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Die Kultur der Kulturrevolution

In Wien wird jetzt die chinesische Kulturrevolution gezeigt, und zwar anhand vieler kleiner Alltagsgegenstände, die damals en vogue waren und auch im Westen begeisterte Abnehmer fanden: Etwa ein Wecker, der jubelnde Rotgardisten zeigt, oder die Schneekugel mit goldener Mao-Büste darin.

Von Beatrix Novy | 23.02.2011
    Den Wecker hätte der Shop des Wiener Museums für Völkerkunde bestimmt schon oft verkaufen können, wenn er ihn dort gäbe. Aber keiner hat bedacht, wie sehr sich das Motiv des Ausstellungsplakats zum Verkaufsschlager eignet: Ein - heute altmodischer - Wecker, dessen runde Oberfläche einen Trupp jubelnder Rotgardisten zeigt; das junge Mädchen ganz vorn schwenkt seine Mao-Bibel im Takt des Sekundenzeigers. Das ganze Objekt schön bunt, vorherrschend im kraftvollen Rot chinesischer Revolutionsdevotionalien. So etwas würde man sich doch gern auf den Schreibtisch stellen, heute, 40 Jahre und mehrere ironische Brechungen danach. War doch schon Ende der 60er, als Ikonografie und Sprache der Kulturrevolution weltweit geläufig waren und auch in Deutschland junge Linke, die ihren Eltern den Führerkult von '33 nicht verziehen, den Mao-Kult zelebrierten, war doch schon damals Mao mehr La Chinoise-Chic als irgendetwas anderes. Dabei kannte noch keiner die Keksdose mit Figuren aus der revolutionären Peking-Oper "Die rote Signallaterne" - auch gut geeignet zum skurrilen Sammelobjekt, so wie der Diaprojektor Marke "Der Sonne zugewandt", oder die herzförmige Mao-Plakette mit dem Schriftzeichen "Loyalität".
    Und sie werden in China gesammelt, diese einst millionenfach unters Volk gebrachten Relikte der Kulturrevolution, es werden sogar neue hinzuerfunden: Zehn Jahre alt ist zum Beispiel die Schneekugel mit goldener Mao-Büste in Kombination mit symbolischen Goldbarren sowie US-Münzen. Aufschrift: "Ein guter Mensch - das ganze Leben Friede".

    Ein nostalgischer Kommerzkult blüht seit Maos 100. Geburtstag vor 17 Jahren, abgehängt von der historischen Realität der Kulturrevolution, der so viele Menschen zum Opfer fielen. An sie erinnert in der Wiener Ausstellung ein Raum, in dem schlagartig alle Buntheit aufhört. Auf herzbeklemmenden Schwarz-Weiß-Fotos sieht man die sogenannten Klassenfeinde, von hassentstellten Jugendlichen niedergehalten und gedemütigt. Was hier im Museum aufeinandertrifft, wird in China sorgsam auseinandergehalten. Die Kulturrevolution, so wohlbekannt ihre Verbrechen sind, ist zumindest kein großes Thema öffentlicher beziehungsweise historisch-wissenschaftlicher Aufarbeitung, keines für runde Tische oder Versöhnungsbemühungen. Es gilt als lebenspraktischer, es bei Deng Xia Pings Diktum zu belassen, demzufolge Mao "zu 70 Prozent gut, zu 30 Prozent schlecht" war.

    So wäre, den Ausstellungsmachern zufolge, eine historisierende, kommentierende Ausstellung wie diese in China selbst kaum denkbar; dass sie ausgerechnet in einem Völkerkundemuseum zu sehen ist, könnte der Sache einen Hautgout geben, aber Völkerkunde-Museen sind fast nirgendwo mehr das, was sie mal waren. Von Stätten der grenzziehenden Beschau exotischer Andersartigkeit sind sie Orte geworden, wo Kulturelles, Globales, Gesellschaftliches zusammen gedacht werden. So sind die Objekte: die Scherenschnitte, Kleidungsstücke, Bleistiftschachteln, Musikinstrumente, Kinderbücher, Porzellanfiguren, Briefumschläge mehrfach lesbar: als in ihrer Absurdität tatsächlich exotische, autonome Kunstwerke; als Fortführungen traditioneller chinesischer Symboliken, wie zum Beispiel bei den Sonnenblumenmotiven; als Zeugnisse dafür, wie Massenwahn und Personenkult über die totale Durchdringung des Alltags funktioniert, bis in seine profansten Winkel hinein; und als Träger historisch bedeutsamer Anekdoten - wie der von den Abermillionen Mao-Plaketten, die in den 60er- und 70er-Jahren an chinesischen Revers steckten und die schließlich Mao selbst zu viel wurden. So dass er, in Anspielung an das teure Aluminium, forderte: Gebt mir meine Flugzeuge wieder.