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Die Kritiker bitten zum Tee

Im Londoner Bankenviertel, der City, mag sich seit einiger Zeit niemand mehr als Banker zu erkennen geben, und auch Nadelstreifenanzüge sind dem Vernehmen nach kaum noch zu sichten. Statt dessen erobern pünktlich zum G20-Gipfel die Globalisierungskritiker das Finanzviertel - und laden zum Tee.

Von Ruth Rach | 01.04.2009
    Becher, Kuchen, Sammeltassen, ein Picknickteppich, eine Teekanne. Ein kunterbunt gekleidetes Grüppchen von G20-Aktivisten lädt zum Tee. Mitten auf einer Verkehrsinsel, direkt neben der Bank von England im Herzen des Finanzviertels von London.

    Setzen Sie sich doch dazu, sagt ein junger Mann, der sich ein grünes Friedenszeichen aufs Gesicht gemalt hat, zu einem jungen Polizisten. Doch der winkt höflich ab. Im Umkreis der Bank wimmelt es von Sicherheitskräften.

    Ich möchte, dass die Teilnehmer des G20-Gipfels geschickt und kreativ gezwungen werden, über die Dinge zu reden, die wirklich wichtig sind: Klimawandel, Armut, soziale Ungerechtigkeit, sagt Mark, der die Teeparty mitorganisiert hat.

    Die Aktivisten kommen aus verschiedenen ideologischen Ecken, gerade das mache - so sagen sie - ihre Stärke aus. Was sie verbindet sind Werte wie Gemeinschaftlichkeit, Basisdemokratie, Bürgerrechte.

    In Großbritannien werden die Freiheitsrechte immer mehr aufgeweicht, angeblich im Kampf gegen den Terrorismus, sagt Alison, und nippt an ihrer Tasse Tee. Mit der Teeparty will sie auf nette Art und Weise sagen, so geht das nicht weiter.

    Joe und Barnsley, zwei Flaneure mit Fliege und Bowlerhut, eine rosafarbene Scherzausgabe der "Financial Times" unter dem Arm, beißen herzhaft in ihre Teekuchen. Dann legen sie los.

    Wir leben in einem regelrechten Polizeistaat, an jeder Ecke sind Überwachungskameras, auf jedem Bahnhof Schnüffelhunde, und dem nicht genug. Dort drüben hat uns ein Polizist mit einer laufenden Filmkamera im Visier, und sein Kollege macht sich ausführliche Notizen. Jeder Einzelne ist bis auf die Zähne bewaffnet. Dabei sind wir doch nur ein Häufchen harmloser Hippies - was können wir ihnen schon antun? Wir können ihnen höchstens einen Strauß Gänseblümchen um die Ohren werfen.

    Aber auf harmlose Flower Power stellt will sich die Londoner City ganz offensichtlich nicht einstellen.

    Viele Türen und Fenster sind mit Brettern verrammelt, Straßenzüge mit Barrikaden gesichert. Berittene Polizisten patrouillieren durch das Viertel. Banker huschen ungewöhnlich eilig um die Ecken. Bis auf einen korpulenten Herren: Er bleibt beherzt stehen, obwohl sein Krawattenmuster ausgerechnet das Logo der heiß umstrittenen "Bank von Schottland" trägt.

    Auch wenn sie einen friedlichen Tag versprechen, da wird's immer Elemente geben, die solche Anlässe nur dazu missbrauchen, um Randale zu machen, meint der Herr. Und nein, über seine Bank dürfe er sich nicht äußern. Befehl von ganz oben ...

    Die Banker werden doch nur als Sündeböcke vorgeschoben, damit sich die korrupten Politiker hinter ihnen verstecken können, sagt Michael, der sich ganz im Geiste der Teeparty mit einem bizarren Strohhut geschmückt hat.

    Wir sollten alle Institutionen, Banken und Energieversorger verstaatlichen und dezentralisieren, das ist Michaels Antwort auf die Finanzkrise. Die Bürger sollten gemeinschaftlich und auf lokaler Ebene über ihre Belange bestimmen können.

    Die Teeparty geht mit einem Lied zu Ende. Ein Alt 68-er verfolgt das Geschehen mit stiller Melancholie.

    Als ich 14, 15 war, hatten wir Geschichtslehrer, die politisch links standen und uns ein gesundes soziales Bewusstsein vermittelten. Meine Nichten und Neffen hingegen würden nicht im Traum daran denken, zu demonstrieren. Ihnen wird schon in der Schule eingetrichtert, dass es im Leben nur um eines geht: Möglichst viel Profit zu machen und nur die eigenen Interessen zu verfolgen.