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Die letzten Romantiker

Musik kann ein guter Weg sein, um in die Psyche eines unbekannten Landes vorzudringen. Die Bossa Nova, die in den sechziger Jahren auf eine Weltumlaufbahn gingen, war in ästhetischer Hinsicht seelenverwandt mit der Nouvelle Vague der Franzosen. Wenn der Sänger und Gitarrist João Gilberto der Hauptdarsteller dieser neuen Musik war, könnte man Antonio Carlos Jobim als den Regisseur bezeichnen.

Von Karl Lippegaus | 27.01.2007
    Von Jobim, dem nach Villa-Lobos wichtigsten Komponisten Brasiliens im 20. Jahrhundert, kamen die meisten der heute weltbekannten Songs. Alles begann 1958, als ein damals unbekannter Gitarrist namens João Gilberto "Chega de Saudade" aufnahm. Diese zwei Minuten lösten eine musikalische Revolution aus. Man war auf eine echte Goldmine gestoßen, und die Hits von Jobim nahmen kein Ende. Die elegante Leichtigkeit und bittersüße Melancholie verzauberten jeden, der sie hörte. Und bald hatte jedes Land der westlichen Hemisphäre seine eigenen Versionen der Bossa Nova-Hits.

    Verblüffend ist in der Rückschau, dass diese Musik noch vierzig Jahre danach so frisch und intelligent klingt, in den Originalaufnahmen versteht sich. Die Lange Nacht präsentiert neben den Klassikern zahlreiche längst vergriffene Raritäten, bei denen Sie oft denken werden: das kenne ich doch - aber ich hatte vergessen, dass es so klingt! Karl Lippegaus hat zahlreiche brasilianische Musiker interviewt - unter ihnen Künstler wie Caetano Veloso, Marisa Monte, Vinicius Cantuaria, Chico Buarque und Egberto Gismonti - sowie Musiker aus dem Jobim-Clan, zum Beispiel seinen Sohn Paulo und den legendären Schlagzeuger Paulo Braga.

    2005 war das Jahr Brasiliens in Frankreich, gefeiert durch eine große Ausstellung in der Cité de la Musique in Paris. "Sei ein Marginaler, sei ein Held" schrieb der Künstler Helio Oiticica (1937-1980) als Motto auf eine Flagge. Die Musica Popular Brasileira (MPB) setzte diesen Satz in Töne um. "Das brasilianische Volk pflegt zu seiner Musik ein so intimes Verhältnis, dass sie seine nationale Identität berührt", schreibt Le Monde. Die Bossa Nova entstand, als Präsident Kubitschek die Hauptstadt Brasilia erbauen ließ und Marcel Carnés Film "Orfeo Negro" der Welt ungeahnte Schönheiten enthüllte. Am 25. Januar 2007 wäre Antonio Carlos Brasileiro de Almeida Jobim achtzig Jahre alt geworden.
    "Ich finde, dass sich die Seele in den Herzen der Menschen verlieren will; sie will in ein anderes Land wandern, um ihre Ursprünge und ihre Muttersprache zu verlieren; sie will ihre Spuren verwischen." (Tom Jobim)

    Auszug aus dem Manuskript:
    Man nannte ihn den brasilianischen Gershwin. Sein Song "The Girl from Ipanema" gehört zu den zehn am meisten gespielten Songs aller Zeiten. Schon der Name, dieser Klang, gibt es einen schöneren Namen für einen Komponisten, der über Brasilien Musik schrieb? Antonio Carlos Brasileiro de Almeida Jobim - von seinen Freunden in der ganzen Welt kurz Tom Jobim genannt - hat von 1927 bis 1994 gelebt. Er kam vor 80 Jahren, am 25.Januar 1927 in Rio zur Welt, im nördlichen Stadtteil Tijuca. Als der Junge ein Jahr alt war, zog die Familie ins südlich gelegene, vornehmere Ipanema, eine Gegend, die er sehr liebte und der er zeitlebens sehr verbunden blieb. Eine Straße dort trägt heute seinen Namen. Als Tom Jobim mit 67 Jahren starb, wurde in Brasilien eine dreitägige Staatstrauer angeordnet und der größte Flughafen Rios trägt heute ebenfalls seinen Namen.

    Carlos Drummond de Andrade, Wo wir uns kürzlich noch unterhielten (1945)
    "Da gibt es dieses alte
    Klavier, es gehörte
    irgendeiner Großmutter, verstorben
    in einem anderen Jahrhundert.
    Und es spielt und es weint und es singt
    Ganz allein,
    aber widerborstig weigert es sich, den geringsten
    Akkord zuzulassen, wenn
    die Hand eines jungen Mädchens es verletzt.
    Ach verwirrtes Klavier, sanftmütiger Jesus!
    Seine Familie ist tot,
    sein Vergnügen begraben,
    sein Schicksal beschlossen,
    und ein Anschlag kommt grausam in der schweren Stunde des Schlafs.
    Ist es eine Ratte?
    Der Wind?
    Wir gehen die Treppe hinunter, betrachten ängstlich
    die Umrisse in der Dunkelheit, und beenden seine Klage.
    Aber man vergisst. Der Tag verzeiht.
    Unser Wille ist zu lieben, das Klavier hat seinen Platz
    in unserer Liebe. Armes Klavier, die Zeit
    Ist darüber hinweg gegangen, Finger haben ihre Spuren
    Auf dem Lack hinterlassen. Wald aus Fingern,
    Berge von Musik und Walzern und Flüstern
    und Sandalen aus einer anderen Welt auf dem stumpf schimmernden Parkett.
    Respektieren wir seine Phantome, Friede den Greisen.
    Liebe den Greisen. Spiel, Klavier, auch verstimmt.
    Es flüstert. Die dicke Staubschicht lichtet sich,
    und Spinnen, geflügelte und gefleckte Kreaturen, unwürdig,
    zirkulieren in den Ritzen der sarkastischen Materie, unaufhaltsam.
    So trifft unsere Zärtlichkeit
    auf die Bitterkeit, und resigniert.
    "(Quelle: Carlos Drummond de Andrade, La machine du monde et d'autres poemes. Übs. Didier Lamaison. Deutsche Übers.: Karl Lippegaus; Gallimard, Paris, 1990. Neuausgabe 2005. ISBN 2-07-031884-2)

    Auszug aus dem Manuskript:
    Jobim 1987 im Interview mit Bob Blumenthal: "Bossa ist ein Buckel. Das bossa in bossa nova heißt nicht einfach Boss wie im englischen Slang. Es ist auch ein Auswuchs, ein Anschwellen im Kopf, eine gesteigerte Hirnfunktion. In Brasilien sagen wir, ein Typ hat eine bossa für etwas, wie in 'John hat eine Bossa für Musik' - ein Flair, eine Gabe, das was man Seele nennen könnte. Bossa nova war das neue Flair, unsere Nouvelle Vague."
    Die offizielle Homepage von "Tom" Jobim
    The Brazilian Sound und Antonio Carlos Jobim
    Wikipedia: Antonio Carlos Jobim

    Am 8. Dezember 1994 verstarb in New York einer der ganz großen Songschreiber, Komponisten und Interpreten der brasilianischen Musik: Antônio Carlos Brasileiro de Almeida Jobim. Von amerikanischen Musikjournalisten wird Tom Jobim bis in die heutigen Tage hinein regelmäßig in einem Atemzug mit den ganz großen Autoren des "Great American Songbook" - George Gershwin, Cole Porter, Irving Berlin etc. - genannt. In Brasilien verordnete der damalige Präsident bei Bekanntwerden von Jobims Ableben drei Tage Staatstrauer und in Toms Heimatstadt Rio de Janeiro benannte man den internationalen Flughafen nach ihm um.
    Weiterlesen:
    JazzEcho: Antonio Carlos Jobim
    Ohne den Einen wäre die Bossa Nova wahrscheinlich gar nicht erst entstanden und ohne den Anderen vielleicht nie in der ganzen Welt so populär geworden. Der Komponist, Pianist, Gitarrist und gelegentliche Sänger Antônio Carlos "Tom" Jobim schuf (oft gemeinsam mit dem poetischen Texter Vinícius de Moraes) die meisten Klassiker dieses musikalischen Genres, das anfangs noch unter dem etwas irreführenden Etikett "Samba-Jazz" angepriesen wurde.
    Weiterlesen: JazzEcho: Stan Getz & Antonio Carlos Jobim - Their Greatest Hits

    Auszug aus dem Manuskript:
    Die Sängerin Nara Leao war die Muse der Bossa Nova: "Die Bossa Nova kam bei mir zur Welt. In dem Apartment, wo ich mit meinen Eltern lebte, Nummer 2856, Edificio des Champs-Elysées, in Copacabana mit Blick aufs Meer. Alle Künstler der Musik, aus der die Bossa Nova wurde, kamen bei mir zusammen, 1957, als ich gerade mal fünfzehn Jahre alt war. Ich muss hinzufügen: meine Eltern waren sehr liberal. Ich war sehr unabhängig erzogen worden: ich konnte machen, was ich wollte und empfangen, wen ich wollte, ohne Probleme."
    Das berühmte Apartment nahm den gesamten dritten Stock des Palacio Champs-Elysées in der Avenida Atlantica direkt am Meer ein, über den für die Fünfzigerjahre typischen Mosaiken und Säulen. Das Wohnzimmer erstreckte sich über neunzig Quadratmeter, mit riesigen Fenstern, die aufs Meer hinausgingen. Es bestand also kein Grund, leise zu musizieren, "um die Nachbarn nicht zu stören", wie es später hieß - vor allem, weil es gar keine Nachbarn gab: Das Eckgrundstück daneben war damals noch unbebaut.
    Nara Leao: "Und so kamen nach und nach alle bei uns zuhause zusammen. Eine ganze rapaziada (eine Bande von jungen Leuten). Es war total verrückt: die Leute stießen die Tür auf, setzten sich hin, fingen an Musik zu machen und manchmal kam es vor, dass wir drei Tage und drei Nächte durchfeierten, ohne eine Minute zu schlafen.

    Meine Eltern kamen und gingen, als sei nichts gewesen. Sie sagten nur, wenn sie fortgingen: 'Ich gehe zur Arbeit' und wenn sie zurückkamen: "Ich komme von der Arbeit'! Das war alles.
    Und wir, wir machten weiter Musik, unterhielten uns und lachten viel. Wenn wir Hunger hatten (ob um drei Uhr nachmittags oder um fünf Uhr morgens), machten wir eine Riesenportion macaronada, ein Nudelgericht. Das verschlangen wir dann, und sofort stürzten wir uns wieder in die Musik.

    Es war ein offenes Haus, das sag ich dir! Sobald jemand durch die Tür kam, setzte er sich ans Klavier. Oder er schnappte sich die Gitarre und spielte, was ihm in den Sinn kam: Klassik, Samba, Jazz ... Wir mischten alle Genres, alles war möglich. So ging das die ganze Zeit: Musik, Musik, Musik. Ohne Unterbrechung. Die Leute, die mich besuchten, waren Joao Gilberto, Vinicius de Moraes, Tom Jobim, Baden Powell, Oscar Castro Neves (der mir übrigens alle meine Gitarren kaputt gemacht hat, so verrückt, aufgeregt, nervös war er) ... "

    Nara Leão fand zu Lebzeiten weitaus mehr Anerkennung in Brasilien als in den USA und Europa. Heute gilt sie neben Elis Regina und Maria Bethânia als eine der herausragenden brasilianischen Sängerinnen der 60er und 70er Jahre. Leãos Aufnahmen erschlossen sich mit der Renaissance brasilianischer Popmusik in den 90ern auch einem größeren Publikum in Europa. Postum wurde ihrer Schlüsselrolle, nicht nur innerhalb der Bossa Nova, sondern auch bei der darauf folgenden Tropicália-Bewegung zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet. Weiterlesen: Brazilian Jazz

    Literaturtipps:

    Isabelle Leymarie
    Du Tango Au Reggae
    Musiques noires d'Amerique latine et des Caraibes
    Flammarion, Paris, 1996
    Blaise Cendrars
    Brasilien - Eine Begegnung
    Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin Induni
    Lenos Verlag, Basel, 2001
    Walther L. Bernecker u.a.
    Eine kleine Geschichte Brasiliens
    Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2000
    Claus Schreiner
    Musica Popular Brasileira
    Tropical Music, Darmstadt 1978
    ISBN 10-3924777004
    Ruy Castro
    Bossa Nova
    The Sound of Ipanema
    Eine Geschichte der brasilianischen Musik
    Aus dem Brasilianischen von Nikolai von Schweder-Schreiner
    Hannibal Verlag, 2006
    ISBN 3-85445-249-7
    Carlos Drummond de Andrade
    La machine du monde et d'autres poemes
    Gallimard, Paris, 1990. Neuausgabe 2005. ISBN 2-07-031884-2
    Joao Guimaraes Rosa
    Corps de Ballet
    Romanzyklus
    Aus dem Brasilianischen von Curt Meyer-Clason
    Kiepenheuer & Witsch, Köln - Berlin, 1966
    Jorge Amado
    La Boutique aux Miracles (Tenda dos Milagres)
    Le Livre de Poche, Paris, 1976
    Zé do Rock
    Deutsch Gutt Sonst Geld Zuruck
    A Siegfriedsche und Kauderdeutsche Ler- und Textbuk
    Kunstmann, München 2002

    Auszug aus dem Manuskript:
    Der Sohn Paulo Jobim: "Ja, ich denke, Joao Gilberto ist die wichtigste Figur in der Geschichte der Bossa Nova. Als Sänger und Interpret, mit seinem besonderen Gefühl für Rhythmus. Und in der Kombination aus den Liedern meines Vaters und wie er sie sang lässt sich erkennen, wie ökonomisch die Bossa Nova ist. Man kriegt wirklich das Beste für sein Geld (lacht). Da sind diese wenigen Töne, aber dahinter erkennt man eine ganze Art zu leben, eine spezielle Art, die Dinge zu sehen. "
    Die offizielle Homepage von Joao Gilberto
    Auszug aus dem Manuskript:
    Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er am 6.April 1994 in der Carnegie Hall. Im selben Herbst wollte der Saxofonist Joe Henderson eine Hommage an Jobim aufnehmen, das Album "Double Rainbow". Am Tag, als die Aufnahmen beginnen sollten, an denen Jobim persönlich teilnehmen wollte, kam ein Anruf, Jobim sei im Flugzeug nach New York, um seinen Arzt aufzusuchen. Er war sehr aktiv gewesen und hatte sich in viele neue Aktivitäten gestürzt hatte; er war mit seiner Family Band auf Tournee gewesen, er war im Begriff, ein Buch über den Regenwald und seine Autobiographie zu schreiben. Am 8.Dezember 1994 starb Tom Jobim in New York an Herzversagen im Alter von 67 Jahren.
    Gershwin und Jobim waren beide Pianisten, die ihre Songs häufig selbst sangen. Beide waren populäre Musiker in einem klassischen Kontext, und beide hatten großes Interesse am Jazz. Sie schufen ein musikalisches Material, das besonders die Jazzmusiker stark ansprach. Gershwin und Jobim ließen sich vom Jazz inspirieren, aber sie spielten selber keinen Jazz. In den USA bezeichnete man die Bossa Nova anfangs auch als Jazz Samba. Jobims Interesse gehörte besonders dem Cool Jazz von der amerikanischen Westküste, der Musik Gerry Mulligans, Bud Shanks oder Chet Bakers. Nie aber gab seine Musik ihren ganz speziellen Charakter auf, auch wenn er mit dem Cool Jazz flirtete.
    Carlos Drummond de Andrade, Amerika (1945)
    "Amerika
    Ich bin nur ein Mensch.
    Ein ganz kleiner Mann am Ufer des Flusses.
    Ich sehe die Wasser fließen und verstehe überhaupt nichts mehr.
    Ich weiß nicht, dass es Nacht ist, weil man mich vom Haus aus ruft.
    Ich hatte gesehen, dass es Tag war, weil die Hähne gerufen hatten.
    Wie könnte ich dich verstehen, Amerika?
    Das ist ganz schwierig.
    Ich fahre mit der Hand über diesen Kopf, der weiß wird.
    Das Gesicht spiegelt eine gewisse Erfahrung wieder.
    Die Hand hat so viel geschrieben, und zählen kann sie nicht!
    Der Mund weiß es auch nicht.
    Die Augen wissen es - und schweigen.
    Ach, Amerika - es bleibt nur das Seufzen.
    Ein sanftes Seufzen, das sich in Luft auflösen wird.
    Ich erinnere mich an einige Menschen, die mich begleiteten
    Und die mich heute nicht mehr begleiten.
    Zwecklos sie zu rufen: der Wind, die Krankheiten, einfach die Zeit
    Haben diese alten Freunde aus den kleinen Friedhöfen im Landesinnern hinweg geblasen,
    versteckt hinter den Kordilleren oder im Meer.
    Sie würden mir helfen, Amerika, in diesem Augenblick
    Der schüchternen verliebten Konversation.
    Ach, was haben Kordilleren und Ozeane hier zu suchen!
    Ich bin so klein (ich bin nur ein Mensch)
    Und kenne wirklich nichts als das Land meiner Geburt,
    zwei oder drei Rinder, den Feldweg,
    einige vor langer Zeit gelesene Verse, einige Gesichter, über die ich gegrübelt habe.
    Ich erzähle nichts, weder über die Luft noch übers Wasser, weder über das Mineralische noch über das Blatt
    Ich weiß überhaupt nichts über die menschliche Natur
    Und ich glaube, ich sollte gar nicht reden über diese Dinge.
    Eine Straße zweigt von Itabira ab und endet in meinem Herzen.
    Durch diese Straße gehen meine Eltern, meine Onkels, die Negerin, die mich großzog.
    Vorbei an einer Schule - der Erdkarte - die Welt in allen Farben.
    Ich weiß von malvenfarbenen Ländern, weißen Inseln, blauen Hügeln.
    Die Erde ist mehr farbig als rund, die Namen schreiben sich
    In gelb ein, in rot, in schwarz, vor dem grauen Hintergrund der Kindheit.
    Amerika, wie viele Male bin ich in deinen Farben gereist.
    Immer sonderte ich mich ab, die Rückkehr war nicht leicht.
    Das Schiff war erstklassig.
    Wie es sich drehte!
    Die Farben radierten sich aus, es blieb nur die
    Obskure Tonalität, in einer obskuren Welt.
    Eine Straße biegt von Itabira ab und endet an jedem Punkt der Welt.
    Durch diese Straße gehen Chinesen, Inder, Schwarze, Mexikaner, Türken, Uruguayer.
    Ihre eiligen Schritte hallen wider auf dem Pflaster,
    hallen wider in mir.
    Bemitleidet von allen, wie soll man ihnen da zulächeln, sie darum bitten glücklich zu sein?
    Ich bin nichts als eine Straße
    In dieser Kleinstadt im Minas,
    ein bescheidener Weg in Amerika.
    Bin noch froh, dass es Nacht geworden ist: nachts fällt das Reden leichter.
    Viele Worte braucht man gar nicht mehr auszusprechen.
    Es gibt diese unbestimmten Lippenbewegungen im Schuppen, es gibt vor allem die Stille,
    eine bestimmte Farbe des Grases, weniger Dauer in den Dingen,
    Gitarren steigen hinauf bis zum Mond, und die singen besser als ich.
    Sing ein Lied,
    Gitarre oder Banjo,
    mit geschlossenen Lippen,
    und der Seele geöffnet,
    und dann sing an gegen die Zeit,
    aus dem Gedächtnis,
    von den alten Zeiten,
    wo es weder Haus noch Herde gab,
    und alles Fluss war,
    und Reptil und rötlich,
    wo es weder Lampe gab
    noch Diamant,
    wo nichts existierte.
    Nur der erste Hund,
    der den Menschen anblickte,
    fühlte die Zukunft.
    Alle beide beobachten,
    beurteilen sich, wägen ab,
    wortlos bricht die Zärtlichkeit
    in die Einsamkeit ein.
    Sing ein Lied auf den
    Leeren Kontinent,
    ganz leise, ohne Erregung.
    Sie die um das Feuer
    hockenden Männer
    Die auf Nahrung warten.
    Wie der Bart sprießt,
    wie hart die Hände sind,
    schwarz vor Müdigkeit.
    Besing noch einmal die Maya-Stele,
    und ruf an den Gott des Mais,
    versinke in dem Traum,
    der jeder Kunst vorausgeht,
    wenn die Form davor zögert,
    die Substanz anzunehmen.
    Und dann besing noch mal
    All die Elemente,
    die nach einer Form suchen.
    Währenddessen wählt sich
    das Leben ein Gesicht.
    Sieh: eine Stadt.
    Wer hat sie entstehen sehen?
    Der Schlaf der Menschen hat
    Nach so vielen Anstrengungen
    Die Starre der Toten.
    Könntest du sie erwecken
    Aus ihrem Schlaf?
    "(S.100-104, 116 Zeilen)
    (Quelle: Carlos Drummond de Andrade, La machine du monde
    Et d'autres poemes. Übs. Didier Lamaison
    Gallimard, Paris, 1990. Neuausgabe 2005. ISBN 2-07-031884-2)
    Karl Lippegaus
    Freier Musikjournalist
    Meine Freunde kennen die Geschichte inzwischen so gut, dass sie sie vermutlich mitsingen können. Es ist die alte Frage: "Wie bist du eigentlich zum Radio gekommen?" Nun, es gab mal auf SWF 3, als dieser noch sehr jung war, eine Sendereihe, die sich "20:1" nannte - Hörer machen Programm! Man konnte eine Sendung schreiben, und wenn das Manuskript akzeptiert wurde, bekam man 20 Mark. Ich schrieb damals kurz vor dem Abitur über Miles Davis und den aufblühenden Jazz-Rock. Bei SWF 3 fühlte man sich überfordert und reichte den Text weiter an die Jazzredaktion von Joachim Ernst Berendt. Der lud mich prompt nach Baden-Baden ein und - große Überraschung - wollte noch mehr Sendungen von mir haben. Auf einmal fand ich mich in Diskussionsrunden wieder, in denen erörtert wurde, ob das zweite Kraftwerk-Album noch Musik sei. Für die SWF-Jazzredaktion fuhr ich zu den Berliner Jazztagen und erlebte, wie Duke Ellington ausgebuht wurde, stand Sonny Rollins gegenüber im Fahrstuhl und erlebte, wie Charles Mingus beim Soundcheck einen Wutanfall bekam, worauf ich leicht zitternd seine GEMA-Liste ausfüllen durfte. Ja, so fing's an. Dann schickte mich die Musikzeitschrift "Sounds" zu Interviews mit Pink Floyd, Peter Gabriel, Roxy Music und anderen Rock-Heroen. Im WDR konnte ich bald Sendungen wie "Außenseiter", "Lupenrock", "Border Music" oder die "Musikpassagen" völlig frei gestalten. Durch Deutschlands dienstälteste Jazzredakteurin Barbara Rüger bekam ich die Chance, monatlich nachts drei Stunden lang Songs und Chansons für die Berliner durch den Äther zu schicken.. Im Deutschlandfunk öffnete nachmittags das "Rock-Café", später gab's die "Jazzfacts" und den nächtlichen "Soundcheck". Zwischendurch reiste ich viel in der Welt herum, fuhr oft nach London, Paris und New York, um Live-Musik zu hören, verliebte mich in eine Brasilianerin - und in den östlichen Teil der Provence, der viel rauer und stachliger ist als uns die bunten Reiseberichte der Tourismus-Werbung vorgaukeln wollen. Inzwischen ist diese Gegend 1000 km südlich von Köln meine zweite Heimat geworden. Während der Studienjahre in Bonn und Köln (Germanistik, Anglistik, Philosophie und Musikwissenschaft) ging ich viel ins Kino - eine willkommene Abwechslung zu den vielen Stunden am Plattenspieler. Den Wunsch, Geiger zu werden, hängte ich an den Nagel, als immer mehr gute Musik von anderen mein Interesse weckte. Zu den schönsten Erlebnissen zählte ein Interview mit Miles Davis. Ich bin seit jeher allen Arten von Musik, allen Stilen und Genres auf der Spur. "Wir waren die erste Generation", wie John Zorn einmal sagte, "die mit dem Medium Langspielplatte aufwuchs, was uns ermöglichte, erstmals seltene Musik aus den entlegensten Teilen der Erde zu hören." Ich bin weiter neugierig auf das, was ich noch nicht kenne. Und ich versuche, dieses ohrenöffnende Erlebnis an meine Hörer weiterzuvermitteln. Die Suche nach diesen musikalischen Sternstunden nimmt viel Zeit in Anspruch, aber am Ende, kurz vor der Sendung, habe ich immer mehr in meinem Rucksack, als ich letzten Endes in der jeweiligen Sendezeit unterbringen kann. Ich glaube nicht an den Bob Dylan zugeschriebenen Satz "Don't look back". Im Gegenteil, es sind so viele wichtige Dinge seit der Erfindung der Schallplatte passiert, dass diese musikalische Entdeckungsreise nie aufhört. Je mehr man sich in der Musikgeschichte auskennt, umso mehr wird daraus eine aufregende Reise in die jüngere und ältere Vergangenheit.

    Playlist:

    1. Stunde:

    1. O Homem (Man)
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Urubu Antonio Carlos Jobim
    0392 Warner Bros. 7599-27 480-2
    Take 8 2.31

    2. Boto (Porpoise) (Intro)
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Urubu Antonio Carlos Jobim
    0382 Warner Bros. 7599-27 480-2
    Take 1 1.05

    3. Chega de Saudade
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Bossa Nova - The Sound of Ipanema
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    10651 Universal 06024 983 7465
    Take 11 3.50

    4. Esse Seu Olhar/Só em teus bracos
    Lucio Alves & Sylvia Telles
    CD: Bossa Nova - The Sound of Ipanema
    Antonio Carlos Jobim 10651
    Universal 06024 983 7465
    Take 12 2.19

    5. Samba de uma nota só
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Em Minas Ao Vivo
    Antonio Carlos Jobim/Newton Mendonca
    kein LC-Code Saraquí/Jobim Music RR 825
    Take 2 3.57

    6. O Morro Nao Tem Vez
    Antonio Carlos Jobim/Stan Getz/Joao Gilberto
    CD: Jazz Masters 13 Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    0383 Verve 516 409-2
    Take 9 6.51

    7. Meu Amigo Radamés
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Antonio Brasileiro
    Antonio Carlos Jobim 0162
    Columbia 476261-2
    Take 11 3.54

    8. Lamento No Morro
    Vinicius de Moraes/Toquinho/
    Maria Creuza
    CD: At "La Fusa"
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    Kein LC-Code
    Ubatuqui UBCD 20001/-002
    Disc 1, Take 5 2.26

    9. Eu Sei Que Vou Te Amar
    Vinicius de Moraes/Toquinho/
    Maria Creuza
    CD: At "La Fusa"
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    Kein LC-Code
    Ubatuqui UBCD 20001/-002
    Disc 1, Take 13 3.30

    10. Boto (Porpoise) (Intro)
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Urubu
    Antonio Carlos Jobim 0392
    Warner Bros. 7599-27 480-2
    Take 1 1.05

    11. Modinha
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Em Minas Ao Vivo
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    Kein LC-Code
    Saraquí/Jobim Music RR 825
    Take 9 2.16

    12. Medo De Amar
    Antonio Carlos Jobim, Paula Morelenbaum
    CD: Ao Vivo - Tom canta Vinicius
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    00699 Emarcy/Universal 159 107-2
    Take 4 3.58

    13. Carta ao Tom/Carta do Tom
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes/Toquinho
    CD: Jobim, Vinicius, Toquinho & Miucha
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    6175 Fenn Music/RGE 191 746-2
    Take 2 2.35

    14. Once I Loved
    Joe Henderson (Tenorsax), Oscar Castro-Neves (Gitarre)
    CD: Double Rainbow
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes/Ray Gilbert
    00383 Verve 527 222-2
    Take 5 5.22

    2. Stunde:

    15. Tide
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Tide Antonio Carlos Jobim
    00383 A&M/Verve 543 500-2
    Take 6 4.03

    16. Poética
    Antonio Carlos Jobim, Paula Morelenbaum
    CD: Ao Vivo - Tom canta Vinicius
    Vinicius de Moraes
    00699 Emarcy/Universal 159 107-2
    Take 4 0.42

    17. Insensatez
    Vinicius de Moraes & Toquinho
    CD: Favourites
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    7045 Harmonia Mundi/Wrasse 121
    Take 9 2.07

    18. Estrada Do Sol (Road To The Sun)
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Terra Brasilis
    Antonio Carlos Jobim
    00392 Warner Bros.-Japan WPCP-4370
    Take 10 1.26

    19. Um Abrazo No Bonfá
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Joao Gilberto
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 36 1.35

    20. Outra Vez
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Antonio Carlos Jobim
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 14 1.49

    21. Corcovado
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Antonio Carlos Jobim
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 29 1.57

    22. Na Baixa Do Sapateiro
    Joao Gilberto
    CD: Joao Gilberto
    Ary Barroso
    00699 Emarcy/Universal 837 589-2 4.43

    23. Bim-Bom
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Joao Gilberto
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 10 1.12

    24. Este Seu Olhar
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Antonio Carlos Jobim
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 16 2.15

    25. Desafinado
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Antonio Carlos Jobim/Newton Mendonca
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 2 2.00

    26 Desafinado
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Em Minas Ao Vivo
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    Kein LC-Code
    Saraquí/Jobim Music RR 825
    Take 1 5.16

    27. Chega de Saudade
    Joao Gilberto
    CD: The Legendary Joao Gilberto
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    00133 EMI/World Pacific CDP 7 93891-2
    Take 1 2.00

    28. Falsa Bahiana
    Joao Gilberto, Stan Getz
    CD: The Best of Two Worlds
    G. Pereire
    0162 Columbia 471511 2
    Take 4 5.03

    29. Favela (O Morro Nao Tem Vez)
    Antonio Carlos Jobim
    CD: The Wonderful World Of ...
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes; arranged by Nelson Riddle
    00325 Warner Bros.9362-46315-2
    Take 8 2.37

    30. Valsa de Porto das Caixas
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Warner Archives
    Antonio Carlos Jobim
    0392 Warner Bros. 9362-46114-2
    Take 9 3.18

    31. Captain Bacardi
    Antonio Carlos Jobim
    CD: The Girl from Ipanema
    Antonio Carlos Jobim
    0485 A&M 540 582-2
    Take 16 4.24


    3.Stunde:

    32. Children's Games
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Stone Flower
    Antonio Carlos Jobim
    0382 Sony/CTI 5051742
    Take 2 3.29

    33. Chovendo Na Roseiro
    Antonio Carlos Jobim & Elis Regina
    CD: Jazz Masters 13
    Antonio Carlos Jobim
    00383 Verve 516 409-2
    Take 8 3.10

    34. Ela E Carioca
    Joao Gilberto
    CD: En México
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    00383 Philips 848 426-2
    Take 2 3.03

    35. Garota de Ipanema
    Vinicius de Moraes & Toquinho
    CD: Favourites
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    7045 Harmonia Mundi/Wrasse 121
    Take 3 2.13

    36. Fotografia
    Antonio Carlos Jobim, Nara Leao
    CD: A Trip to Brazil - 40 Years of Bossa Nova
    Antonio Carlos Jobim
    00383 Motor Music 565 382-2 2.00

    37. So Danco Samba
    Antonio Carlos Jobim/Stan Getz/Joao Gilberto
    CD: Jazz Masters 13
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    0383 Verve 516 409-2
    Take 3 3.36

    38. Corcovado
    Miles Davis & Gil Evans
    CD: The Complete Columbia Studio Recordings
    Antonio Carlos Jobim
    0162 Columbia 67397
    Disc 4, Take 6 2.42

    39. Ligia
    Vinicius Cantuaria feat Bill Frisell (g)
    CD: Horse and Fish
    Antonio Carlos Jobim
    7433 Ryko/Hannibal HNCD 1469
    Take 8 4.30

    40. Garota de Ipanema
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Ao Vivo - Tom canta Vinicius
    Antonio Carlos Jobim/Vinicius de Moraes
    00699 Emarcy/Universal 159 107-2
    Take 16 3.50

    41. Aguas de Marco
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Jobim
    Antonio Carlos Jobim
    00383 MCA/Verve 543 381-2
    Take 1 3.56

    42. Tempo do Mar
    Antonio Carlos Jobim
    CD: Jobim
    Antonio Carlos Jobim
    00383 MCA/Verve 543 381-2
    Take 4 5.09

    43. Pra Dizer Adeus
    Antonio Carlos Jobim & Edu Lobo
    CD: Edu & Tom
    Edu Lobo/Torquato Neto
    00383 Philips/PolyGram de Brasil PHCA-4208 4.41