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Die Lange Nacht der historischen Reden

"Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein A..ch" - mit dieser gezielten Provokation hatte sich der Abgeordnete der Grünen, Joschka Fischer, in der Geschichte der Bundestagsreden verewigt. Aber trotz dieser Glanzleistung steht auch er nur in einer langen Reihe von Rednern, die bleibende Eindrücke hinterlassen haben - der ewig knurrige Herbert Wehner und der polternde Franz Josef Strauß.

Von Paul Stänner | 05.03.2011
    Walter Ulbricht, dessen piepsige Stimme ihn eigentlich zum Schweigen verurteilt hätte, und Ludwig Erhard, dessen gefettetes Organ aus tiefer Kehle das Wirtschaftswunder noch im Unterton mitschwingen ließ. Seit jenen frühen Tagen der beiden deutschen Republiken sind zahllose Reden gehalten worden. Da mischte sich Eifer mit Zorn und falsche Empörung traf auf selbstverliebte Eitelkeit. Der eine hielt akademische Vorträge, der andere konnte nur kurze Sätzeformulieren.

    "Ich liebe euch doch alle!", war auch so ein kurzer Satz. Stasi-Minister Erich Mielke rief ihm in die DDR-Volkskammer, aber weil er niemanden mehr zwingen konnte, ihm zu glauben, blieb der Satz eine leere Drohung. Und wurde doch ein Meilenstein der öffentlichen Rede.

    Wenn der Abgeordnete Dirk Niebel einmal erwartungsvoll formulierte: "Jeder von uns, der an dieses Pult tritt, weiß doch im Grunde, was er sagen möchte", dann betrifft dies vielleicht das "was", oft aber nicht das "wie", und ob einer das, was er "möchte" auch "könnte", bleibt dahin gestellt. Viel Glanz, viel Elend an den Rednerpulten.

    "Ich habe gesprochen, ihr habt es gehört, ihr habt es nun - urteilt!" (Aristoteles)

    Peter Ditko, Leiter der Deutschen Rednerschule, die zunächst in Bonn gegründet wurde und heute Filialen in der ehemaligen, in der aktuellen und sogar in der bayerischen Hauptstadt hat:

    "Im Grunde genommen hat sich die Rhetorik kaum geändert. Die klassische Rhetorik ist so geblieben, das liegt einfach daran, weil wir Menschen so geblieben sind."
    "Die Menschen vor 2400 Jahren im antiken Griechenland waren genau genauso korrupt oder genauso erfolgreich oder genauso sexy wie unsere, das heißt das Gehirn hat sich nicht verändert. Und wir wenden uns ja mit Rede an das Gehirn eines oder mehrerer Menschen. Und da sich das nicht geändert hat, haben sich höchstens gewisse Verhaltensweisen geändert in punkto Anreden oder so etwas, aber die Struktur der Reden ist weitgehend so geblieben."

    Literaturhinweis:
    Peter H. Ditko: "Reden in Bildern. Anekdoten-Metaphern-Sinnsprüche", 2010 Books on Demand

    Seit der Antike benutzen erfolgreiche Redner wie Demosthenes, Cicero etc Metaphern und Bildgeschichten, um ihre Reden bunter und verständlicher zu gestalten. Der Grund liegt in der Aufteilung unserer Gehirnbereiche: Der linke Gehirnteil ist eher logisch aufgebaut, denn er prüft die Inhalte auf deren Richtigkeit, der rechte Gehirnteil dagegen arbeitet assoziativ und speichert in Bildern ab. Dieses Buch hilft Ihnen schnell geeignete Bilder zu finden. So haben Sie einen spannenden Redeeinstieg und eine Storyline, an die sich Ihre Zuhörer gerne und leicht erinnern.

    Peter H. Ditko: "Redner für die Freiheit. Demosthenes, Brandt, v. Weizsäcker & Co." 2008, Books on Demand

    Dieses Buch gibt Ihnen Antworten auf die Fragen: Wie hat es ein schlechter Redner geschafft, zum besten Redner der Antike aufzusteigen? Wer zeichnet und was zeichnet die besten Redner unserer Republik aus? Angefangen von den Rednern der Nachkriegszeit Konrad Adenauer und Kurt Schumacher, über Helmut Schmidt, Franz-Josef Strauss, Willy Brandt, Friedrich v. Weizsäcker, Joschka Fischer,Oskar Lafontaine, Rainer Barzel,Gregor Gysi und viele mehr. Wie ist es um den politischen Rednernachwuchs bestellt?Und warum waren die Deutschen in der Vergangenheit eher ein Volk der Dichter und Denker anstatt der Redner

    Wilfried Stroh, emeritierter Professor für Klassische Philosophie in München,
    Spezialgebiet Rhetorik:

    "Ob Barack Obama, Willy Brandt oder Joschka Fischer - brillante Redner gewinnen Herzen und
    Mehrheiten. Ihren Erfolg haben sie nicht zuletzt den alten Griechen und Römern zu verdanken: In
    der Antike, wo Rede eine Leidenschaft war, wurde die Rhetorik zur lernbaren Kunst entwickelt.
    Wilfried Stroh erzählt deren Geschichte und zeigt, was die Macht der Rede bewegen kann."

    Literaturhinweis:
    Wilfried Stroh: "Die Macht der Rede. Eine kleine Geschichte der Rhetorik im alten Griechenland und Rom." 2011, List TB

    "O Rede, die du Herzen lenkst, die Welt regierst!" So schwärmt ein antiker Tragiker. Das geniale Volk der Griechen hat die Kunst der Rhetorik geradezu erfunden. Die Römer haben sie perfektioniert, und die Neuzeit hat fast nur noch ein paar neue Modewörter für längst bekannte Techniken erfunden. Wilfried Stroh erzählt die Geschichte der Redekunst in ihrer Hochzeit, der Antike. Er berichtet von berühmten Rednern wie Gorgias oder Lysias und besonders von Cicero, an dem sich alle späteren messen mussten. Er beschreibt den Streit zwischen Isokrates und Platon, den Vertretern des rhetorischen und des philosophischen Bildungsideals, und erzählt von Demosthenes, der trotz einer Sprechbehinderung Athens größter Redner wurde. Aus den Biographien dieser Männer und der Interpretation ihrer Reden entsteht ein faszinierendes Bild der antiken Lebenswelt. Nach der Lektüre dieses wunderbaren Buches wissen wir viel mehr über die alten Griechen und Römer - und wir sind mit Sicherheit bessere Redner geworden.

    Artikel "Warum gibt es die lateinische Sprache, aber kein Land, in dem nur Latein gesprochen wird?"


    Lily Tonger-Erk, Germanistin an der Universität Tübingen:

    "Schon in der Gründungszeit der Rhetorik entwarfen Cicero und Quintilian den idealen Redner als einen vir bonus dicendi peritus, als einen redegewandten Ehrenmann, der von seiner Herkunft her ein adliger Mann war, der eine bestimmte Ausbildung genossen hat und Redepraxis hat...wenn all das zusammen kam, dann hatte man sozusagen das Material für einen guten Redner, für einen idealen Redner zusammen. Nicht rhetorikfähig dagegen waren Frauen, Sklaven und Kinder."

    "In den antiken Rhetoriklehren wird mit einem Ausgrenzungsverfahren gearbeitet, was die männlich Rede als eine gute Rede darstellt und abgrenzt gegen Formen der nicht guten Rede, gegen die weibliche, weibische, effeminierte, kreischende, unfreie oder barbarische Rede."

    Literaturhinweis:
    "Einspruch! Reden von Frauen". Hrsg. v. Martina Wagner-Egelhaaf u. Lily Tonger-Erk, 2011, Reclam, Ditzingen

    Man(n) glaubt es vielleicht nicht, aber es gibt sie doch, die großen historischen Worte von Frauen, gerichtet an die Gemeinschaft, den Staat, die Herrschaft. Worte, die überzeugen, die zur Tat aufrufen, die unvergessen sind. "Und nun - verurteilen Sie mich!" sprach Rosa Luxemburg, angeklagt wegen "Volksverhetzung", weil sie sich gegen die allgemeine Kriegseuphorie 1914 gewandt hatte. "Genossen, eure Veranstaltungen sind unerträglich!" schleuderte Helke Sander anno 68 dem ganzen männlich bornierten SDS entgegen, und Waltraud Schoppe sah sich einem tobenden Bundestag gegenüber, als sie es wagte, von Vergewaltigung in der Ehe zu sprechen. Der Band versammelt die berühmtesten Reden von Frauen aus der deutschen Geschichte und beweist, dass die traditionell immer männlich konnotierte Redekunst längst dabei ist, von Frauen erobert zu werden. - Mit einem Geleitwort von Renate Künast.