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Die Liste der Grausamkeiten

Für die Griechen gibt es die Rettung nicht umsonst: Sie müssen sich auf ein gewaltiges Sparprogramm gefasst machen. Das ruft Widerstand und Zorn hervor. Auf die Politiker, die das zu verantworten haben und auf die Oberschicht, die sich um ihre Steuern drückten.

Von Gunnar Köhne | 04.05.2010
    In Voula ist von Niedergang nichts zu sehen oder zu spüren. Auf der Strandpromenade führen Damen mit großen Sonnenbrillen ihre kleinen Hunde spazieren, dunkle Jeeps jagen die steilen Straßen zwischen den Seeblick-Villen hinauf. Unter einer Million Euro ist hier nicht einmal eine Etagenwohnung zu haben. Dennoch gaben im vergangenen Jahr gerade einmal 16.000 Griechen ein Einkommen über 100.000 Euro bei den Steuerbehörden an. Eine junge Frau, die mit ihren beiden adrett gekleideten Töchtern auf ein Taxi wartet, kann nicht verstehen, warum die Einwohner Voulas und anderer vornehmer Vororte nun an den Pranger gestellt werden:
    "Natürlich müssen alle Steuern zahlen – ohne Ausnahmen. Sonst gerät das Land in noch größere Schwierigkeiten. Aber wir sitzen doch alle in einem Boot, wir müssen zusammen halten."
    30 Kilometer weiter, am zentralen Syntagma-Platz, gleich gegenüber dem schmucklosen Zweckbau, der das Finanzministerium beherbergt, herrscht nur scheinbar Ruhe nach den heftigen Protesten der Gewerkschaften am Wochenende.

    Die Mehrheit der Griechen ist empört über die veröffentlichte Sparliste der Regierung, denn sie treffe wieder einmal die kleinen Leute: Anhebung der Mehrwertsteuer um weitere zwei Punkte auf 23 Prozent, Lockerung des Kündigungsschutzes, Streichung der 13. und 14. Monatsgehälter für Staatsangestellte und keine Frühpensionierungen mehr vor dem 60. Lebensjahr. Die Wohlhabenden des Landes dagegen blieben weiterhin ungeschoren:
    "Die Regierung sollte alle gleich streng behandeln. Und vor allem diejenigen, die am meisten haben, nicht verschonen!"

    "Die einen stehlen das Geld, und die anderen müssen die Zeche bezahlen. Ist das eine Lösung?"

    "Keiner ist unschuldig, Alle haben versucht den Staat abzuzocken. Aber die Politiker sind die größten Diebe."
    In Griechenland werden jedes Jahr rund 30 Milliarden Euro Steuern hinterzogen. Doch nun schauen die griechischen Steuerfahnder den Reichen des Landes hinter ihre hohen Grundstücksmauern - mit Hilfe des Internetprogramms Google Earth. Hat einer seinen Swimming Pool nicht deklariert, bekommt er Ärger mit Diomidis Spinelli, dem Chef der für Datenfahndung zuständigen Steuerbehörde:
    "Wir werden den Lebensstil desjenigen vergleichen mit den Angaben auf seiner Steuererklärung. Wie groß ist sein Haus, wie viele Autos hat er mit wie viel PS, gibt es Hausangestellte, hat er ein Boot? Auf dieser Grundlage errechnen wir, wie viel derjenige mindestens verdienen müsste und besteuern ihn entsprechend."
    Die Reichen stärker zur Kasse zu bitten, findet der Athener Finanzexperte Vaggelis Agapitos grundsätzlich richtig. Aber allgemeine Abgaben – wie die Mehrwertsteuer – panikartig ständig nach oben zu schrauben werde das Land nicht wieder auf eigene Füße stellen. Griechenland müsste auch wieder selbst Geld verdienen. Zum Beispiel mit der Sonne:
    "Das gute Wetter ist unser größter Standortvorteil. Aber wir haben das bisher nur unter dem Gesichtspunkt des Tourismus gesehen. Dass die Sonne auch Strom liefern könnte, haben wir vergessen. In der Ägäis könnten dank der starken Winde auch Windparks entstehen. Und wir könnten wie Spanien versuchen Rentner aus Nordeuropa anzulocken, die hier ihren Lebensabend verbringen wollen."
    Kritiker wie Agapitos werfen der Regierung Papandreou vor, sie habe seit ihrer Amtsübernahme im Oktober wertvolle Zeit verloren. Statt sofort die Notbremse zu ziehen, habe man endlos über den richtigen Weg aus der Krise debattiert. Derweil haben die Reichen des Landes, so geht das Gerücht, längst ihr Geld außer Landes geschafft, in zyprischen Off-Shore-Unternehmen oder auf türkischen Bankkonten versteckt. Dort also, wo die griechischen Steuerbehörden sie nicht einmal mit Hilfe von Google Earth werden aufspüren können.