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"Die Lage ist ernst im Fukushima-Reaktor"

Die Firma Tepco habe die Behörden zu langsam und teilweise falsch über die Vorgänge in Fukushima informiert, sagt Shogo Akagawa von der Zeitung "Nikkei". Verständnis äußerte der Journalist hingegen für die Informationspolitik der japanischen Regierung. Für die Behörden sei es schwierig, die Tsunami-Verluste einzuschätzen.

Shogo Akagawa im Gespräch mit Friedbert Meurer | 14.03.2011
    Friedbert Meurer: Die Bilder aus Japan, die wir in den letzten Tagen gesehen haben, sie sind schrecklich: Schiffe, Autos, Häuser werden wie Spielzeug von den Wellen fortgespült, ein grauenhaftes Szenario. Viele dieser Bilder sind von Amateuren mit Handy-Kameras aufgenommen, aber natürlich stammt auch vieles Material von den japanischen TV-Gesellschaften und Fotografen. Shogo Akagawa arbeitet in Berlin, er ist Deutschlandkorrespondent einer japanischen Tageszeitung, "Nikkei", die immerhin eine stolze Auflage von drei Millionen hat. Guten Tag, Herr Akagawa.

    Shogo Akagawa: Guten Tag.

    Meurer: Wie kommen Ihre Kollegen im Moment mit der Berichterstattung zurande und wie kommen sie an Informationen in Japan?

    Akagawa: Wir haben eine Sonderschicht eingerichtet, ich glaube aus allen japanischen Medien, und japanische Fernsehsender bieten per Internet Live-Übertragungen aller Pressekonferenzen. Und ich beobachte auch alle Pressekonferenzen.

    Meurer: Sie beobachten das von Berlin aus im Internet oder via Satellit. Was sagen Sie denn, Herr Akagawa, zu dem Vorwurf, die Informationspolitik der japanischen Regierung und Behörden sei alles andere als gut?

    Akagawa: Natürlich, die Informationspolitik der japanischen Regierung war nicht hundertprozentig, aber ich kann das gut verstehen. Ich selbst habe das große Erdbeben in 1995 in Kobe überlebt und es ist so schwierig, die gesamten Verluste einzuschätzen, weil normalerweise die Behörden oder die Regierung sammeln von ihren Rathäusern oder von Journalisten oder Polizisten alle Informationen. Aber in den betroffenen Gebiete sind solche Menschen alle weg.

    Meurer: Sie waren als Reporter in Kobe damals dabei, vor 15 Jahren. Welche Bilder haben Sie da noch vor Augen?

    Akagawa: Ja, zerstörte Häuser und einen Notruf von unter einem zerstörten Gebäude, aber ich selbst kann da nichts machen, weil ich gar nichts habe. Ich war vor Ort und höre, was die Leute an Notrufen sagen, ich kann mich noch daran erinnern, und ich finde dazu kein Wort.

    Meurer: Eine Ihrer schlimmsten Erfahrungen in Ihrem Berufsleben?

    Akagawa: Ja, ja. Deswegen kann ich die japanische Informationspolitik verstehen. Aber ich glaube nicht, dass es eine ordentliche Information gab von dem Elektrounternehmen Tepco über das Atomkraftwerk und diesen Unfall gab. Die Informationen gingen hin und her und es scheint so, dass sie nicht richtige und schnelle Informationen an die Behörden weitergegeben haben. Ich glaube, die Lage ist ernst im Fukushima-Reaktor 1 und 2 und wir müssen abwarten und schauen, was da los ist und passiert.

    Meurer: Herr Akagawa, in Berlin lesen Sie natürlich auch deutsche Zeitungen und verfolgen die Medien.

    Akagawa: Ja.

    Meurer: Wie finden Sie unsere Berichterstattung?

    Akagawa: Ich kann gut verstehen, warum die Deutschen so große Angst haben vor den japanischen AKW, weil Deutschland hat schlimme Erfahrungen von Tschernobyl. Natürlich wir haben auch Angst und wir hatten auch immer Angst vor den Atomkraftwerken. Es gab immer Atomgegner in Japan und mit diesem Unfall der Atomkraftwerke wird sicherlich eine Diskussion in Japan provoziert, ob wir weiterhin Atomkraftwerke aufbauen sollen.

    Meurer: Sind Sie der Meinung, dass wir zu viel über die Atomkraftwerke und zu wenig über den Tsunami und die Opfer berichten?

    Akagawa: Es gibt Pressefreiheit und ich gehöre, ich bin ja selbst auch Journalist.

    Meurer: Aber Sie können Ihre Meinung sagen.

    Akagawa: Ja. Aber natürlich ist es ein bisschen übertrieben. Natürlich, die Lage ist ernst, was in Fukushima passiert, aber viele Informationen zeigen, dass die Lage nicht so schlimm wird wie in Tschernobyl. Man muss abwarten und genau anschauen, was passiert, aber ich glaube, die meisten Japaner rechnen nicht, dass zum Beispiel Tokio mit radioaktiven Strahlen betroffen wird. Natürlich gibt es vor Ort bei den Einwohnern eine große Angst, die in der Umgebung der AKW wohnen, aber ich glaube nicht, dass die Leute in Tokio so eine große Angst haben, zum Beispiel meine Eltern.

    Meurer: Das war Shogo Akagawa. Er ist Deutschland-Korrespondent der japanischen Tageszeitung "Nikkei", arbeitet in Berlin. Ich bedanke mich bei Ihnen und auf Wiederhören, Herr Akagawa.

    Akagawa: Auf Wiederhören!