienen zu ihrem Potential und den Problemen des Geoengineerings. Eine der Autorinnen dieser Untersuchung ist die Geographin Naomi Vaughan. Sie schreibt an einer Doktorarbeit zum Thema an der University of East Anglia im englischen Norwich und hatte sich ursprünglich mit verschiedenen Verfahren zur Verringerung des CO2-Ausstoßes befasst. Dann aber wurde ihr deutlich, wie schwer es ist, das 2-Grad-Ziel tatsächlich zu erreichen.

    "Ich habe darum angefangen, mich für alternative Ansätze zu interessieren. Ansätze, welche die Reduktion der Emissionen nicht ersetzen aber vielleicht ergänzen können. Ich denke, es hilft, wenn man jung ist und mit ein wenig Naivität und positivem Denken an die Sache herangeht."

    Der Doktorvater von Naomi Vaughan wirkt kaum älter als seine Studentin: Tim Lenton, Professor für Erdsystemforschung an der University of East Anglia, ist ein schlaksiger Mann, der mit dem Rennrad zur Arbeit kommt. Für seine Tee-Pause schält er sich Kekse mit Zitronenfüllung aus einer Packung.

    "Mein Vater schenkte mir zu Weihnachten eines von James Lovelocks Büchern über Gaia. Das war während meines ersten Semesters in Cambridge. An einer Stelle fragte Lovelock, ob es dort draußen vielleicht irgendwo einen Planeten-Doktor gäbe. Ich antwortete in einem Brief an Lovelock, dass ich gern eine Dissertation auf diesem Gebiet schreiben wollte. Er schrieb freundlicherweise zurück und fragte: Warum kommen Sie mich nicht einfach besuchen?"

    Zwischen dem begeisterten Studenten und dem pensionierten Visionär entstand eine besondere Freundschaft. Gemeinsam entwickelten sie die Gaia-Theorie weiter.

    "Es gibt sehr viele Leute, die von der Idee der Mutter Erde – die griechische Göttin Gaia - neu inspiriert wurden, der Erde ein höheres Bewusstsein zuzuordnen. Ich teile diese Ansicht nicht. Aber ich finde es faszinierend, dass das komplexe Verhalten des Planeten insgesamt aus scheinbar zufälligen Aktivitäten seiner Teilsysteme folgt. Darin besteht für mich eine naturwissenschaftliche Offenbarung, und für manche Leute mag auch das schon religiös sein. Auf jeden Fall aber ist Gaia der Grund, warum wir morgens aus dem Bett kommen, ans Institut fahren und weiterforschen."

    Gemeinsam mit Naomi Vaughan hat Lenton inzwischen für die verschiedenen Geoengineering-Szenarien die Energieabstrahlung und -aufnahme in der Atmosphäre berechnet und verglichen. Ergebnis: Die Eisendüngung bringt fast nichts. Ebenfalls ohne großen Einfluss auf das Klima wäre die Maßnahme, alle Häuser weiß zu streichen. Wirkungsvoller sind die verschiedenen Möglichkeiten des CO2-Einfangs und der Speicherung unter Tage. Und am effektivsten, aber auch am gefährlichsten sind die Schwefelpartikel in der Atmosphäre und die Sonnenschirme im All. Vaughan:

    "Wenn man die verschiedenen Optionen nach ihrem Potential für die Kühlung des Planeten sortiert, dann erreicht man am meisten, wenn man das Sonnenlicht abschirmt. Aber wenn man diese Maßnahmen einmal anwendet, darf man sie nicht wieder aussetzen. Denn das CO2 wäre ja nach wie vor in der Atmosphäre, und die würde sich sehr schnell wieder aufheizen – auf die Temperatur, die sie ohne diese Maßnahmen gehabt hätte."

    Lenton:

    "Unsere Untersuchungen haben mir gezeigt, dass die Option mit den Partikeln in der Atmosphäre negative Nebeneffekte haben würde, etwa auf die globalen Wasserkreisläufe. Viele meiner Kollegen aber wollen diese Methode wirklich ausprobieren. Und darum sehe ich diese Technologie inzwischen sehr kritisch."

    Auf Grundlage ihrer Studie können Vaughan und Lenton, zusätzlich zur Emissionsreduktion, derzeit nur eine Geoengineering-Maßnahme empfehlen: Die Verkohlung von Biomasse.

    Notoperation für Gaia, Konzept Nr. 5: Kohle aus Biomasse.

    In Biomasse-Reaktoren werden Holz, Blätter, Klärschlamm und andere grüne Abfälle zu Kohle verwandelt. Diese Biokohle wird nicht verbrannt, sondern auf den Böden verstreut. So bleibt der Kohlenstoff, den die Pflanzen zuvor aus der Atmosphäre geholt haben, langfristig gebunden. Probleme und Nebenwirkungen: Das Verfahren ist bislang nicht effektiv und wirtschaftlich genug. Das aber könnte sich in den kommenden Jahren ändern.

    Ein Chemie-Labor am Max Planck Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm bei Potsdam. Maria-Magdalena Titirici schraubt ein Metall-Gefäß zusammen, das etwa so groß ist wie ein Gewürzdöschen.

    "Das ist einer von unseren kleinen Reaktoren. Wir stecken etwas Biomasse in den Behälter und bringen ihn mit einem Ölbad auf die richtige Temperatur, etwa 200 Grad Celsius, dabei überwachen wir den Druck. Nach zwölf Stunden kann man den Behälter herausnehmen, öffnen – und hat Kohle."

    Der Vorgang, der für Maria-Magdalena Titirici längst zu einem alltäglichen Prozess geworden ist, könnte eine Revolution in der Klimatherapie der Erde bedeuten. Die sogenannte hydrothermale Karbonisierung macht es möglich, in einem Kochtopf quasi über Nacht Bioabfall in Kohle zu verwandeln. Im Prinzip wird hier der natürliche Prozess der Kohlebildung, wie er auf der Erde innerhalb von Jahrmillionen abgelaufen ist, drastisch beschleunigt. Markus Antonietti, Direktor des Max Planck Instituts und Erfinder des neuen Verfahrens.

    "Diese Idee, Kohlenstoff zur Klimatherapie zu benutzen, ist eine alte. Nur die bisherigen Forscher, die das betreiben, also hauptsächlich Geoforscher, die glauben noch an 'Biochar', das heißt klassische Holzköhlerei. Und bei dieser klassischen Holzköhlerei haben wir zwei Einschränkungen. Zum Einen: Die Umwandlung des in der Biomasse gebundenen Kohlenstoffs in Kohle ist relativ ineffektiv. Nur circa 30 Prozent des Kohlenstoffs kommen tatsächlich in der Kohle an. Und das zweite Problem der Köhlerei ist: Sie brauchen eigentlich trockenes Holz, also einen relativ hochwertigen Rohstoff. Während, unser Verfahren geht auch mit Schlämmen, mit Abfallbiomasse, mit nassen Blättern, mit der braunen Tonne in Berlin – das heißt wir können die Gesamtheit der Biomasse konvertieren, mit einer sehr hohen Effizienz."

    Sieben Gigatonnen CO2 produziert die Menschheit pro Jahr durch Verbrennung von Kohle und Öl, rechnet Antonietti vor. Wenn es also gelänge, eben diese Menge aus Biomasse zurück in Kohle zu verwandeln – wäre die Erde klimatisch geheilt.

    "Und das ist tatsächlich relativ einfach, weil der Planet produziert 120 Kubikkilometer trockene Biomasse. Davon schmeißt die Menschheit bereits 10 bis 14 Kubikkilometer als landwirtschaftliche Seitenprodukte, als Klärschlamm weg und wenn wir dieser Abfälle uns annehmen und sie in Kohlenstoffprodukte verwandeln, dann haben wir das Klimaproblem in den Griff gekriegt. Das ist natürlich ein Weltproblem und eine Weltmaßnahme – erwarten Sie das nicht in den nächsten drei Jahren."

    Erste Schritte hin zum Biokohle-Geonengineering werden derzeit auf einem weitläufigen Industriegelände in Teltow unternommen, südlich von Berlin, auf dem ehemaligen Gelände des "VEB Teltomat". Zwischen Schrottplatz, Asphaltmischwerk und einer Kläranlage hat der Wirtschaftsingenieur Volker Zwing seinen schwarzen Gelände-Kombi geparkt. In einer großen Halle baut er hier mit seinen Kollegen eine Pilotanlage auf für die Verarbeitung von Biomasse.

    "Sie brauchen natürlich außen herum dann noch auf dem Freigelände, Logistikflächen, wo dann die Biomasse antransportiert werden muss. Und nachher auch die fertige Kohle auch wieder abtransportiert werden muss. Die Hallenfläche selbst ist Anlagenfläche, die Druckreaktoren, die Pumpen. Also sämtliche Anlagenbestandteile, die sind in der Halle drin."

    Zwing ist Geschäftsführer von "CS-Carbonsolutions", ein Unternehmen, das die Lizenzrechte an der hydrothermalen Karbonisierung bei der Max-Planck-Gesellschaft erworben hat. Die Pilotanlage soll bald das Kunststück vollbringen, in einem kontinuierlichen Prozess eine Tonne Biomasse pro Stunde in Kohle zu verwandeln - von Laub über Grünschnitt bis hin zu Klärschlamm. – Ob das technisch funktioniert und ob es sich wirtschaftlich lohnt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Immerhin: Es gibt eine Menge Ideen für den Absatz der Kohle.

    "Wir streben ganz stark stoffliche Verwertung an. Dass man hochwertige Kohle herstellt. Filterkohle zum Beispiel, Metallurgische Kohle für die Stahlerzeugung. Das sind Kohlesorten die relativ rein sein müssen. Das finden wir so mit am Spannendsten."

    Eine andere Option: Kohle als Bodenverbesserer. Über Felder und Wälder verstreut hält die Kohle Wasser über längere Zeit und könnte so dazu beitragen, dass weniger Dünger nötig ist. Vorteile also auf ganzer Linie. Dennoch, so Markus Antonietti:

    "Die Großindustrie ist an dem Verfahren nicht interessiert, weil es die Regeln ändert. Die Unternehmen verdienen sehr gut mit jetzigen Technologien und sind nicht wirklich daran interessiert, dass sich die Regeln des Wettbewerbs ändern."

    Es sind oft handfeste Interessen, die die Dynamik des Forschungsbetriebs steuern. Die großen Energieversorger zum Beispiel setzen auf die CCS-Technologie, bei der das CO2 aus den Abgasen ihrer Kraftwerke abgefangen und später in der Erde versenkt werden soll. Die Technologie ist umstritten, dennoch fließt viel Geld und Expertise in ihre Weiterentwicklung. Nicht nur das Sinnvolle könnte sich am Ende durchsetzen. Konrad Ott, Professor für Umweltethik von der Universität Greifswald:

    "Wenn Sie die intellektuelle Stimmung im Bezug auf Klimawandel in den USA noch vor fünf oder vor sieben Jahren verfolgt haben, so dominierte da doch der sogenannte Klimaskeptizismus, man sagte: Das ist doch alles so ungewiss, wir müssen abwarten und mal den letzten Beweis abwarten und in der Zwischenzeit sollten wir auf gar keinen Fall irgendwelche Emissionen reduzieren. Und innerhalb weniger Jahre, nämlich als im Grunde der Klimawandel wirklich nicht mehr zu leugnen war, schwenken nun einen ganze Reihe von Leuten gewissermaßen um 180 Grad um, von Klimaskepsis auf eine Art Pathos des Tragischen, es ist alles ganz schrecklich, und das einzige, was wir jetzt wirklich noch tun können, ist Geo-Engineering, andernfalls müssten wir ja Emissionen drastisch reduzieren."

    Notoperation für Gaia No. 6.: Die Hurrikan-Bremse.

    Noch während ein Hurrikan oder ein Taifun sich der Küste nähern, holt eine mächtige Flotte aus mobilen Pumpen kaltes Wasser aus der Tiefe der Ozeane nach oben und verteilt es an der Meeresoberfläche. Weil der Wirbelsturm ohne warmes Wasser keine neue Energie mehr bekommt, löst er sich auf. Dieses Prinzip haben kürzlich Bill Gates und Mitstreiter zum Patent angemeldet. Probleme und Nebenwirkungen: Der logistische Aufwand wäre gigantisch, die Folgen für die Ökosysteme der Ozeane unabsehbar. Martin Visbeck:
    "Das klingt natürlich total spannend für jemanden wie Bill Gates. Der kann bei seiner constituency, der amerikanischen Bevölkerung, wenn er der Beschützer ist, der es endlich geschafft hat, den Golf von Mexiko von Hurrikanen zu befreien, in alle Geschichtsbücher Amerikas eingehen. So was interessiert jemanden wie Bill Gates. Und ich glaube, wir brauchen Mechanismen, die auch Herrn Gates beraten können und sagen: gute Idee – geht aber nicht. Oder vielleicht sagen wir auch: gute Idee, mach mal!"

    Deutsche Wissenschaftler haben sich in Sachen Geoengineering bislang vornehm zurückgehalten. Martin Visbeck vom Forschungszentrum IFM-Geomar hält dies inzwischen für die falsche Strategie:

    "Wir können uns in der Forschung nicht in den Elfenbeinturm zurück ziehen: 'Mir ist das alles zu heikel. Das pack ich nicht an.' - So überlässt man das Feld den Scharlatanen. Wir wissen, dass Halbwissen gefährlicher ist, als sich Wissen zu verschaffen über Sachen, die unangenehm sind."

    Visbeck hat in den vergangenen Monaten eine neue Diskussion angeregt über die Frage: Dürfen wir in diesem Bereich forschen? Gemeinsam mit einigen Kollegen ist er derzeit dabei, eine deutsche "Verantwortungsinitiative Climate-Engineering" zu gründen, die ausschließlich die Risiken und Nebenwirkungen der verschiedenen Maßnahmen unter die Lupe nehmen soll. Visbeck will seriöse Expertise in Sachen Klimamanagement aufbauen, auch für den Fall, dass einzelne Personen oder Staaten plötzlich fragwürdige Methoden in Betracht ziehen.

    "Wir propagieren keine Grundlagenforschung auf neue Optionen. Sondern wir propagieren nur die Etablierung von Mechanismen zur Bewertung. Klingt nach einer Menge Fachjargon. Hat aber damit zu tun, dass wir eben nicht Generationen von Leuten kreieren wollen, die darüber nachdenken, was man noch alles machen kann im Klimasystem."

    Konrad Ott:

    "Das wissen wir vom Manhattan-Projekt, wo die Atombombe entwickelt worden ist, das wissen wir vom Apollo-Projekt, das wissen wir vom Human-Genome-Project, wir wissen also: Wenn sehr viel Geld in bestimmte Forschungszweige investiert wird und sich ein gewisses Netzwerk bildet, können solche Dinge auch eine Eigendynamik bilden, und man kann dann nicht sicher sein, dass man dann einfach sagen kann: Na gut, jetzt haben wir zehn oder 20 Jahre emsig und eifrig und teuer geforscht, und jetzt werden wir das aber nicht anwenden."

    Und es gibt ein weiteres Risiko der Geoengineering-Forschung: Dass sie manch einem eine Entschuldigung bietet, gar nichts zu tun. Mit jeder Studie werden die Ideen konkreter und es wird leichter zu behaupten, es gäbe eine Alternative zur Verringerung des CO2-Ausstoßes. Konrad Ott.

    "Weil es zu aufwändig ist, weil wir es zu teuer finden, weil es zu unbequem ist, weil wir uns außer Stande sehen, unsere Emissionen zu reduzieren - sind wir bereit, zukünftige Generationen einem Risiko auszusetzen. Das Verhältnis von Geo-Engineering und Emissionen könnte im schlimmsten Falle so ausgehen, dass zukünftige Generationen in einer Art Falle stecken würden: Sie würden vielleicht gerne rückgängig machen, können aber nicht, weil die Treibhausgaskonzentrationen zu hoch geworden sind. Und diese Möglichkeit würde ich gerne ausschließen."

    Es wird seriöse Wissenschaftler und Politiker brauchen, die konkrete Verfahren für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Geoengineering erarbeiten. Vielleicht wird sogar ein hippokratischer Eid erforderlich für die neuen Klimadoktoren: Eine Verpflichtung auf einen nachhaltigen Umgang mit Gaia, dem Lebensraum der Menschen.

    Je mehr wir an der Zusammensetzung der Erde herumpfuschen und ihr Klima zu reparieren versuchen, desto mehr übernehmen wir die Verantwortung dafür, die Erde als einen Ort für das Leben zu erhalten, bis wir uns schließlich unser gesamtes Leben lang abplagen, die Aufgaben zu erledigen, die Gaia drei Milliarden Jahre umsonst für uns übernommen hat. Die Vorstellung, Menschen seien intelligent genug, die Erde zu verwalten, zählt zum Vermessensten, was je gedacht wurde.