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Die Kohle und das Klima

Andeas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, weist Kritik von Umweltschützern am Bau neuer Kohlekraftwerke zurück. Die Kohle werde für eine Übergangszeit gebraucht, bis ausreichend erneuerbare Energieträger einsatzbereit seien, sagte er.

Moderation: Jochen Spengler | 21.11.2007
    Jochen Spengler: Für den Weltklimarat und die übergroße Mehrzahl der Wissenschaftler ist klar: Der Klimawandel ist vom Menschen verursacht, und er ist nicht umzukehren, bestenfalls abzuschwächen, aber auch nur dann, wenn die Menschheit rasch drastisch gegensteuert. Wenn nicht, dann dürfte die weltweite Durchschnittstemperatur um bis zu 6,4 Grad zunehmen und der Meeresspiegel um bis zu 60 Zentimeter steigen bis Ende des Jahrhunderts. Es wird viele Tote geben, neue Krankheiten, und wir werden den Verlust von vielen Tier- und Pflanzenarten beklagen. Für Deutschland erwarten die Forscher im Winter starke Regenfälle und Überschwemmungen, den Rückgang der Frosttage, im Sommer wird es dagegen heiß werden mit Tagen von 40 Grad Celsius, extremer Trockenheit, aber auch sintflutartigen Regenfällen.

    Am Telefon ist der Präsident des Umweltbundesamtes, Professor Andreas Troge. Guten Morgen, Herr Troge!

    Andreas Troge: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Habe ich mit der Beschreibung gerade übertrieben?

    Troge: Nein, Sie haben nicht übertrieben, denn Sie haben gleichzeitig gesagt, der Bericht des Klimabeirates der UN ist eine Aufforderung zum Handeln. Die vier oder sechs Grad Temperaturerhöhung weltweit bis zum Ende unseres Jahrhunderts sind ja eine Projektion für den Fall, dass wir weltweit uns nicht anstrengen, die Treibhausgasemissionen zu verringern.

    Spengler: Ja, und nach den Alarmismus-Erfahrungen, die wir alle gemacht haben zum Beispiel mit dem Waldsterben, besteht da nicht die Gefahr im Fall des Klimawandels, vorzeitig die Apokalypse auszurufen?

    Troge: Eine Apokalypse ausrufen, glaube ich, das macht im wissenschaftlichen Bereich niemand, im politischen Bereich vielleicht an manchen Stellen. Aber sehen Sie gerade, Herr Spengler, das Beispiel Waldschäden oder Waldsterben ist ja ein treffendes. Hätten wir in den 80er Jahren nicht unseren Ausstoß in Deutschland, in Europa an Stickstoffoxyden und an Schwefeloxyden drastisch verringert, dann hätten wir heute tatsächlich wesentlich weniger Wälder. Uns ist es wenigstens gelungen, die Wälder in ihrem Krankheits- oder Gesundheitszustand, wie man will, zu stabilisieren, aber wir haben heute immer noch Waldschäden. Und das ist genau das Phänomen, das wir beim Klimawandel beobachten: Wir haben enorm lange Bremswege, Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Deshalb gilt der Grundsatz: Jede Tonne Treibhausgase, die wir heute nicht ausstoßen, ist für den Klimaschutz wichtiger als die Tonne, die wir erst morgen nicht ausstoßen.

    Spengler: Nun gibt es kluge Menschen wie Altkanzler Helmut Schmidt, der vor Übertreibungen warnt und sagt, es hat schon immer kältere und wärmere Zeiten auf der Erde gegeben.

    Troge: Ja, das ist richtig, wir müssen nur leider feststellen, dass sich im vergangenen Jahrhundert die Zahl der Warmjahre weltweit erhöht hat. Und wir müssen auch feststellen, dass wir doch seit 1970 einen ganz enormen Anstieg insbesondere beim CO2-Ausstoß hatten, etwa 80 Prozent, wie der Klimabeirat feststellt. Das Problem, das der Altkanzler vermutlich nicht sieht, ist eines, das in uns Menschen liegt. Wir sind erstens viel mehr geworden, wir können nicht einfach wie zur eurasischen Völkerwanderung durch die Gegend ziehen und uns einen neuen Platz suchen, da ist schon jemand. Und das Zweite ist, wir sind in unserem Wohlstand sehr ortsgebunden, und wir haben viel zu verlieren, gerade auf der Nordhalbkugel. Also, einfach aufs Pferd setzen und woanders hingehen würde nicht gehen, und deshalb müssen wir alle gemeinsam handeln.

    Spengler: Wenn es nun aber heißt, vorgestern, von Seiten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das Volk müsse sich vorbereiten und solle Lebensmittelvorräte anlegen - ist das nicht dann doch ein bisschen Panikmache und übertrieben?

    Troge: Na ja, wissen Sie, meine Elterngeneration und die Großeltern, die hatten immer Vorräte, es ist erst in den letzten 30, 40 Jahren üblich, dass man an jedem Punkt zu jeder Zeit alles bekommen kann. Wir sollten immer Vorräte haben und zwar nicht wegen des Klimawandels allein. Wichtig ist aber, dass das Amt für Bevölkerungsschutz, das ja Katastrophenvorsorge und -hilfe organisiert und betreibt, sich schon überlegen muss: Wie ist es beispielsweise bei Starkregen, wenn bestimmte Orte nicht erreichbar sind? Und wir hatten ja auch Hochwässer, die zu Versorgungsproblemen in einzelnen Regionen führten. Also, so ganz aus der Luft gegriffen ist das nicht. Und jeder ist gut beraten, Vorsorge zu betreiben.

    Spengler: Also keine Panikmache.

    Troge: Keine Panik.

    Spengler: Als Bürger ist man dennoch verunsichert. Gestern hat der Lufthansa-Chef der Zeitung mit den großen Buchstaben gesagt, wer die Umwelt liebt, der fliegt. Stimmt das?

    Troge: Wir befinden uns ja im Augenblick in einer politischen Situation kurz vor den Kabinettsbeschlüssen zum Klimaschutz, Stichwort: Wie füllen wir die Meseberger Beschlüsse des Bundeskabinetts von Ende August aus? Und da machen Manche sehr nett anzusehende, lobbyistische Turnübungen.

    Spengler: Und das zählen Sie dazu?

    Troge: Bitte?

    Spengler: Diesen Satz "Wer die Umwelt liebt, der fliegt", den zählen Sie dazu?

    Troge: Das sage ich gleich. Dieser Satz, also, viel falscher kann man es nicht ausdrücken, denn gerade die Luftverkehrsunternehmen haben die größten Zuwächse zu verzeichnen im Verkehrsbereich, etwa fünf Prozent weltweit pro Jahr, und sie fliegen mit Maschinen, die schon vor zehn Jahren wesentlich verbrauchsärmer hätten sein können. Aber international ist der technische Fortschritt weitgehend geblockt worden, gerade von den Luftverkehrsgesellschaften.

    Spengler: Wolfgang Mayrhuber, das ist der Lufthansa-Chef, der sagt, dass in Deutschland derzeit sieben Kohlekraftwerke gebaut würden, von denen eines jährlich so viel Schmutz ausstoße wie die ganze Lufthansaflotte in anderthalb Jahren.

    Troge: Das kann man alles so vergleichen nach dem Motto "Ich bin klein und das ist der große Schuldige an der Sache". Es hilft nur nichts, alle müssen ran. Und bei den Kohlekraftwerken ist es so, wir brauchen für eine Übergangszeit die Kohle, bis die erneuerbaren Energien stärker ausgewachsen sind und vor allen Dingen die Energieeffizienz sich in unseren Produkten, etwa in Elektrogeräten, dann auch stärker verwirklicht. Der entscheidende Punkt ist, dass wir natürlich nicht auf immer da Kohle machen können wie in der Vergangenheit, sondern dass über den Emissionshandel es wesentlich attraktiver wird, nur noch Kraft-Wärme-Kopplung zu machen, also Strom und Wärme gleichzeitig zu erzeugen und damit die fossilen Energieträger zu sparen, die wir für eine separate Wärmeversorgung sonst bräuchten.

    Spengler: Greenpeace hat kritisiert, dass mit den derzeit geplanten Kohleanlagen eben nicht die 40 Prozent CO2-Reduktion, die die Bundesregierung möchte, erreichbar seien, sondern nur 30 Prozent.

    Troge: Ich halte die Greenpeace-Aussage schlichtweg für falsch, schon weil sehr viele Zahlen genannt werden, der eine sagt 40 Kohlekraftwerke, der andere 30, ich kenne 9 Kraftwerke, davon auch einige Gaskraftwerke, die bis 2012 ans Netz gehen sollen. Und jetzt muss man sich Folgendes vorstellen, dass die Zertifikate für den Emissionshandel ab 2013 zumindest an die Stromhersteller nur noch gegen Entgelt vergeben werden, dass zweitens, so fordert es zumindest das Umweltbundesamt, die Zahl der Zertifikate noch einmal um gut 50 Millionen Tonnen ab 2013 niedriger sein wird. Und dann ist es wirtschaftlich für Stromunternehmen gar nicht mehr vernünftig darstellbar, nur noch Kohle zu verheizen, um daraus Strom zu machen.

    Spengler: Die UN, die Vereinten Nationen, haben gestern einen Höchststand beim Ausstoß von CO2 weltweit gemeldet und andererseits gesagt, die Ziele des Kyoto-Klimaprotokolls würden erfüllt. Wie passt das zusammen? Ist Kyoto gescheitert?

    Troge: Das ist ganz einfach. Das Wachstum insbesondere des Kohlendioxydausstoßes findet in Weltgegenden statt, die nicht völkerrechtliche Verpflichtungen nach dem Kyoto-Protokoll haben. Das sind ja die Industriestaaten, die alten Industriestaaten, während das Wachstum in China, in Indien, in Südamerika läuft, die keine verbindliche Zusage gemacht haben, bis 2012 ihre Emissionen zu senken. Deshalb ist es ganz wichtig jetzt in Bali, ein Verhandlungsprogramm zu machen, das auch diese stark wachsenden Staaten stärker einbindet, also auf Sicht dazu verpflichtet, weniger Kohlendioxyd und andere Treibhausgase auszustoßen.

    Spengler: Das heißt, mit Kyoto allein kommen wir nicht mehr weiter.

    Troge: Kyoto läuft aus. Wir werden ein neues Abkommen haben, in dem schrittweise eben auch die sogenannten Schwellenländer und die anderen sich entwickelnden Länder in ein weltweites Regime eintreten.

    Spengler: Professor Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, danke für das Gespräch.

    Troge: Ich danke Ihnen.