Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Die Landesregierung ignoriert wichtige Teile des Schlichterspruches"

Nach der Schlichtung zu Stuttgart 21 stehen sich die gegnerischen Parteien weiterhin unversöhnlich gegenüber. Alexander Bonde vom Landesvorstand der Grünen Baden-Württemberg verwahrt sich gegen den Vorwurf der "Dagegen-Partei" und - "Da wird mit dem Geld der Menschen völlig unverantwortlich umgegangen."

Alexander Bonde im Gespräch mit Anne Raith | 04.12.2010
    Anne Raith: Ein Schlichterspruch nach wochenlangen Verhandlungen, Marathonsitzungen, seitenweise Zahlen und Fakten – der Spruch war dann ein "Ja, aber", ein "Stuttgart 21 plus", was Gegner und Befürworter nun Gelegenheit gibt, den Spruch jeweils zu ihren Gunsten zu deuten. Keine leichte Aufgabe wartet dabei auf die Grünen, die stets von ihrer Protesthaltung gegen Stuttgart 21 profitiert haben in den Umfragewerten, die mit am Verhandlungstisch saßen und doch nicht das erreichen konnten, was ihnen vorschwebte: ein Baustopp und ein Volksentscheid zum Kopfbahnhof. An diesem Wochenende treffen sich die baden-württembergischen Grünen zur Landesdelegiertenkonferenz in Bruchsal, in Stuttgart wird derweil weiter demonstriert, ohne die Grünen – zumindest vorerst.

    Am Telefon begrüße ich Alexander Bonde, den haushaltspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag und den Landesvorstand der Grünen Baden-Württemberg. Guten Morgen, Herr Bonde!

    Alexander Bonde: Schönen guten Morgen!

    Raith: Herr Bonde, geraten die Grünen heute in Bruchsal nach der Schlichtung selber in einen Stresstest?

    Bonde: Geraten wir nicht, weil die Schlichtung ja eines gezeigt hat: Die Vorbehalte, die wir formuliert haben, was die Leistungsfähigkeit des Milliardenprojekts Stuttgart 21 angeht, wurde von Schlichter Heiner Geißler zu 100 Prozent bestätigt. Und er hat der Bahn klare Aufgaben mitgegeben, was aus seiner Sicht alles notwendig ist, um überhaupt die notwendige Leistungsfähigkeit des Projektes nachzubessern. Und das ist genau die Auseinandersetzung jetzt, wenn wir erleben, dass die Bahn und die Landesregierung diesen Teil des Schlichterspruchs komplett ausblenden, so tun als wäre er nicht passiert, die vom Schlichter eingeforderte Simulation der Leistungsfähigkeit bewusst nach die Landtagswahl verschoben werden soll. Es ist klar: Würde die Bahn all die Auflagen erfüllen, die Heiner Geißler formuliert hat, würde das Projekt deutlich teurer. Es ist klar, dass damit völlig neue Finanzverfahren eingeleitet werden müssten und es ist klar, dass dann die Bürgerinnen und Bürger von Stuttgart und Baden-Württemberg eine Chance bekämen, abzustimmen. Und genau deshalb verweigert sich die Landesregierung.

    Raith: Herr Bonde, in Ihren drei Hauptanliegen aber hat der Schlichter dreimal Nein gesagt: nein zum Baustopp, nein zum Volksentscheid und nein zum Kopfbahnhof. Glauben Sie nicht, dass da viele enttäuscht sind, dass das viele unzufrieden macht?

    Bonde: Das macht viele Leute unzufrieden, zumal ja auch deutlich wurde, dass Heiner Geißler sich da gewunden hat, weil er die zentralen Kritikpunkte ja genau alle akzeptiert hat und auch bewusst offensiv in seinem Schlichterspruch gesagt hat, warum Stuttgart 21 eigentlich nicht funktioniert. Und die Menschen erwarten jetzt, dass die Bahn und die Landesregierung diese Frage auch ernst nehmen. In dem Moment, wo die Auflagen erfüllt werden, ist völlig klar, dass die Kostenobergrenze durch Stuttgart 21 gerissen wird und wir in der Situation sind, dass wir die Menschen entscheiden lassen müssen, ob man bereit ist, so viele Milliarden Euro in einen Bahnhof zu stellen, der nach Auskunft des Schlichters nicht das bringt, was die Bahn behauptet.

    Raith: Sie blicken schon sehr weit voraus, Herr Bonde. Ich möchte noch einmal kurz zurückblicken: Es saßen ja auch Grüne mit am Verhandlungstisch, herausgekommen ist trotzdem ein Kompromiss, mit dem man doch eigentlich nicht zufrieden sein kann?

    Bonde: Nein also, das war von Anfang an klar, dass das ein schwieriger Prozess ist, dass es darum geht, in einer Schlichtung die Fachfragen auf den Tisch zu legen. Da haben wir einen großen Erfolg erzielt, weil die Bahn an jedem Punkt der Kritik eingestehen musste, dass die Gegner recht haben. Es wurde deutlich, dass die Bahn trotz 15 Jahre langer Planung keinerlei Vorstellungen hat, wie wenig leistungsfähig ihr eigener Bahnhof eigentlich werden soll. Aber dass da eine Lösung gefunden wird, wo zum Schluss alle zufrieden rausgehen, das wussten wir alle, dass das unheimlich schwierig würde. Jetzt gibt es einen Schlichterspruch, der eröffnet Optionen, aber in den zentralen Fragen wird er von den Befürwortern ignoriert. Heiner Geißler hat keinerlei Freigabe gegeben einfach weiterzumachen, das ist aber das, was Landesregierung und Bahn daraus machen. Dann ist klar, dass weiter gestritten wird über das Projekt.

    Raith: Er hat sich aber auch nicht für einen Baustopp ausgesprochen. Es wird auch welche geben, hat der Tübinger OB Boris Palmer gesagt, die uns Verrat vorwerfen. Anfang dieser Woche hat er das gesagt im Deutschlandfunk. Ist das keine Sorge, die Sie teilen?

    Bonde: Die Stimmungslage ist natürlich so, dass es viele gibt, die von Anfang an den Schlichtungen nichts zugetraut haben. Und insofern war das ja auch keine einfache Situation für uns, zu versuchen, diesen Schlichtungsprozess auch tatsächlich einig hinzukriegen. Aber die Auseinandersetzung geht natürlich weiter, weil viele Menschen zu Recht sagen, die Bahn macht die Simulation nicht, die Heiner Geißler ihr aufgegeben hat, die Bahn baut einfach weiter, obwohl sie massive bauliche Nachbesserungen vornehmen muss. Und das ist natürlich ein Thema, was weiter diskutiert wird, wo die Leute weiter eine Position haben. Und ich glaube, da muss die Bahn schon jetzt wirklich ernsthaft auf das Anliegen, das auch der Schlichter formuliert hat, eingehen, damit wir da nicht in die nächste Welle des Protests laufen.

    Raith: Das heißt, Herr Bonde, die Grünen stehen weiterhin geschlossen gegen Stuttgart 21. Warum haben Sie sich dann ausdrücklich dagegen entschieden, heute mit protestieren zu gehen?

    Bonde: Es werden viele Grüne heute mit dabei sein in Stuttgart. Aber es ist natürlich gleichzeitig so, Stuttgart 21 ist nicht das einzige Thema, was Baden-Württemberg bewegt. Wir stehen vor einer Landtagswahl, wo es um viele Themen geht. Und da haben wir schon lange für dieses Wochenende unseren Landesparteitag terminiert, wo wir unser Landtagswahlprogramm formulieren. Und insofern wird die Demo heute auf 200 grüne Delegierte verzichten können und trotzdem ein großes Signal sein. Aber natürlich werden sich viele Grüne in und um Stuttgart auch weiter auf den Demonstrationen friedlich dafür einsetzen, dass da eine bessere Lösung für Stuttgart, eine bessere Lösung für den Bahnverkehr und eine bessere Lösung für die Steuerzahler am Ende rauskommt.

    Raith: Fürchten Sie nicht, dass Ihnen dann wieder das Etikett der Dagegen-Partei aufgedrückt wird, wenn Sie weiterhin trotz des Schlichterspruchs dagegen sind?

    Bonde: Wissen Sie, wir sind ja dafür. Wir sind für eine Lösung, wo der Bahnverkehr besser wird. Stuttgart 21 verschlechtert die gesamte Bahnsituation in Baden-Württemberg. Da wird ein Knotenpunkt, ein wichtiger, für viele Menschen im Land kaputtgemacht, da wird ein Engpass draus gemacht. Insofern: Wer uns vorwirft, wir seien dagegen, der hat aus dem Dienstwagen raus überhaupt nicht kapiert, welcher Anschlag auf die Funktionsfähigkeit des Bahnsystems in Baden-Württemberg da mit Milliarden Steuergeld gemacht werden soll.

    Raith: Aber der Schlichterspruch ist ja immerhin das Ergebnis einer Mediation, das kann man ja nicht wegwischen und sagen, jetzt erst recht!

    Bonde: Der Schlichterspruch ist auf dem Tisch, die Landesregierung ignoriert wichtige Teile des Schlichterspruches. Die Landesregierung ignoriert, dass die Auflagen, die dort gemacht worden sind, ihr Projekt völlig über die Kostenobergrenzen jagt. Was soll ich denn anderes tun als weiter darauf aufmerksam machen? Da wird mit dem Geld der Menschen völlig unverantwortlich umgegangen. Und da wird für die Menschen ein schlechterer Bahnverkehr milliardenteuer gebaut. Absurder geht es nicht. Und darauf machen wir aufmerksam. Die Schlichtung hat genau diese Fakten auf den Tisch gebracht und die Landesregierung muss damit jetzt umgehen.

    Raith: Herr Bonde, eine Umfrage hat ergeben, dass 74 Prozent der Befragten sich wünschen, dass eine Schlichtung wie diese, wie die eben erlebte, Schule machen sollte. Sie haben nicht gesagt, dass ein Volksentscheid Schule machen soll.

    Bonde: Sie wurden ja auch nicht gefragt, ob ein Volksentscheid Schule machen soll, also insofern...

    Raith: ...zumindest befürworten sie die Schlichtung und deren Ergebnis.

    Bonde: Also, die Menschen befürworten, dass zum ersten Mal in diesem Projekt offen Fakten auf den Tisch gekommen sind. Wir haben ja in Stuttgart eine Situation, dass selbst die örtlichen Medien über ein Jahrzehnt lang auch auf Weisung von Verlegern und Chefredakteuren ausschließlich positiv über dieses Projekt berichten durften. Da gab es keinerlei Auseinandersetzung anhand der Fakten. Und das hat die Schlichtung aufgebrochen, diskutieren die Menschen. Ich kenne reihenweise Umfragen, die aber auch sagen, die Menschen wollen in so einer wichtigen Frage zum Schluss auch entscheiden können. Wir haben massive Beteiligung auch hier an Unterschriftenkampagnen für einen Bürgerentscheid in Stuttgart vor Jahren schon erlebt, es gibt ein Bedürfnis der Leute an solchen Stellen zum Schluss auch selber mit entscheiden zu können. Und eine Zustimmung zu einer Schlichtung, wo sich der Schlichter nicht getraut hat, diesen Schritt zum Schluss auch noch zu gehen, ist da jetzt nichts, aus dem man ablesen kann, dass die Menschen nicht wollen, im Rahmen der repräsentativen Demokratie an manchen Stellen dann auch das Wort selber ergreifen zu können und zum Schluss auch eine Entscheidung selber ergreifen zu können.

    Raith: Wohin soll denn der grüne Antikurs führen? Zu einer erneuten Schlichtung? Oder will man bis zu den Wahlen durchhalten in der Hoffnung, dass dann die Stimmung kippt?

    Bonde: Es gibt keinen grünen Antikurs, sondern wir setzen uns weiter dafür ein, dass mit dem Geld der Steuerzahler in Baden-Württemberg verantwortlich umgegangen wird, und, wenn man Bahnprojekte macht, es welche sind, die den Bahnverkehr für die Menschen besser und nicht schlechter machen. Wir finden, jetzt muss das passieren, was der Schlichter gesagt hat, nämlich schnell eine Simulation der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Bahnhofes. Und schnell auf den Tisch die von ihm als unabwendbar eingeforderten Verbesserungen, was die kosten. Und dann muss die Wirtschaftlichkeit des Projekts, die ja heute schon wackelig ist, noch mal auf den Tisch. Und dann werden wir ja sehen, ob das überhaupt nach dem Haushaltsrecht überhaupt noch ein wirtschaftliches Projekt ist, wenn zwei zusätzliche Bahngleise gebaut werden, wenn es breitere Bahnhofsgleise und -zugänge gibt, wie der Schlichter fordert, wenn es eine massive Verbesserung der Zufahrtslinie inklusive neuer Tunnel geben soll. Das macht endgültig deutlich, dass das Projekt nicht wirtschaftlich ist, dass der Einsatz der Gelder überhaupt keine zusätzliche Leistung bringt. Wenn das endlich auf dem Tisch ist, dann ist man an dem Punkt, wo man Recht und Gesetz entscheiden muss: Darf eigentlich so ein unwirtschaftliches Projekt bei uns von den Steuerzahlern eingefordert werden?

    Raith: Sagt Alexander Bonde, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag und Mitglied im Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg, wo heute in Bruchsal die Landesdelegiertenkonferenz stattfindet. Herr Bonde, besten Dank für das Gespräch!

    Bonde: Ja, danke Ihnen, frohes Schaffen!