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Die Leiden des jungen Goethe

Keine Biografie, sondern schlicht und einfach ein unterhaltsames Liebesmelodram - Philipp Stölzl erzählt in "Goethe" aus den Jugendjahren des Dichterfürsten mit Alexander Fehling, Miriam Stein und Moritz Bleibtreu in den Hauptrollen.

Von Josef Schnelle | 14.10.2010
    Vergessen Sie Goethe. Die Hauptfigur heißt zwar Johann Goethe, doch mit dem Leben des deutschen Dichterfürsten hat der Film wenig zu tun. Und doch berührt er einige Stationen im Leben des 22-jährigen Dichters vor seinem Durchbruch mit "Die Leiden des jungen Werther" 1774. Goethe als Referendar beim Reichskammergericht in Wetzlar. Er muss Aktenberge abarbeiten und wird von seinem Vorgesetzten, dem Gerichtsrat Kestner, gemobbt.

    Doch seine heimliche Liebe gilt der Dichtkunst. Ein Drama hat er schon verfasst, den "Götz von Berlichingen". Es ist vom Verlag abgelehnt worden. Nun hat er sich dem Wunsch des Vaters gefügt, eine ordentliche Karriere zu beginnen. Doch auf Zechtour mit seinen Freunden erfasst ihn ein anderes Gefühl, das die Mitzecher schon ein wenig ironisch "Sturm und Trank" nennen. Sein "Sturm und Drang" führt ihn zunächst zu Charlotte Buff, die er auf einem Ball kennenlernt und in die er sich sofort unsterblich verliebt. Das Prinzip des Films wird hier schon klar. Er nimmt Elemente des Werther-Briefromans und fügt sie in einen leicht fiktionalisierten Alltag des jungen Dichters ein. Dann spitzt er die Handlung zu einem Liebesmelodram im Stile von "Shakespeare in Love" von John Madden. Nach einigen filmischen Verwicklungen gönnt der Film seinem Werther/Goethe sogar fleischliche Wonnen im Regen.

    Lotte wirkt in dieser wie auch in vielen anderen Szenen, keineswegs wie eine junge Frau aus dem 18. Jahrhundert. Das ist das dritte Element der filmischen Erzählung. Der Film spielt zwar in den historischen Dekors von 1774, ist aber eine Geschichte von Liebe und Leidenschaft mit modern geprägten Figuren. Sie sprechen zumeist heutige Alltagssprache und nicht den gestelzten Jargon der Zeit. Regisseur Phillip Stölzl wagte keinen Rekonstruktionsversuch einer vergangenen Zeit wie etwa Stanley Kubrick mit seinem Meisterwerk "Barry Lyndon". Daran sollte man ihn also auch nicht messen. Zwar bewegen sich die Kutschen durch zeitgenössischen Morast, doch die Geschichte ist ein schlichtes Liebesmelodram.

    Als solches funktioniert es ziemlich gut, was auch an den hervorragenden Darstellern Alexander Fehling, Miriam Stein und Moritz Bleibtreu liegt. Bleibtreu spielt den Schurken, den Stolperstein der jungen Liebe, den Gerichtsrat Kestner, der schon lange vorhat, sich mit Lotte zu verloben, sich aber nicht traut, außerdem Goethes Vorgesetzter in der Kanzlei ist. Mit der Zeit hat man sich doch so sehr angefreundet, dass Johann seinem Chef Liebestipps gibt. Er weiß nicht, dass er seinen Konkurrenten berät.

    Im Unterschied zu vielen Filmen über die Entstehung von berühmter Literatur hält sich Stölzl wohltuend zurück mit solchen Originalzitaten aus dem Werk Goethes. Wir schauen dem Dichter auch nicht ständig über die Schulter beim Verfassen von Wortkunstwerken. Schließlich geht es vor allem um große Gefühle und auch darum, wie schnell sie Makulatur sein können. Auch dieser Goethe/Werther bekommt seine Lotte nicht. Stattdessen erhält Goethe weit weniger vergänglichen Lohn. Seine literarische Verarbeitung der Erlebnisse wird - wie tatsächlich ja geschehen - ein sensationeller Erfolg. Man reißt einander das Buch aus den Händen.

    Phillip Stölzl ist ein sehr der Gegenwart zugewandter Goethe-Film gelungen, den man keinesfalls nach Details absuchen sollte, die weder in Goethes Leben noch im Werther-Stoff angelegt sind. Sonst verdirbt man sich den Spaß. Und vielleicht hat Stölzl ja mehr vom echten jungen Goethe getroffen, als man auf den ersten Blick ahnt.
    Der echte Gerichtsrat Johann Christian Kestner beschrieb ihn in seinem Tagebuch so:

    "Er besitzt, was man Genie nennt, und eine ganz außerordentliche Einbildungskraft. Er ist in seinen Affekten heftig. Er ist bizarr und hat in seinem Betragen und seinem Äußerlichen Verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte. Aber bei Kindern und bei Frauenzimmern ist er doch wohl angeschrieben. Er tut, was ihm gefällt ohne sich darum zu kümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist oder ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhasst."