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Die Linkspartei im Stresstest

Die Linke ist in Bremen gerade über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen und feiert sich trotzdem. Hinter den Kulissen aber tobt weiter der Konflikt zwischen den Partei-Vorsitzenden und über das Programm der Partei. Die Linke steckt in einem schwierigen Klärungsprozess.

Von Frank Capellan und Gerhard Schröder | 23.05.2011
    Klaus Ernst:

    "Wir sind wieder drin. Und zwar nicht knapp, sondern eindeutig."

    Gesine Lötzsch:

    "Ich finde gar nicht, dass es knapp ausgegangen ist. Wir sind ja sicher wieder eingezogen in den Landtag."

    Genügsam ist die Linkenspitze geworden. Gesine Lötzsch und Klaus Ernst werten das Abschneiden ihrer Partei bei der Wahl in Bremen als klaren Erfolg. Dabei wurde gerade Mal das Minimalziel erreicht: Verbleib in der Bürgerschaft.

    "Unsere Vorsitzenden sind mit einem blauen Auge davon gekommen", sagen heute die Enttäuschten in der Berliner Zentrale, dem Karl-Liebknecht-Haus. Bei einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde wäre die Diskussion um die Doppelspitze schon heute wieder entbrannt. Zu groß ist die Symbolkraft, die das kleine Bremen für die Linke hat - Vor vier Jahren gelingt hier an der Weser die West-Expansion. Für Bodo Ramelow, den Mann aus dem Westen, der heute im Osten, in Thüringen, Politik macht, ging es bei dieser Abstimmung um nichts weniger als den Anspruch, gesamtdeutsche Partei zu bleiben:

    Es ist für uns deshalb so wichtig, weil wir das Einstiegsprojekt in die westdeutschen Landtage in der Bremer Bürgerschaft hatten. Das unter einer Bedingung, dass in Bremen damals schon das Land völlig verschuldet war, handlungsunfähig.

    Hohe Arbeitslosigkeit, leere Kassen, große Armut. Wenn es der Linken selbst in diesem Milieu nur noch mit Ach und Krach gelingt, den Wiedereinzug sicher zu stellen, dann ist es schlecht bestellt um die Partei. Seit Monaten ist die vor allem mit sich selbst beschäftigt, produziert Schlagzeilen mit einem heftig und öffentlich ausgetragenen Streit um Personen.

    Gestern hat die Parteispitze parallel zur Bremenwahl den Versuch unternommen gegenzusteuern. der Vorstand hat den Entwurf für ein neues Parteiprogramm gebilligt. Ein Papier, das die Partei wieder ins Gespräch bringen soll. Es tritt dem Eindruck entgegen, die Linke wolle ewig Oppositionspartei bleiben. Regierungsbeteiligungen sind konkret unter den jeweiligen Bedingungen zu diskutieren, heißt es darin. Eine Abkehr von jenem Entwurf, den Oskar Lafontaine und Lothar Bisky als Parteivorsitzende vor gut einem Jahr vorlegten und der Koalitionen praktisch ausschloss. Beigelegt ist der Streit um den Kurs der Linken damit keinesfalls, zumal noch eine Kontroverse über die Präambel des Programms aussteht. Darin soll formuliert werden, wie die Linke zu ihrer eigenen sozialistischen Vergangenheit steht. Ein überaus heikles Thema.

    Der rote Laden in Fürstenwalde, 70 Kilometer östlich von Berlin. Programmdebatte in der Linkspartei. Es ist Sonntagvormittag, zehn Uhr. Per Jürgens:

    "Ich habe das so verstanden, dass ihr sowohl Lob mitnehmen könnt, für das, was ihr vorgelegt habt, auch Kritik mitnehmen könnt ... "

    Neun treue Parteimitglieder haben den Weg in die Geschäftsräume des Kreisverbandes Oder-Spree gefunden. An den Wänden hängen alte DDR-Plakate. 25 Jahre Dienst am Volk steht auf einem. Darunter ist eine blonde Volkspolizistin in Uniform zu sehen. Qualität, auf die wir stolz sind, ist auf einem anderen zu lesen, 7. Oktober, Nationalfeiertag der DDR. Eine Ausstellung sei das, kein politisches Statement, betont Per Jürgens, der Kreisverbandsvorsitzende. Neben ihm sitzen Raju Sharma und Halina Wawzyniak. Die beiden Vorstandsmitglieder der Bundespartei sind aus Berlin angereist. Im Gepäck haben sie einen alternativen Programmentwurf und eine Menge Frust, wie Wawzyniak einräumt, weil ihre Kritik von der Parteispitze allzu lange ignoriert worden sei. Halina Wawzyniak:

    "Wir haben ein halbes Jahr lang Veränderungen vorgeschlagen, Alternativen vorgeschlagen, die sind einfach nicht zur Kenntnis genommen worden."

    Deshalb haben Wawzyniak und Sharma auf 28 Seiten aufgeschrieben, wie sie sich die inhaltliche Ausrichtung der Linken vorstellen. Ein Gegenkonzept zum offiziellen Programmentwurf, den Oskar Lafontaine und Lothar Bisky im März 2010 vorgelegt haben. Zu traditionalistisch, zu sehr alten Mustern verhaftet sei das Konzept, kritisiert Wawzyniak. Sie wird wie Sharma dem Realo-Flügel in der Partei zugerechnet. Ihr Credo: Die Linke muss sich breiter aufstellen.

    "Wir leben nicht mehr in der Industriegesellschaft der 70er- oder 80er-Jahre, sondern wir haben zum Beispiel durch das Internet eine komplett andere Lebens- und Arbeitsweise, die sich überhaupt nicht widerspiegelt. Es fehlt in dem Programm komplett die Frage des sozialökologisches Umbaus."

    Der Vorstoß der beiden Querdenker hat die Programmdebatte belebt, aber auch Irritationen in der Partei ausgelöst. Auch bei jenen, die den Forderungen eigentlich nahe stehen. Bodo Ramelow zum Beispiel, der Fraktionschef im Thüringer Landtag. Der Gegenentwurf spalte die Partei, statt sie zusammen zu bringen, fürchtet Ramelow.

    "Weil ich die Herangehensweise schon völlig falsch finde. Ich finde es nicht akzeptabel, dass Parteivorstandsmitglieder Alternativen einbringen, ohne vorher für die Debatte inhaltlich stärker gekämpft zu haben."

    Eine alte Angst wird sichtbar: Dass die alten Grabenkämpfe wieder ausbrechen. Ost gegen West, Realos gegen Fundis, Pragmatiker gegen Ideologen. Deshalb lehnt Ramelow es ab, dass nun jede Strömung eigene Konzepte vorlegt - über die am Ende dann die Delegierten auf dem Parteitag in Kampfabstimmungen entscheiden müssten. Dabei ist auch Ramelow keineswegs glücklich mit dem Entwurf von Lafontaine und Bisky. Auch er wünscht sich eine inhaltliche Öffnung der Partei. Und er verlangt, dass die Linke bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Sie darf sich nicht anfreunden mit der Rolle der ewigen Oppositionspartei, die Linke muss regieren wollen, forderte Ramelow:

    "Das halte ich für notwendig, auf dem Erfurter Parteitag zu klären. Sie muss einfach regierungstauglich sein wollen. Sie muss nicht jeder Regierung nachlaufen, aber sie muss zur Durchsetzung der Interessen, die wir den Bürgern sagen auch bereit sein Verantwortung zu übernehmen."

    Andere in der Partei indes warnen vor zu viel Pragmatismus. Die Linke müsse ihr inhaltliches Profil schärfen, nicht verwässern. Müsse klar erkennbar bleiben als radikale antikapitalistische Partei, sagt Sarah Wagenknecht, einst als Wortführerin der kommunistischen Plattform eine Randfigur in der Partei. Inzwischen ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Und wird bereits als Kandidatin für den Fraktionsvorsitz gehandelt:

    "Wir brauchen keine zweite SPD, wir brauchen auch keine zweite grüne Partei. Wir brauchen in diesem Land dringend eine Partei, die über Alternativen zum Kapitalismus nachdenkt."

    Den Kapitalismus überwinden, das sei die Zielvorstellung, die von der Mehrheit in der Partei getragen werde. Wagenknecht zieht daraus klare Schlussfolgerungen: Die Banken sollten ebenso verstaatlicht werden wie die Energiekonzerne. Eine Forderung, die sich so auch im Parteiprogramm wiederfindet.

    "Denn die Alternative ist die Situation, die wir heute haben: wenige große Versorger, die die Politik erpressen, die Interessen eben auch in Richtung rauszögern des Atomausstiegs sehr vehement gesellschaftlich durchsetzen können, und die im Grunde damit eine Rolle spielen, die für die große Mehrheit der Menschen absolut schädlich ist."

    Vor allem die führenden Akteure in den ostdeutschen Landesverbänden sind genervt von den theoretischen Erwägungen, wie der Kapitalismus überwunden werden könnte. Die Partei dürfe nicht im luftleeren Raum agieren, dürfe den unbequemen Fragen nicht ausweichen, mahnt Bodo Ramelow, der Machtpolitiker, der in Erfurt Regierungschef werden will.

    "Wogegen ich mich tatsächlich in der Partei wehre ist, immer alles unter radikalen Sozialabbau zu stellen, nur wenn man mal anfängt, über Veränderungsprozesse zu reden. Denn es gibt auch Veränderungsprozesse, die notwendig sind. Die öffentliche Verwaltung einfach so zu lassen, wie sei ist, wäre in Thüringen völlig falsch. Das heißt, ich muss auch den Mut haben, eine mittlere Verwaltungsebene abzuschaffen. Dann muss ich das aber auch benennen und auch den Wählern klar machen."

    Ein schmerzhafter Klärungsprozess steht auch auf außenpolitischem Gebiet noch aus. Wie hält die Linke es mit militärischen Auslandseinsätzen. Wie steht sie zu den Vereinten Nationen und der NATO? Sind Interventionen erlaubt, wenn es gilt Völkermord und Unterdrückung zu verhindern. Sarah Wagenknecht sagt nein.

    "Wenn man sich militärische Einsätze der Vergangenheit ansieht, Irakkrieg, Afghanistaneinsatz, sind das ganz klare Belege dafür, dass Krieg überhaupt kein Problem löst, sondern dass die Situation gerade der Zivilisten noch mehr verschlimmert. Also, gerade in Afghanistan sind so viele Zivilisten in diesem Krieg ermordet worden. Das hat am Ende den Taliban sogar genützt, weil das Hass in der Bevölkerung schürt und überhaupt nicht zur Lösung der Probleme beiträgt."

    Wir dürfen bei Völkermord nicht einfach nur zuschauen, sagt dagegen Ramelow. Wenn Verbrechen wie in Ruanda geschehen, wo Hunderttausende niedergemetzelt würden, dürfe man nicht passiv im Abseits stehen. Ramelow pocht auf das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen. Heißt im Klartext: Einem Einsatz unter UN-Flagge würde er sich unter bestimmten Bedingungen nicht verwehren.

    "Das muss unser Parteitag in Erfurt beantworten. Wie hältst Du es mit einem internationalen Gewaltmonopol? Da ist die Linke im Moment nicht festgelegt."

    Die Linke steckt in einem schwierigen Klärungsprozess. Oder, wie es Horst Kahrs, der Leiter der Grundsatzabteilung in der Parteizentrale formuliert: Sie befindet sich im Stresstest.

    Die Linke muss sich entscheiden, sagt Kahrs: Will sie Außenseiter-Partei sein oder Volkspartei. Derzeit ist sie beides. In Ostdeutschland Volkspartei, die auch in bürgerlichen Kreisen verankert ist. Und in Westdeutschland Nischenpartei, die mit Themen wie Hartz IV und Mindestlohn um eine sehr überschaubare Wählerklientel wirbt. Das Problem an der Sache ist: Beide Strategien sind schlecht miteinander in Einklang zu bringen, meint auch der Politologe Gero Neugebauer:

    "Es gibt in der Linken die Diskussion darüber, ob nicht wieder die Gefahr gewachsen ist, dass einzelne Strömungen sagen, wenn ich hier drinnen sowieso nicht mehr kriege als ich schon habe, dann kann ich auch rausgehen und eine eigene Partei gründen. Dann wird die Linke wieder schwächer. Und dann fällt sie auf das zurück, was sie schon mal war: eine stabile ostdeutsche Regionalpartei, die aber im Westen keinen Stich kriegt."

    Der Partei fehlt ein übergreifendes Alleinstellungsmerkmal, sagt Neugebauer. Soziale Gerechtigkeit, Hartz IV, Mindestlöhne, das sind die Themen, mit der die Partei auch bundespolitisch wahrgenommen wird - auch nach dem Geschmack von Gregor Gysi, dem Fraktionschef im Bundestag, ist das zu wenig:

    "Wir vertreten auch die Interessen der Normalverdienenden, auch der Besserverdienenden. Und da muss ich als Defizit deutlich machen, das wird nicht so richtig klar."

    Die Partei muss sich programmatisch breiter aufstellen, fordern nun viele. Das allein aber werde nicht reichen, schreibt Chefstratege Horst Kahrs im Parteimagazin Disput. Die Partei müsse auch glaubwürdig darlegen, wie sie ihre Forderungen durchsetzen will.

    Um politisch glaubwürdig zu sein, brauchen wir als Partei eine erweiterte Durchsetzungsstrategie. Glaubwürdigkeit und Bindung in der Wählerschaft gehen verloren, wenn Wahlversprechen offensichtlich verraten werden - aber auch, wenn es bei leeren Versprechungen und grundsätzlichen Forderungen bleibt und der Eindruck des Maulheldentums entsteht.

    Heißt konkret: Die Partei muss ihr Profil schärfen, unverwechselbar bleiben - und sich gleichzeitig um Bündnispartner bemühen, mit denen die Forderungen auch durch zu setzen sind. Gerade hier hatten Bisky und Lafontaine in ihrem Programmentwurf noch hohe Hürden aufgebaut. Keine Beteiligung an Regierungen, die Krieg führen, Sozialabbau betreiben oder Arbeitsplätze vernichten, so lautete ihre Formel, die die Programmkommission auf Drängen der Realos inzwischen etwas aufgeweicht hat. Bei möglichen Koalitionspartnern wie der SPD hat sich indes der Eindruck verfestigt: Die wollen nicht regieren. Generalsekretärin Andrea Nahles:

    "Mindestens die Hälfte von denen, so schätze ich das ein, hat grundsätzlich ein Problem damit. Die erklären, dass das korrumpiert. Andere in der Linkspartei wollen regieren. Wie dieses ausgeht im Herbst, das ist völlig offen."

    Bodo Ramelow sieht das ähnlich. Er blickt den kommenden Auseinandersetzungen mit Vorfreude entgegen:

    "Ich bin im Moment richtig happy, ich habe das Gefühl, dass sehr viele Mitstreiter im Moment debattieren. Und zum Schluss müssen Mehrheiten entscheiden. "

    Und zwar nicht nur über das Programm, sondern auch über das Führungspersonal.

    "Hören Sie doch mit dem Quatsch auf. Ich habe immer gesagt, ich mache nicht den Oskar. Ich bin der Klaus Ernst, und das bleibt auch so. "

    Der Chef, Klaus Ernst, reagiert gereizt, wenn er nach Oskar Lafontaine und dessen großen Fußstapfen gefragt wird. Der 56-jährige Gewerkschafter aus Bayern ist ein Vertrauter des Saarländers, war Wunschkandidat Lafontaines, als der sich vor einem Jahr krankheitsbedingt zurückziehen musste. Diese Nähe ist nun zum Problem geworden. Klaus Ernst steht immer wieder in der Kritik der eigenen Genossen. Mit schrillen und provokanten Äußerungen eckt er an. Dass er die Partei im Sinne Lafontaines allzu sehr auf das Thema Hartz IV reduziert, wird ihm oft angekreidet. Dass er einmal daran dachte, besonders kritischen Genossen einen Maulkorb zu verpassen und sich dafür aussprach, einen entsprechenden Paragrafen über "Partei-schädigendes Verhalten" in die Satzung einzufügen, wird ihm vor allem in den Ostverbänden als Instinktlosigkeit bis heute übel genommen. Hinzu kommt sein Lebensstil. Ernst fährt einen alten Porsche, zieht sich gern auf seine gepachtete Almhütte zurück. Dass er neben den Abgeordnetenbezügen noch 3500 Euro monatlich für den Parteivorsitz einstreicht, wurde zeitweise zum Politikum in der Partei, die sich vor allem als Anwältin der Armen präsentiert. Gesine Lötzsch:

    "Mein Ziel ist der demokratische Sozialismus, so wie ich ihn auch in dem Artikel beschrieben habe, friedlich, demokratisch und für alle Menschen frei von Ausbeutung."

    Gesine Lötzsch, die Co-Vorsitzende, sorgt in erster Linie mit inhaltlichen Ausrutschern für Schlagzeilen. Sie fühlt sich missverstanden, als sie Anfang des Jahres im parteinahen Blatt Junge Welt über "Wege zum Kommunismus" nachdenkt. War es wirklich nur ein Missverständnis oder doch eine gezielte Provokation? Das diskutieren viele in der Republik, aber auch in den eigenen Reihen - vor allem die, die wichtige Wahlen zu bestehen haben.

    "Es ist zumindest irritierend, wenn der Begriff jetzt einfach so in den Raum geworfen wird. Die Leute in dem Land hier erwarten von uns derzeit wohl nicht die Einführung des Kommunismus, sondern das Engagement für soziale Gerechtigkeit."

    So der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer. Die Bundesvorsitzende eine verkappte Kommunistin? Selbst ihr Co-Vorsitzender Klaus Ernst kann sich einen Hieb gegen die Kollegin nicht verkneifen:

    "Ich hätte es nicht geschrieben, ich hätte keine Veranlassung dazu gesehen, mich dazu zu äußern. Sondern wir haben derzeit eine Programmdebatte, und da werden Sie das Wort Kommunismus nicht finden. "

    Die Führungsqualitäten der Gesine Lötzsch werden regelmäßig in Frage gestellt. Aktuell wird ihr vorgehalten, antisemitische und antiisraelische Tendenzen in Teilen ihrer Partei viel zu lange unkommentiert gelassen zu haben. Deutliche Klarstellungen sind in der Tat nicht ihr Ding. Das sorgt für Unsicherheit unter den Linken-Anhängern. Dass ihre umstrittenen Thesen zum Kommunismus mit einer fehlenden, klaren Distanzierung von Osteuropas Unrechtsregimen potenzielle Linken-Wähler in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz abgeschreckt haben, gilt als wahrscheinlich. Als die Linke dort im März den Einzug in die Landesparlamente deutlich verpasst, gerät die Debatte über das Führungspersonal schließlich vollends aus dem Ruder. Fraktionschef Gregor Gysi versucht schließlich, die Notbremse zu ziehen - und scheitert kläglich. Er droht damit, in einer "Notsituation" könnte Oskar Lafontaine zurück an die Parteispitze kommen. Die Hoffnung, damit die Debatte über das Führungsduo beenden zu können, erfüllt sich nicht, im Gegenteil: Gysi heizt sie ungewollt weiter an und bringt die eigene Parteichefin abermals in die Defensive. Gesine Lötzsch:
    "Auch wenn Gregor Gysi, der sich unheimlich engagiert, mal einen Fehler macht, ist das für mich kein Grund, nicht mehr mit ihm zusammenzuarbeiten. "

    Seit Ostern hat sich die Führungsdebatte beruhigt. Ob das so bleibt, ehe sich die Parteispitze im nächsten Jahr wieder regulären Wahlen stellen muss, ist fraglich. Denn der Streit um Gesine Lötzsch und Klaus Ernst offenbart ein Grundproblem der Partei - das der Flügel, die sich stets misstrauisch beäugen und bereit sind, immer wieder übereinander herzufallen.

    Längst stellt sich die Frage, ob die unvollendete Fusion von WASG und PDS eigentlich noch zum Erfolg geführt werden kann. Dass in der Partei bereits die Gründung einer "Landesgruppe Ost" in Erwägung gezogen wurde, spricht Bände. Ist also die von Gysi leichtfertig heraufbeschworene "Notsituation" längst da, in der Oskar Lafontaine die Linke vor der Spaltung retten müsste? Oskar Lafontaine

    "Ich habe zu der Frage schon mehrfach geäußert. Und es gibt überhaupt keine Veranlassung, mich immer wieder dazu zu äußern. "

    Der einstige SPD-Vorsitzende wiegelt ab, würde er gebeten, gilt eine Rückkehr allerdings als denkbar. Lafontaine hat ein Machtvakuum hinterlassen. Als Partei- und Fraktionschef war es ihm weit gehend gelungen die Flügel zusammenzuhalten. Ihm wurde ein autoritärer Führungsstil nachgesagt, nur so aber ließen sich die Fundis und Realos, die Reformer und Kommunisten halbwegs bändigen.

    "Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mich darüber freuen würde, wenn sich Herr Lafontaine wieder stärker in die Bundespolitik einmischen würde."

    So wie Wolfgang Zimmermann, Linken-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, wünschen sich manche die einstige Ikone zurück in Berlin. Doch auch in der Lafontaine-Frage ist die Partei gespalten. Wir stehen nicht gut da, aber wir sind nicht in Not, betont Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter aus der Hauptstadt.

    "Wir befinden uns in keiner guten Situation, aber auch in keiner Notsituation. Aber selbst wenn wir in einer Notsituation wären, sollte Oskar Lafontaine nicht zurück kommen. Ich glaube, das wäre kein Signal des Aufbruchs."

    Klaus Ernst dürfte das gerne hören. Öffentlich allerdings hat der Parteichef gerade erst wieder betont, wie wichtig der Rat seines Vorgängers für ihn bis heute sei. Und wenn Fraktionschef Gregor Gysi über Oskar Lafontaine spricht, dann gerät er geradezu ins Schwärmen:

    "Das ist ja ein genialer Mann, das kann ja niemand leugnen! Auch die, die ihn nicht mögen, die ihn sogar als Gegner empfinden, akzeptieren das immer."