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Die Laufzeitverlängerung und der Bundesrat

Eine knappe Mehrheit im Bundesrat geht davon aus, dass die Bundesregierung die Verlängerung der Atommeilerlaufzeiten gar nicht ohne die Länderkammer beschließen darf. Ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.

Von Christel Blanke | 07.09.2010
    Es ist erstaunlich: Ausgerechnet die Bundesländer, die normalerweise lautstark ihr Mitspracherecht einklagen, wollen in diesem Fall nicht gefragt werden. Allen voran Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind der Meinung, dass die Bundesregierung die Laufzeiten der 17 deutschen Atomkraftwerke ohne Zustimmung des Bundesrates verlängern kann. Der Grund dafür ist einfach: alle drei befürworten längere Laufzeiten und deren Ablehnung in der Länderkammer gilt als sicher.

    Seit Monaten tobt ein Streit um die Frage: Bundesratsbeteiligung ja oder nein? Befürworter und Gegner haben Gutachten in Auftrag gegeben, und wie so oft, finden beide Seiten darin ihre jeweilige Position bestätigt.

    Für die Bundesregierung haben Juristen im Innen- und Justizministerium die Frage untersucht. Deren Expertise wurde bisher nicht veröffentlicht. Es heißt aber, die Experten sind der Auffassung, moderate Laufzeitverlängerungen - und dazu sollen die jetzt durchschnittlich zwölf Jahre gehören - könne die Bundesregierung im Alleingang beschließen. Der Staatsrechtler Rupert Scholz kommt zu dem Schluss, dass jede Laufzeitverlängerung ohne den Bundesrat möglich wäre. Die Länder hätten zugestimmt, als der Bund ihnen die Aufgabe übertragen habe, die Aufsicht über die Atomkraftwerke auszuüben. Wenn dann jetzt die Modalitäten geändert würden, ändere sich in der Sache im Grunde nichts, so Scholz:

    "Wenn eine den Ländern übertragene Aufgabe qualitativ verändert wird, also im Grunde eine im Wesentlichen andere Aufgabe wird, dann bedarf es natürlich der Zustimmung des Bundesrates. Dann trägt die alte Zustimmung nicht. Wenn es aber nur um sogenannte quantitative Veränderungen geht, zum Beispiel Zeitverlängerungen, Ausstattungsveränderungen bei den Behörden der Länder und so weiter., ist keine neue Zustimmung des Bundesrates nötig."

    Das sei auch bei der Atomausstiegsvereinbarung so gewesen, so Scholz. Auch die damalige rot-grüne Bundesregierung habe den Bundesrat nicht gefragt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, meint allerdings, dass der Bundesrat auch damals hätte zustimmen müssen und dass aus der damaligen Entscheidung keine Schlüsse für die heutige Situation gezogen werden könnten. Seiner Einschätzung nach handelt es sich bei der Laufzeitverlängerung um eine wesentliche Änderung des Atomrechtes. Das meinen auch die SPD-geführten Bundesländer. Die rheinland-pfälzische Landesregierung beruft sich in ihrer Argumentation auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten. Umweltministerin Margit Conrad bewertet längere Laufzeiten als wesentliche Veränderung des Atomgesetzes:

    "Dies ist nicht daran geknüpft, ob es sich nur um eine marginale oder um eine längere Laufzeit handele, es wäre ein verstärkendes Argument, aber es geht um die grundsätzliche Frage, dass hier bei einem Gesetz, welches dieses Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelt, bei einer wesentlichen Änderung, die zu beteiligen sind."

    Rheinland-Pfalz will zusammen mit andern Ländern, der SPD und den Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, sollte die Bundesregierung den Bundesrat übergehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das gelassen:

    "Wir glauben, dass dieses Gesetz zustimmungsfrei gemacht werden kann. Wir haben ja auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes gehabt im Zusammenhang mit dem Luftsicherheitsgesetz, wo es um vergleichbare Fragen ging."

    Die Änderungen beim Luftsicherheitsgesetz führten zu beträchtlichen Mehrbelastungen für die Länder. Unter anderem, weil die Kontrollen an den Flughäfen verschärft wurden. Trotzdem sahen die Verfassungsrichter keine Notwendigkeit für eine Zustimmung des Bundesrates. Die Begründung war die gleiche wie die, die Rupert Scholz mit Blick auf die Atomkraftwerke anführt.