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Die Knallpresse im Querschnitt

Knallpresse nennt der Journalist Peter Lückemeier die Regenbogenblätter von "Bunte" bis "Bild". Diese durchforstet er regelmäßig für seine Kolumne "Herzblatt-Geschichten" in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Besonders gut eigneten sich für seine spitze Feder Promis wie Boris Becker oder Franz Beckenbauer, sagt Lückemeier.

Von Shirin Sojitrawalla | 30.05.2008
    Shirin Sojitrawalla: Wie würden Sie denn jemanden, der Ihre Kolumne nicht kennt, beschreiben, was "Herzblatt-Geschichten" sind, Peter Lückemeier?

    Peter Lückemeier: "Herzblatt-Geschichten" sind ein Streifzug durch die Knallpresse. Ich bekomme jede Woche ungefähr neun bunte Blätter auf meinen Tisch: von der "Bunten" bis zu "Neue Welt" und das "Goldene Blatt" und so was und ich lese diese Blätter und versuche, auf 153 Zeilen das Witzigste, das Heftigste zusammenzufassen und das nach Möglichkeit in ironisierter Form.

    Sojitrawalla: Und ist das ein reines Vergnügen, sich durch diese Knallpresse zu lesen?

    Lückemeier: Aber überhaupt nicht! Das ist wirklich harte Arbeit und vor allem, man muss das alles lesen, selbst bei Geschichten über Marianne und Michael, was natürlich das Langweiligste von der Welt ist, muss man’s lesen, weil vielleicht eine Bemerkung drin ist oder irgendeine Wendung, die wieder witzig ist. Das funktioniert so, dass wenn ich selber aufmerke, wenn ich stutze, wenn ich lache oder grinse, dann ist das eine geeignete Stelle für die Rubrik. Und dann klebe ich so einen gelben Haftzettel auf diese Seite. Und anhand dieser Haftzettel in den ganzen Magazinen schreibe ich dann Freitagnachmittags die "Herzblatt-Geschichten" zusammen.

    Sojitrawalla: Gibt es etwas, bei dem Sie automatisch hängenbleiben, außer dass es Sie zum Lachen oder Schmunzeln bringt?

    Lückemeier: Nö, es ist manchmal natürlich aktualitätsgebunden. Jetzt habe ich natürlich jede Zeile gelesen über die Hochzeit von Helmut Kohl, natürlich, das ist interessant, da muss ich jedes Wort auf die Goldwaage legen und mir Gedanken machen; die Söhne waren ja nicht dabei, wie mag das wohl kommen.

    Sojitrawalla: Und das ist dann auch eher eine Qual als ein Vergnügen, das Zeile für Zeile zu lesen?

    Lückemeier: Ich bin ja in meinem bürgerlichen Beruf Lokalchef bei der "FAZ" und habe natürlich eine ganze Menge zu tun, und mittwochs kommen die ersten Blätter, dann donnerstags kommt die Bunte, das ist ja mein Hauptorgan, und jeden Tag die "Bild"-Zeitung, das frisst einfach unheimlich viel Zeit. Und wenn ich auch sonst viel zu tun habe, freitags ist sowieso Großkampftag bei mir. Ich habe nie ausgerechnet, wie viele Stunden ich darauf verwende, aber mit Lektüre und Schreiben bestimmt fünf bis sieben Stunden.

    Sojitrawalla: Und gehen Ihnen dann diese 153 Zeilen leicht von der Hand?

    Lückemeier: "Unterschiedlich. Meistens läuft es ganz gut, ich habe ja auch eine irre Routine, ich mache das ja jetzt seit 1993. Aber es gibt auch Wochen, wo man schier verzweifelt. Einmal dachte ich, ich krieg’s nicht hin. Es war in einem Sommer, es war heiß, die Blätter waren langweilig und dann bin ich irgendwann aufgesprungen und bin in eine Pizzeria gegangen und habe Nudeln gegessen und danach ging‘s dann."

    Sojitrawalla: Seit 15 Jahren schreiben Sie diese "Herzblatt-Geschichten". Wie kam’s eigentlich zu der Idee?

    Lückemeier: Wir hatten einen Jour fixe und überlegten, wie man eine ganz ordentliche Zeitung noch besser machen könnte. Und dann trug ich die Idee vor, und zwar inspiriert von einer Rubrik, die wir in unserem Feuilleton haben. Die heißt "Blick durch Zeitschriften" und da werden ernsthafte Zeitschriften untersucht. Und da dachte ich, das müsste man mal für die Knallpresse machen, ohne aber richtig zu wissen, was das für Blätter waren. Das stieß auf allgemeine Heiterkeit und Zustimmung und dann haben wir das kurz darauf auch gemacht.

    Sojitrawalla: Stammt eigentlich dieser wunderbare Ausdruck "Knallpresse" von Ihnen?

    Lückemeier: Nee, den habe ich mal gehört.

    Sojitrawalla: Die "taz" attestierte Ihnen, die beste Kolumne Deutschlands zu schreiben, die "Bild"-Zeitung nennt sie den Kolumnen-Star und für viele Deutsche beginnt der Sonntag mit Ihren "Herzblatt-Geschichten". Was ist denn Ihr Erfolgsgeheimnis?

    Lückemeier: "Ein bisschen schwer zu sagen, vielleicht, weil’s so was nicht gibt. Es hat viele Vorteile: Wer das liest, bekommt das Wichtigste aus eben neun Zeitschriften präsentiert, er spart auch eine Menge Geld, weil er die sonst alle kaufen müsste. Und vielleicht das Allerwichtigste mag sein, dass sich die Menschen auf die "FAZ" berufen können, wenn sie darüber sprechen. Sie brauchen nicht zu lügen, habe ich beim Frisör gelesen, sondern können sagen, das habe ich in der Sonntags-"FAZ" gelesen."

    Sojitrawalla: Ein Leser hat kürzlich in einem Leserbrief geschrieben, es sei intelligenter Quatsch. Wären Sie damit einverstanden?

    Lückemeier: "Absolut!"

    Sojitrawalla: Wie wichtig ist denn Klatsch generell im Journalismus?

    Lückemeier: Klatsch ist irre wichtig, das wissen Sie aus Ihrer Lebenswirklichkeit, ich aus meiner. Auch in meinem Umfeld, im Büro, im Privatleben wird geklatscht. Klatsch ist ein Ferment, das ist etwas Anregendes. Die Menschen brauchen das. Und sehen Sie, das merke ich auch an den Reaktionen. Ganz ernsthafte Menschen wie der Rolf Breuer von der Deutschen Bank liest das oder der frühere Bundespräsident Rau hat‘s gelesen, es lesen Wirtschaftsprüfer, Gewerkschaftssekretärinnen, also für Klatsch interessieren sich alle.

    Sojitrawalla: Und werden Sie eigentlich von den Kollegen bei der FAZ beneidet um diesen Job?

    Lückemeier: Das glaube ich nicht, die wissen ja, mit wie viel Arbeit das verbunden ist und wie viel Zeit es frisst.

    Sojitrawalla: Sie haben ja auch Urlaubsvertreter für Ihre "Herzblatt-Geschichten". Was geben Sie denn den Kollegen mit auf den Weg, was wichtig ist oder was sie beachten müssen beim Verfertigen?

    Lückemeier: Das sind ja intelligente erwachsene Menschen, denen brauche ich jetzt nicht viel zu sagen. Wenn die mich fragen, dann sage ich Ihnen das, was ich Ihnen vorhin gesagt habe. Also überall dort einen Zettel hinkleben, wo man selber lachen muss oder wo man selber stutzt oder sagt ‚Mein Gott ist das blöd‘. Wenn man schwierige Zeiten hat und wenig passiert, dann auch gerne diese Ratgeberbriefe lesen, das ist auch immer voller witziger Dinge und wirklich die Presse von A bis Z lesen, weil manchmal wirklich nur in einem kurzem Abschnitt etwas Witziges sich verbirgt. Und dann liegt die Kunst darin, das alles intelligent miteinander zu verbinden und wichtig ist der Schluss. Sie können einen mittelmäßigen Artikel mit einem guten Schluss retten und sie können einen guten Artikel mit einem schlechten Schluss herabziehen. Also der Schluss ist extrem wichtig. Wenn ich keinen guten Schluss habe, dann gucke ich, wo habe ich irgendwo am Anfang oder in der Mitte die beste Pointe und die ziehe ich dann nach hinten.

    Sojitrawalla: Gibt es denn Reaktionen der Knallpresse auf Ihre Kolumne?

    Lückemeier: Ich war neulich bei der Verleihung der Axel-Springer-Preise und habe dann mit dem Chef der "Bild"-Zeitung, Kai Diekmann gesprochen und mit Mitgliedern der Chefredaktion, die lesen das alle und von anderen Zeitschriften weiß ich das auch.

    Sojitrawalla: Und wie sieht es aus mit den Prominenten selbst?

    Lückemeier: Da kriege ich wenige Reaktionen, die beschweren sich selten. Also Dr. h.c. August Oetker hat mir mal irgend so was Böses vom Anwalt geschickt, aber dazu ist das ja erkennbar viel zu ironisch. Da stören die sich wahrscheinlich nicht dran.

    Sojitrawalla: Hat Peter Lückemeier eigentlich so was wie einen Lieblingspromi?

    Lückemeier: Ja, einige sind schon recht ergiebig. Boris Becker mit seinem etwas heftigen Leben gibt immer guten Stoff. Franz Beckenbauer ist extrem dankbar, weil er sehr viel Stuss redet. Was ich unendlich bedaure ist, dass Rita Süssmuth verschwunden ist aus dem öffentlichen Leben, weil wann immer sie etwas sagte, war es immer unfreiwillig komisch. Die war wirklich wunderbar, die fehlt mir, die fehlt mir eigentlich jede Woche.

    Sojitrawalla: Im neuen Buch kündigen Sie an, das nicht mehr ewig machen zu wollen. Das ist nicht wahr, oder?

    Lückemeier: Ich war fest entschlossen, jetzt mal damit aufzuhören und habe das auch kommuniziert und die Reaktionen waren dann immer so heftig, dass ich noch mit mir ringe, ob man das den Lesern wirklich antun kann, denn viele wären extrem traurig, denen würde der Sonntag irgendwie vermiest sein, wenn sie das nicht hätten.
    Sojitrawalla: Also ein Ende ist erst einmal nicht in Sicht dieser "Herzblatt-Geschichten"?

    Lückemeier: Dieses Jahr halte ich auf jeden Fall durch!